Integration in Deutschland 2/2005, 21.Jg., 15. Juni 2005

SCHULE

Interkulturelle Konflikte

Schule als "Feld der Ignoranz" oder "Lernort für emotionale Akzeptanz"?

"Mit moslemischen Kindern ist es in der Klasse immer aufregend. Die moslemischen Kinder vereinen sich zu Gruppen. Sie spielen miteinander und machen Scherze. Doch manchmal kloppen sie auch. Wenn sie Freunde sind und sich kloppen, dann fast immer aus Spaß. Wenn sie dann richtig kloppen, dann hat man ein Problem. Sie hören aber irgendwann auf. Und dann kann man wieder mit ihnen reden."


Spielerisch Integration gestalten: Schule als Ort der Begegnung unterschiedlicher Kulturen

Dieses Zitat stammt aus dem Schulaufsatz eines elfjährigen Jungen. Er besucht die sechste Klasse eines Gymnasiums in einer nordrhein-westfälischen Großstadt. Die Hälfte seiner Mitschüler ist muslimisch. Der Junge erkennt den Zusammenhalt seiner muslimischen Mitschüler ebenso wie deren Gewaltneigung.

Jugendliche Migranten als "Problemgruppe"

Die im vorangegangenen Artikel beschriebenen Phänomene (jugendliche Migranten, die wenig integriert und gewaltbereit sind) treten in der Schule besonders deutlich hervor. Lehrer, insbesondere Lehrerinnen, sehen sich Schülern muslimischen Glaubens türkischer oder arabischer Herkunft gegenüber, die ihr Anderssein in Bezug auf Nationalität betonen und als männliche Jugendliche gegenüber weiblichen Lehrkräften nicht selten in einer Art "machohaftem" Auftreten ihre tendenziell verachtende Meinung gegenüber "ungläubigen" Frauen verbal oder durch Mimik und Gestik zum Ausdruck bringen. Die Lehrkräfte versuchen einerseits, den Grundsätzen der "political correctness" und der Nichtdiskriminierung der Migranten zu folgen und fremdenfeindliche Reaktionen von deutschen Schülern nicht zu ermutigen; andererseits stellen die Verhaltensweisen dieser Jugendlichen die Lehrerautorität in Frage und können nicht toleriert werden.

Ausländische Jugendliche versagen in der Schule häufig. Die PISA-Studie hat deutlich gemacht, dass die z.T. deprimierenden Schulerfolge der Migranten eng mit einer Unterschichtenherkunft verbunden sind. Weitergehende Hypothesen versuchen, das Verhalten, insbesondere von männlichen Migrantenjugendlichen, zu erklären: Danach wird mangelnde individuelle Zuwendung psychisch schlecht verarbeitet und kann zu Leistungsblockaden oder Leistungsverweigerung führen. Schulische Misserfolge wiederum werden häufig durch Aggressivität kompensiert.

Als Grundlagen des Lernens werden so genannte "basic needs" definiert: 1. Sicherheit, 2. Zugehörigkeit/Identität, 3. Respekt. Dr. Weil vom Berliner Landesinstitut für Schule und Medien konstatiert: "Eine Schule ohne inerkulturelles Lernen, die die Realität der multi-kulturellen Gesellschaft in ihrem Bereich verleugnet, greift erkennbar diese "basic needs" an und erzielt in der Konsequenz Lernblockaden".

Schulschwänzen

Lernblockaden bzw. schlechte Ergebnisse führen in vielen Fällen dazu, dass Jugendliche der Schule fern bleiben. Schulschwänzen ist ein nach wie deutlich unterschätztes und von vielen Lehrern verdrängtes Problem. Schulschwänzen entsteht nach Aussagen von Prof. Pfeiffer sowohl vor dem Hintergrund innerfamiliärer und sozialer Belastungsphänomene, aber auch aufgrund innerschulischer Aspekte. Er vertritt die These, dass die Qualität der Schulen und die Ernsthaftigkeit, mit der Anwesenheit kontrolliert wird, sehr wichtige Variablen darstellen. Schuleschwänzen hat fatale Folgen, denn: "Schule ist der einzige Ort, an dem man an alle jungen Menschen herankommt. Schule ist der Ort, wo die Diskussion über richtiges Leben auflaufen muss. Schule darf nicht nur Wissensvermittlung leisten, sondern muss auch zu Auseinandersetzungen über den Kurs, den man im Leben einschlägt, anleiten."[1] Schulen dürfen deshalb keine "Felder der Ignoranz" sein. Im Gegenteil.

