Integration in Deutschland 2/2005, 21.Jg., 15. Juni 2005

PRÄVENTION

*) Dieser Beitrag wurde im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Die AG Jaguar

Lösungsansätze und Grenzen


"Zeit für Jugendliche" - ein Präventionsangebot der Polizei Baden-Württemberg im Internet

Der Name der AG Jaguar ist Programm. Er steht für Jugendliche Agressive Gruppen Untersuchungen Altersspezifischer Rechtsbrüche. Und er bezeichnet eine außergewöhnliche Polizeidienststelle in Wiesbaden, die sich auf Kinder- und Jugendkriminalität spezialisiert hat und dabei weit über die normale Polizeiarbeit hinaus in den Bereich der Vorbeugung geht. "Jaguar" ist ein Beispiel für die inzwischen vielfältige Präventionsarbeit zur Bekämpfung jugendlicher Gewalt und Jugendkriminalität, die auf kommunaler Ebene in praktisch allen Bundesländern geleistet wird. Aber wie wirksam sind diese präventiven Maßnahmen, die häufig im Kontext "Migration und Kriminalität" angesiedelt sind? Und lassen sich die dort gesammelten Erfahrungen auf das im Dunkeln liegende Feld der häuslichen Gewalt übertragen?

"Migration-Kriminalität-Prävention"

So der Titel eines Gutachtens zum 8. deutschen Präventionstag 2003 in Hannover, das nach einer durchaus lesenswerten Analyse der Diskussion über die "Straffälligkeit von Zuwanderern" zu der lapidaren Schlussfolgerung kommt: "Erkenntnisse über wirksame und nicht wirksame präventive Maßnahmen existieren (fast) nicht"[1]. Zwar gibt es, so das Gutachten, eine Fülle kriminalpräventiver Maßnahmen, darunter auch eine Reihe "migrantenspezifischer Projekte", spezielle Ausrichtungen der vielfältigen Präventionsprogramme auf kulturelle Besonderheiten liegen jedoch meist nicht vor. Die Projektlandschaft stellt sich als "unüberschaubar und zufällig" dar und eine systematische Wirkungsforschung gibt es, von Studien wie dem so genannten "Düsseldorfer Gutachten" [2] abgesehen, bis heute nicht.

Gezielte Vorbeugung oder Generalverdacht?

Präventive Strategien, so der interessante Gedanke des Vorsitzenden des Landespräventionsrates NRW, Michael Walter[3], gehen - so gut sie gemeint sind - nicht von dem Grundsatz "in dubio pro reo", sondern im Gegenteil von dem Verdacht gegenüber bestimmten Personengruppen aus, diese könnten über kurz oder lang Straftaten begehen. Sie unterstellen also ein Fehlverhalten, das noch gar nicht geschehen ist und versuchen dieses mit mehr oder minder adäquaten vorbeugenden, zuweilen auch repressiven Mitteln zu verhindern - ein Ansatz, der auf dem Hintergrund geschichtlicher Erfahrungen im Umgang mit Minderheiten nicht unproblematisch ist. Die Frage ist also zu stellen, ob

(a) präventive Strategien, die auf bestimmte Personengruppen mit Migrationshintergrund abzielen, nicht auf höchst unsicheren Fundamenten stehen und bestehende Vorurteile und latente Konflikte bzw. Gewaltpotenziale nicht eher verstärken als diese abzubauen und

(b) ob die vorliegenden Erkenntnisse über Phänomene migrationsspezifischer Gewalt tatsächlich hinreichend sind, erfolgversprechende, zielgruppenspezifische Präventionsprojekte zu entwickeln.

Bereits bei der Formulierung der Frage ist freilich Vorsicht geboten. So unsinnig es wäre zu unterstellen, es gäbe ethnisch bedingte Formen von Gewalt, so realitätsfern wäre es auch, die Augen davor zu verschließen, dass nicht nur die Kumulation sozialer Risikofaktoren zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft führt, sondern dass eben doch auch kulturelle, zum Teil religiöse Besonderheiten zu spezifischen Formen von Gewalt (z.B. Gewalt gegen Frauen) führen können. Erfolgversprechende präventive Maßnahmen müssten also von dem "Generalverdacht" gegenüber bestimmten Gruppen abrücken und sich zunächst auf eine differenzierte Suche nach den Ursachen und Auslösern von Gewalt machen.

