Integration in Deutschland 1/2005, 21.Jg., 31. März 2005

PARTIZIPATION


gEMiDE

Förderung des gesellschaftlichen Engagements

 

In der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover leben fast 510.000 Menschen, davon haben mehr als 75.500 eine andere Staatsangehörigkeit als die deutsche. 162 Nationalitäten (einschließlich der deutschen) sind in Hannover vertreten. Einheimische und Zugewanderte respektieren sich zwar gegenseitig, Berührungspunkte bleiben aber weitgehend auf Musik- oder ähnliche Kulturereignisse beschränkt. Die Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen MigrantInnengruppen sind in ihren jeweiligen Zugehörigkeiten gut organisiert, was bei den größeren Gruppen auch öffentlich gut sichtbar ist. Die Kommunikation im täglichen Leben findet zwischen Einheimischen und Migrantinnen/Migranten jedoch eher nur auf geschäftlicher Ebene statt, d.h.: privat bleibt frau/man lieber unter sich.

Aus diesem Grund wurde mit Unterstützung des bei der Stadt Hannover angesiedelten "Referats für interkulturelle Angelegenheiten" das Modellprojekt gEMiDe aus einer Fraueninitiative aus dem Jahr 1999 ("Lachendes Gesicht") systematisch und ehrenamtlich aufgebaut. Vorrangiges Interesse der Projektleiterin (Hülya Feise) ist es, die Bürgerbeteiligung von Migrantinnen und Migranten zu fördern und damit den integrativen Ansatz zu verfolgen.

Das Modellprojekt gEMiDe bildet eine Schnittstelle zwischen an ehrenamtlicher Tätigkeit interessierten Migrantinnen und Migranten und bedürftigen, einsamen oder einfach interessierten Einheimischen. Einige der Mitarbeiter/innen erlebten bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit zum ersten Mal, dass z.B. ein deutscher Haushalt nicht so sehr viel anders aussieht als der ihrige. Sie genießen es, nicht mehr in erster Linie als "Ausländer/-in", sondern vielmehr als Mensch, der etwas tut, beurteilt zu werden.


gEMIDE - Schnittstelle nicht nur im übertragenen Sinne

"Seit ich in Deutschland bin, wurde ich immer nur als Türkin gesehen", sagt Naciye K., Mitarbeiterin von gEMiDe. "Ich wurde gefragt, wie es in meinem Land ist. Seit ich als freiwillige Lehrerin arbeite, stellt man mir andere Fragen. Meine Person und der Inhalt meiner Arbeit stehen plötzlich im Vordergrund: Wie ist es, mit Analphabeten zu arbeiten? Oder: Wieso sind Sie Märchenerzählerin?"

Grundsätzliches Ziel ist die Förderung der gegenseitigen Integrationsbereitschaft, der individuellen Fähigkeiten sowie der gegenseitigen Anerkennung von Deutschen, Migrantinnen und Migranten. Die Arbeiten, die die Mitarbeiter/innen von gEMiDe verrichten, haben einen doppelt positiven Effekt: Sie sind nützlich für die Gesellschaft und sie helfen ihnen selbst, mit der Gesellschaft, in der sie ihr Leben verbringen, in Kontakt zu treten. Sie können untereinander und mit deutschen Familien oder Einzelpersonen auf einer Ebene, sprich auf derselben Augenhöhe kommunizieren.

Ein weiteres Ziel ist es, bei den Mitarbeiter/innen die Selbsthilfepotentiale zu fördern und die Qualifizierung zur Lösung sozialer Probleme, die Aufrechterhaltung oder Neuorganisation sozialer Kontakte zu schaffen, sie zu befähigen und zu unterstützen, ihre mitgebrachte Lebensgeschichte in Interaktion mit der neuen Umgebung zu erweitern.

"Ich bin 13 Jahre alt und gehe in die 7. Klasse. Ab und zu pass ich auf Kinder auf, wenn die Mütter zu Elternabenden gehen müssen oder wichtige Sitzungen haben. Mir macht es Freude, mit den Kindern Zeit zu verbringen, weil sie mich mögen", sagt Aysegül T., Mitarbeiterin von gEMiDe. "Ich musste in der 5. Klasse zu einer anderen Schule wechseln, weil meine Noten nicht so gut waren. Ich habe mich während dieser Zeit schlecht gefühlt, weil ich in der Schule Probleme hatte. Ich hatte das Gefühl, dass die anderen mich nicht mochten. Sie hatten mich geärgert, weil ich keine Markenklamotten trug. Jetzt bin ich in der Klasse die Beste. Ich habe kapiert: ´Du sollst sein wie du bist, nur gut und schlau sein.´"

Das Modellprojekt gEMiDe zählt derzeit 97 Mitwirkende, vorwiegend aus dem mittleren Osten stammend, die meisten aus der Türkei bzw. den direkt angrenzenden Nachbarländern Irak, Iran, Aserbeidschan, Turkmenistan und Georgien. Seit Januar 2003 wird in pädagogischer Verantwortung der Volkshochschule Hannover zwei Mal in der Woche für jeweils drei Stunden ein auf die Bedürfnisse der Ehrenamtlichen zugeschnittener Deutschkurs durchgeführt.

