Integration in Deutschland 4/2004, 20.Jg., 30. November 2004

SCHWERPUNKT: DIE UMSETZUNG 
DES ZUWANDERUNGSGESETZES


Wie Deutschland offiziell zum Einwanderungsland wurde

 

Ein Markstein der Ausländerpolitik war der 23. Februar des Jahres 2000: Bundeskanzler Schröder verkündete auf der Technologiemesse CeBit in Hannover, über eine so genannte Green Card-Regelung ausländische Computer-Spezialisten ins Land zu holen und damit den Forderungen der Wirtschaft Rechnung zu tragen. In den folgenden drei Jahren überschlugen sich die Ereignisse: Am 12. Juli 2000 setzte Innenminister Otto Schily eine überparteiliche Kommission ein, die "praktische Lösungsvorschläge und Empfehlungen für eine neue Ausländer- und Zuwanderungspolitik" erarbeiten sollte. Am 4. Juli 2001 übergab die Ausschussvorsitzende Rita Süssmuth, die frühere Bundestagspräsidentin und Bundesfamilienministerin, ihren Abschlussbericht. Der Vorsitzende der Zuwanderungskommission der Union und Ministerpräsident des Saarlandes, Peter Müller, erklärte: "Das Boot ist nicht voll, es wird immer leerer" und stellte in diesem Zusammenhang fest: "Die demografische Entwicklung wäre ohne die Zuwanderung noch schlimmer, als sie ohnehin schon ist". Eine sensationelle Wende in der Zuwanderungsdebatte zeichnete sich ab.

In den Jahren 2001 bis 2004 entwickelte sich eine kontroverse und bisweilen dramatisch zu nennende Debatte um das Zuwanderungsgesetz. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA wurde die Zuwanderungsdebatte verstärkt mit Aspekten der äußeren und inneren Sicherheit verknüpft. Mit den Stimmen der Regierungskoalition verabschiedete der Bundestag am 1. März 2002 den Entwurf des Zuwanderungsgesetzes. Am 22. März stimmte der Bundesrat in einer denkwürdigen Sitzung und mit einer umstrittenen Entscheidung dem Gesetz zu. Am 20. Juni 2002 unterzeichnete Bundespräsident Johannes Rau das Gesetz, rügte das Verhalten der Parteien und legte eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Abstimmung im Bundesrat nahe.

Im Juli 2002 reichten sechs unionsregierte Länder eine Klage in Karlsruhe ein, der das Bundesverfassungsgericht stattgab. Das höchste deutsche Gericht sah das Gesetz durch die umstrittene Abstimmung im Bundesrat nicht verfassungsgemäß zustande gekommen. Aus formalen, nicht aus inhaltlichen Gründen konnte also das Zuwanderungsgesetz nicht in Kraft treten.

Das Gerangel um das Gesetz ging weiter. Am 9. Mai 2003 verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen von Rot-Grün erneut das Zuwanderungsgesetz, das gut vier Wochen später erwartungsgemäß im Bundesrat mit der Mehrheit der unionsgeführten Länder abgelehnt wurde. Die Bundesregierung rief daraufhin den Vermittlungsausschuss an. Nach fast einem halben Jahr ging am 1. Mai 2004 die Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses ergebnislos auseinander. Nachdem führende Grünen-Politiker erklärt hatten: "Das Spiel ist aus", machte Bundeskanzler Gerhard Schröder die Verhandlungen um das Zuwanderungsgesetz zur Chefsache. Am 25. Mai 2004 traf er sich in Einzelgesprächen mit den Spitzen der Oppositionsparteien. Vereinbart wurden Eckpunkte für eine Überarbeitung des im Vermittlungsausschuss liegenden Gesetzentwurfs.

Der Durchbruch war geschafft - ein drei Jahre dauernder Streit war beendet. Die weiteren Abschlussverhandlungen führten in einer Dreiergruppe Bundesinnenminister Schily, der saarländische Ministerpräsident Müller und Bayerns Innenminister Beckstein. Mit großer Mehrheit verabschiedete der Bundestag am 1. Juli den Zuwanderungskompromiss.