Kommunale Programme

Versucht man, sich einen Überblick zu verschaffen über die in zahlreichen Kommunen laufenden kriminalpräventiven Maßnahmen, so scheint das Profil des potenziell gewalttätigen Ausländers klar: männlich, jung, aus sozial schwachem Milieu, schlechtes Wohnumfeld - meist in Städten, geringe Bildung usw. Und so liegt der Schwerpunkt etwa der kommunalen Präventionsprogramme im Land Nordrhein-Westfalen, aber auch in anderen Bundesländern, deutlich im Bereich Jugendgewalt. Die inhaltliche Bandbreite der Programme ist beträchtlich: von im engeren Sinn "vorbeugenden" bis zu "rückfallverhindernden" Maßnahmen greifen die Projekte, getragen durch Schulen, kommunale Ämter, die Polizei, Einrichtungen der Wohlfahrtspflege und andere, mit unterschiedlichsten Methoden primär das Problem der Drogenbekämpfung, der Gewalt an Schulen und der Jugendkriminalität im engeren Sinn auf. Einzelne Länder und Städte haben zwischenzeitlich "Präventionsräte" gegründet um eine bessere Vernetzung von Projekten und Erfahrungen zu gewährleisten. Neben konventionellen Ansätzen wie dem Versuch der stärkeren Einbindung von Jugendlichen, insbesondere in Sportvereinen, oder der Intensivierung der Betreuung von Kindern und Jugendlichen in Schulen und Jugendzentren gibt es dabei eine Reihe "innovativer" Projekte. So hat z.B. die Stadt Düsseldorf die Idee entwickelt, straffälligen ausländischen Jugendlichen einen "Paten" derselben ethnischen Herkunft an die Seite zu stellen. Eines aber scheint allen Programmen gemein: inwieweit sie tatsächlich "wirksam" sind, ist bis heute absolut unklar (s. oben). Und man möchte hinzufügen: mit einiger Sicherheit setzen sie, wiewohl bezogen auf Jugendliche, wahrscheinlich schon zu spät an, da entscheidende prägende Dispositionen und Einstellungen bereits im Kindesalter ausgebildet bzw. vorgeformt werden. Eben hier, im familiären Bereich, schließt sich dann der Kreis. Offene oder latente häusliche Gewalt ist ganz zweifellos eine wesentliche Ursache oder ein Auslöser für die spätere Gewalt oder sogar Kriminalität von Jugendlichen. Aber sie ist der Prävention kaum zugänglich, die Dunkelziffer ist nicht abschätzbar und sie beruht zumindest teilweise auf sozialen Normen, die sich nur sehr langfristig ändern werden.

best practice

Abgesehen von dem bereits erwähnten "Düsseldorfer Gutachten" existiert eine mit dem bekannten amerikanischen SHERMAN-Report (Preventing Crime: What works, what doesn't, what's promising) vergleichbare Untersuchung über erfolgreiche Präventionsmaßnahmen in Deutschland nicht. Der Landespräventionsrat von Nordrhein-Westfalen (LPR) hat daher beschlossen, ein elektronisches Dokumentationssystem PRÄVIS einzuführen, in dem alle kommunalen Präventionsprojekte erfasst werden. Darüber hinaus hat der LPR eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit den zahlreichen Projekten zu dem Komplex "Jugend-Gewalt-Migration" beschäftigt. Man kann auf die Arbeitsergebnisse gespannt sein. Wünschenswert wäre sicher eine Erweiterung der Datenbank auf Bundesebene. Und wünschenswert wäre auch, dass sich die Arbeitsgruppe nicht nur mit dem Thema "Jugend", sondern auch dem Thema "Frauen - häusliche Gewalt - Migration" befasst. Ein Ergebnis dürfte dabei jetzt schon feststehen: die beste Prävention gegen häusliche Gewalt wie auch gegen die Gewalt ausländischer Jugendlicher liegt in einer langfristig angelegten umfassenden Integrationsförderung.


[1] Bannenberg, B. (2003), Migration-Kriminalität-Prävention, in: Kerner, H.J.; Marks, E. (Hrsg.), Internetdokumentation Deutscher Präventionstag, S. 63
[2] hierzu Brand, Fuhrmann, Walter, Aktuelle Bestandsaufnahme von Projekten zur Kriminalitätsprävention, Forum Kriminalprävention 1/2003 sowie LLHS Düsseldorf, Düsseldorfer Gutachten, Leitlinien wirkungsorientierter Kriminalprävention, Düsseldorf 2002.
[3] Walter, M., Kriminalpräventive Projekte: soziale Bedeutung und Problematik der Eingliederung, in: Bewtli 2, 2004, S. 115 ff.

Autor: Dr. Manfred Werth, isoplan

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"Nereye gidiyorsun?"

 

Wie können Sie als Eltern und Erzieher Ihre Kinder auf die vielfältigen Gefahren und Gefährdungen vorbereiten, die von Kriminalität ausgehen? Wie können Sie junge Menschen davor bewahren, Opfer beziehungsweise Täter von Kriminalität zu werden? Durch das Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes werden Broschüren zur Gewaltprävention herausgegeben, von denen eine auch in russischer und türkischer Sprache vorliegt: die 56-seitige Broschüre "Wohin gehst du?" (türkisch: Nereye gidiyorsun?"). Sie thematisiert sämtliche Bereiche des Lebens, in denen Kinder und Jugendliche - aktiv oder passiv - mit dem Phänomen "Kriminalität" konfrontiert werden können. Dabei kommen die Aspekte "Kindesmissbrauch" und "Sexueller Missbrauch" ebenso zur Sprache wie die Themen "Jugendkriminalität", "Jugend und Gewalt" sowie "Medien und Gewalt". Neben der Beleuchtung gesellschaftlicher und psychologischer Hintergründe sensibilisiert die Broschüre auch für typische Symptome erlittener oder angewandter Gewalt. (esf)

Bezug: Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes, Zentrale Geschäftsstelle, Landeskriminalamt Baden-Württemberg, Taubenheimstraße 85, 70372 Stuttgart, Tel.: 0711/5401-2062, Fax: 0711/2268000, info@polizei-beratung.de, www.polizei-beratung.de, www.polizei.propk.de

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