Einzelpersonen, Familien, Behinderte profitieren von den Besuchen und dem Engagement der Ehrenamtlichen. Das Projekt wurde Januar 2000 bis Juni 2001 ehrenamtlich aufgebaut. Seit 01.07.2001 arbeitet gEMiDe mit Honorarmitteln. Seit 01.01.2002 ist eine Teilzeitstelle bewilligt (Landeshauptstadt Hannover). Projektträger ist der Bund Türkischer Europäischer Unternehmer/innen; BTEU e.V.

Kontakt: 
Hülya Feise, Tel.: 0 511 213 53 63, huelyafeise@hotmail.com, info@gemide.org


Autorin: Hülya Feise, gEMiDe

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Flüchtling wird Ratsherr

Jeyaratnam Caniceus (Foto) ist der erste Ratsherr mit Migrationshintergrund in Kempen und der erste Tamile überhaupt, der in Deutschland ein politisches Mandat errungen hat. Darauf ist der 38-Jährige ähnlich stolz wie darüber, dass "sämtliche tamilische Zeitungen und tamilische Radio-Sendungen" darüber berichtet haben. Als 19-jähriger Gymnasialschüler aus dem Inseldorf Karampon im Norden Sri Lankas kam Caniceus 1985 als Bürgerkriegsflüchtling nach Deutschland. Ost- und West-Berlin waren die ersten Stationen. Nach einigem Hin und Her durfte er in den Westen der Bundesrepublik nach Tönisvorst umsiedeln, wo bereits sein Vater lebte - in einer Unterkunft für Obdachlose. Caniceus Asylantrag wurde zwar abgelehnt, doch erhielt er eine Duldung. So konnte er bleiben, arbeitete bis 1990 als Erntehelfer und entschloss sich - über eine Altfallregelung - zu bleiben.

Seiner Kempener Deutschlehrerin Anita Schreieck ist Caniceus bis heute dankbar: Sie verschaffte ihm 1990 einen Ausbildungsplatz bei einer Elektrofirma in Wachtendonk. Zwei Wochen arbeitete er dort auf Probe. Dann war ihm der Ausbildungsplatz sicher. Um die fehlende Arbeitserlaubnis kümmerte sich die Firma. In Anschluss an die Ausbildung besuchte der Tamile vier Jahre lang bis zur erfolgreich absolvierten Meisterprüfung 1998 abends die Meisterschule in Düsseldorf. Nach zwei Stellenwechseln arbeitet er heute als Elektromeister in einem Viersener Krankenhaus.
Ungeduldig hatte der "von Kindesbeinen an" politisch Interessierte auf seine Einbürgerung 1999 gewartet und begann sich 2001 bei Bündnis 90 / Die Grünen politisch zu engagieren - "nach gründlicher Überlegung", betont er. Wenig später konnte der verheiratete Vater von drei Kindern in Ausschüssen erste kommunalpolitische Erfahrungen sammeln. Im April 2004 setzte er sich in einer Kampfabstimmung um Listenplatz 4 zur Kommunalwahl durch. Bei den Wahlen im September 2004 erreichte seine Partei in Kempen 12 % und somit einen Sitz mehr - Caniceus` Traum ging in Erfüllung.

Für seine erste Ratsperiode hat sich der Tamile vorgenommen, "verstärkt in die vor Ort lückenhafte Integrationspolitik einzugreifen". Caniceus fordert unter anderem die Abschaffung der Kontokarten für Asylbewerber, die Einrichtung einer lokalen Härtefallkommission und einer RAA-Stelle sowie generell die interkulturelle Öffnung von Politik und Verwaltung. "Ich will Eisbrecher und Brückenbauer sein", sagt der AiD-Leser zu seinen ehrgeizigen Zielen. Der Katholik sieht durchaus Parallelen zwischen seinem Geburtsort Karampon und seiner neuen Heimat Kempen: "Beide sind sehr katholisch orientiert und sehr konservativ", sagt er heute. (esf)

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