Deutschland hat nun ein Zuwanderungsgesetz und ist offiziell Einwanderungsland. Nach der Zustimmung durch den Bundesrat könnte nun auch Sachlichkeit in ein Politikfeld einkehren, das wie kein anderes von emotional geführten Auseinandersetzungen gekennzeichnet war. In der Praxis muss sich erst jetzt erweisen, wie sich die neuen Bestimmungen auswirken.


Autor: Karl-Heinz Meier-Braun, SWR Stuttgart

[ Seitenanfang ]


Großer Informationsbedarf

Zur Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes

 

Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes - die Zweite. Schon vor über einem Jahr bereiteten sich die Integrationsexperten des damaligen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge intensiv auf die Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes vor. Doch kurz vor Inkrafttreten am 1.1.2003 kam das "Stopp!" aus Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Zustandekommen des Gesetzes für unwirksam. So wurde die schwierige Aufgabe vertagt. Nun aber gilt es. Die zuständige Behörde heißt mittlerweile "Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" (BAMF) und die Aufgabe geht jetzt - beim zweiten Anlauf - schon leichter von der Hand.

Aufgaben der Rekos

 Die Aufgabe der Regionalkoordinatoren (Rekos) ist die Information und Beratung von Ausländerbehörden, Kursträgern, Kommunen, Jobagenturen sowie Sozial- und Jugendbehörden im Hinblick auf die Durchführung der Integrationskurse. Sie fungieren also als konkrete Ansprechpartner für alle öffentlichen wie nichtöffentlichen Stellen, die am Integrationsprozeß mitwirken. Die Rekos haben ihre Büros in den Außenstellen des Bundesamtes, sind aber bei Bedarf vor Ort tätig. (jh)

Es ist 8.15 Uhr an einem Freitag im Oktober 2004. Aus dem Bundesamt eilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die viel befahrene Frankenstraße hinüber zur Baptistengemeinde. Da dieser Tage viele Sitzungen zur Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes stattfinden, ist man hierher ausgewichen. Unter der Leitung von Rolf Erdmaier sind seit Oktober Regionalkoordinatorinnen und Regionalkoordinatoren ("Rekos") geschult worden. Im Herbst begannen sie, von den 21 Außenstellen des BAMF aus, vor Ort Detailfragen der Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes zu koordinieren. Parallel wurden sie bis Dezember weiter geschult. Viele der Rekos in der Baptistengemeinde haben bislang als Entscheider im Asylbereich gearbeitet. Interessiert und guter Dinge vertiefen sie sich in ihre neue Aufgabe. Eine ausführliche Einweisung in die neuen Tätigkeiten ist nötig, haben sie doch ein umfangreiches und anspruchsvolles Aufgabengebiet (s. 1. Box links).

Bürgerservice

Das Bundesamt geht mit einem Informationsportal in die Informationsoffensive: Drei Servicehotlines sind geschaltet, eine für die Integrationskursträger, eine für Ausländerbehörden und eine Bürgerhotline. "Was muss ich tun, um am Sprachkurs teilnehmen zu können", ist eine sehr häufig gestellte Frage an die Bürgerhotline. Mit dem Begriff "Integrationskurs", so Frau Sahin vom Bürgerservice, können viele Anrufer noch nicht so viel anfangen. Oft wird auch Rat für Ehepartner und Freunde eingeholt. Jede Anruferin und jeder Anrufer, so die Philosophie der Hotline, erhält eine Antwort und wird nicht "weiterverbunden". "Kann eine Antwort nicht sofort gegeben werden, recherchieren wir und rufen dann zurück. Das kommt besonders gut an, meint Frau Sahin zufrieden. Nicht nur "Bürger" haben Fragen, gerade Sprachkursträger und Ausländerbehörden wollen Detailregelungen genauer wissen. Dafür gibt es Spezialhotlines mit besonders geschultem Personal. Die Hotline ist auch ein bisschen Arbeitsagentur: Selbst die Frage, welche Qualifikation man/frau benötigt, um als Lehrkraft im Integrationskurs arbeiten zu können, wird beantwortet. Viele Fragen ähneln sich. Daher werden sie gesammelt, strukturiert und mit der passenden Antwort versehen unter www.bamf.de eingestellt. Internet, E-Mail und Telefon - das Bundesamt betreibt eine moderne und aktive Informationspolitik. (jh)

 