Schule als Lernfeld

Jene Lehrer, die sich die Probleme jugendlicher Migranten bewusst machen und interkulturelle Lerninhalte vermitteln, erzielen damit große Erfolge. Sie erreichen etwas, was Prof. Pfeiffer eine "Kultur der emotionalen Akzeptanz" nennt. Lehrer sind dann besonders erfolgreich, wenn es ihnen gelingt, das Andersartige einer Kultur interessant darzustellen. So hatte sich die Lehrerin einer Klasse mit einem hohen Anteil türkischer Kinder angesichts häufiger und z.T. aggressiv ausgetragener Konflikte dazu entschlossen, mit der gesamten Klasse eine türkische Moschee zu besuchen. Die deutschen Schüler waren von der orientalischen Pracht und der Offenheit, mit der sie empfangen wurden, sehr beeindruckt: "Als ich in die Moschee reinging, dachte ich, ich wäre in einem Palast. Ich fühlte mich reich... Ich war vom Teppich richtig verzaubert." "Wir durften Fragen stellen. Die Antworten waren sehr interessant... und wir durften auch mit denen beten, das war sehr schön." "Die Moslems haben eine gute Religion, auch wenn sie anders ist." Die türkischen Schüler hingegen waren sehr erleichtert und stolz, dass es ihren deutschen Mitschülern so gut gefallen hat: "Es war ein gutes Gefühl, den deutschen Kindern mal zu erklären, wie es in der Moschee ist und wie unsere Religion ist. Ich habe gehört, dass es ihnen auch sehr gut gefallen hat." "Ich dachte, dass die christlichen Kinder lachen oder etwas Falsches machen. Da die es aber richtig und schön gemacht haben, habe ich tief Luft geholt vor Erleichterung. Denn ich wollte keinen schlechten Eindruck machen... Als Muslim war ich nach diesem guten Ereignis sehr stolz."

Türkische und deutsche Kinder sind sich durch diesen Besuch der Moschee sehr viel näher gekommen. Viele Missverständnisse konnten abgebaut werden. Der Nährboden für eine "Kultur der emotionalen Akzeptanz" ist gelegt. Die Lehrerin besuchte anschließend türkische Eltern, deren Kinder Probleme in der Schule hatten. Der Besuch in der Moschee hatte die Gesprächsbereitschaft auf der türkischen Seite enorm erhöht. Man fühlte sich akzeptiert. Folglich wurde auch die Lehrerin freundlich aufgenommen.

Eltern ausländischer Jugendlicher können auch aktiv in den Schulunterricht eingebunden werden, um die gegenseitigen Hemmschwellen herabzusetzen. Sie können beispielsweise gemeinsam beten oder landestypische Gerichte zubereiten. Gleichermaßen können interkulturelle Aspekte in den thematischen Unterrichtsstoff einfließen (z.B. durch die Behandlung von Themen wie "Islamische Spuren in Europa", "Türkei als Zufluchtsland für deutsche Bürger zwischen 1933 und 1945" usw.).

Die Schule ist einerseits der Ort, wo Kulturen aufeinanderprallen, Konflikte ausgetragen werden und ausländische Jugendliche unter schlechten Leistungen leiden. Aber Schulen haben enormes Potenzial. "Und deswegen ist es so wichtig, dass die Schule den Mut und die Möglichkeiten bekommt, soziales Lernen als wichtigstes Unterrichtsergebnis anzusehen, dass sie Formen der Auseinandersetzung, der Streit- und Verständigungskultur in der Schule entwickelt und dass im Umgang von Lehrern mit Schülern ganz praktisch, modellhaft, erfahren werden kann, wie man couragiert, friedlich, sich streitend und sich verständigend miteinander umgeht."


Quellen: Forum Schule, Heft 2, Mai 2000: Interview mit Prof. Dr. Christian Pfeiffer; LISUM (Hrsg.) [1]; Gerhard Weil: Männliche, muslimische Jugendliche in der Schule. Konflikte und Projekte zu ihrer Lösung, Berlin 2003

Autorin: Vanessa Franz, isoplan

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