Im Oktober wurde den Rekos Ziel, Struktur und Ablauf der Integrationskurse (vgl. S. 4-5, 9-11) erläutert. Heute geht es vor allem um Informationsmedien und Möglichkeiten der Informationsvermittlung. Mit in der Runde sitzt eine Mitarbeiterin der am 2. November eingerichteten Telefon-Hotline (s. 2. Box links). Der heutige Referent, Jens Herwig vom Informations- und Bürgerservice des Bundesamtes, betont die Wichtigkeit der Aufgabe, an der Umsetzung der Kurse zu arbeiten: "Gehen Sie hin, schwärmen Sie aus, warten Sie nicht auf Ihre Klienten - Sie sind Außendienstler", sagt er. "Und bringen Sie Informationen auch zurück ins Haus". Die Ideen und Anregungen werden dankbar aufgenommen. Den Rekos werden u.a. schon Faltblätter des "Starterkits" sowie eine sechssprachige Broschüre zu den Integrationskursen, die in einer Auflage von 60.000 Exemplaren erstellt wird, zur Verfügung gestellt werden. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter des Bundesamtes beschäftigen sich zudem schon seit 2003 mit der Frage, wie Zuwanderern bestmöglich Informationen über die deutsche Gesellschaft und Integrationsfragen vermittelt werden können. Fündig wurde man unter anderem in Nordamerika. Nach dem Vorbild von "Welcome to Canada" soll zusätzlich eine Publikation für Zuwanderer erstellt werden. Sie wird das schon nach wenigen Monaten vergriffene Buch "Informationen für Spätaussiedler" ersetzen. Ferner gibt das BAMF seit 2003 die Zeitschrift "Deutsch als Zweitsprache" heraus.

Noch während der Schulung hat das Bundesamt vor Ort zu einer ersten großen Informationsveranstaltung eingeladen, um über den Ablauf der Integrationskurse erste Informationen zu geben. Eile war geboten. "Es gab im Herbst etwas Unruhe an der Basis wegen fehlender Infos. Das wird sich aber beruhigen," erläutert Herwig. Tatsächlich sind die Vorbereitungen auf kommunaler Ebene mittlerweile weit voran geschritten. Die Stadtverwaltung von Rostock beispielsweise hat schon Mitte November Informationen zu allen vor Ort angebotenen Kursen ins Internet gestellt. Parallel trafen sich die Sprachkursträger im BAMF.

Damit nichts dem Zufall überlassen bleibt wurde in Nürnberg auch ein Planspiel zur Vorbereitung der Integrationskurse durchgeführt. Mit realistischen Fällen wurde der geplante Verfahrensablauf durchgespielt. Mit von der Partie waren - aufgrund der räumlichen Nähe - die Ausländerbehörde Nürnberg und das Bildungszentrum der Stadt. Simuliert wurde der Probelauf eines Integrationskurses für neu zugewanderte Ausländer, Spätaussiedler, Ausländer die bereits in Deutschland leben und EU-Bürger. Die Qualität der verwendeten Fälle trug zum Gelingen des Planspiels bei, auch wenn nicht jede erdenkbare Fallkonstellation durchgespielt werden konnte.

Das Zuwanderungsgesetz hat bundesweit auf vielen Ebenen Bewegung in die Integrationslandschaft gebracht. Während die einen sich unter Zeitdruck fieberhaft vorbereiten, stellen andere schon weiterführende Fragen. So hat der Lehrstuhl Organisationssoziologie und Mitbestimmungsforschung der Ruhr-Universität Bochum gemeinsam mit NAVED - Zentrum für kurdische Studien e.V. eine Tagung zum Thema "Zuwanderungsgesetz und nun?" durchgeführt. Diskutiert wurden Voraussetzungen, Formen und Funktionen der Partizipation von Migranten.

Das Gesetz kann gleichwohl nur ein erster Schritt sein. Intensivierte Integrations- und Dialogbemühungen müssen folgen. Wie sagte der TV-Produzent und Journalist Friedrich Küppersbusch am 15. November der "taz" auf die Frage, ob nun das Ende der Multikulti-Gesellschaft bevorstehe? "Nö, der Anfang. Wer sich das als Schmuseparty vorgestellt hat, lag eh falsch".

Infos zum Integrationskurskonzept sowie Verordnungen zum Zuwanderungsgesetz: www.bamf.de 


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ]

© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden).

Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis.