Integration in Deutschland 3/2005, 21.Jg., 20. September 2005

EUROPA

Die Rückkehr der Albaner

Eine Spurensuche

Auf Albanien fiel durch die dramatischen Fluchtbewegungen der 1990er Jahre das grelle Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit. Das bis zum Sturz des "steinzeit"-kommunistischen Regimes isolierte und kaum beachtete Land wurde abrupt zur Chiffre für die Probleme der "Festung Europa" mit Zehntausenden unerwünschten Zuwanderern. Das hat das Land mit seinen freundlichen Bewohnern kaum verdient. Wenngleich im Juli 2005 der bei den Unruhen 1997 aus dem Amt getriebene Ministerpräsident Sali Berisha erneut gewählt wurde, hat längst eine neue Zeit begonnen. Es sind vor allem die Rückkehrer, auch über 5.000 aus Deutschland, die ihre Heimat neu aufbauen.

 


Oben griechisch, unten albanisch: Bus mit zwei Leben in Korce

Alida nimmt es als gastfreundschaftliche Pflicht, nachts um 1 Uhr in Tirana bei der Hotelsuche zu helfen. Im Flugzeug hatte sie den Albanisch-Sprachführer bemerkt und sich gefragt, was ein Westler in Albanien will. Sie studiert in den U.S.A. International Business and Marketing und macht nun Heimaturlaub. Sie ist überraschend westlich gekleidet. Ich hatte mir Albanerinnen anders vorgestellt. Obwohl: Schon am Check-In fiel der Blick nur auf einen bäuerlichen Stiernacken und ein feingliedriges Gesicht - keine ärmlichen Männer mit Dreitagebärten. Wie sehr das Bild von den überquellenden Flüchtlingsschiffen 1993/97 geprägt wurde! Man liest viel von der heutigen Transitfunktion des Landes: Drogen, Waffen und Frauen werden aus Osteuropa und Asien über Albanien in den Westen verschifft. Ob der Stiernacken solch ein businessman ist? Bei der Passkontrolle in Tirana steht er dann in der kurzen Schlange der Nicht-Albaner. Ist wohl doch nur ein ungarischer Staubsaugerhändler.

Tirana ist sehr europäisch - Alida rät, schnell Land zu gewinnen, empfiehlt die Küste und pittoreske Bergstädtchen. "Faliminderit" - Danke, der Rat ist gut gemeint. Doch die Hauptstadt ist mit ihren vielen Baustellen, die zugleich Zeichen der totalen Transformation und Modernisierung wie des ungeordneten Wildwuchses sind, durchaus interessant. "Pass auf Dich auf" hatte sie zudem gesagt. Ist es wirklich gefährlich, durch das ärmste Land Europas zu reisen? Oder ist sie selbst schon von Klischeebildern beeinflusst? Vor Ort gibt es keinen Anlass zu Sorgen. Schon nachmittags bummeln die Menschen unter Palmen - dieser "Gjiro" ist wie überall in Südosteuropa eine große Körperparade. Die Mädchen bauchfrei unter grellen Shirts, die Schuhe spitz; die Jungs mit spitzen Koteletten und Kinnbärten. Nur die Cafés mit sehr gutem, italienischen Einfluss bezeugenden Espresso sind leer. In Zeiten, in denen viele die Zigaretten einzeln bei Händlerjungen erstehen, ist dies Luxus.

Unter den verstaubten Büchern eines Straßenhändlers findet sich die "Kronikë ne gur" von Ismail Khadare. Seine "Chronik in Stein" dient bis zur Ankunft in Gjirokastrë, drei Tage später als Lektüre. Aus den Augen eines Kindes beschreibt der Romancier - wie Enver Hodscha ein Sohn der "steinernen Stadt" - den Wechsel von griechischer, italienischer und deutscher Besatzung im 2. Weltkrieg. Zunächst aber geht es über die Stahlschmiede Elbasan - früher der Stolz des Hodscha-Regimes, heute eine abbruchreife Dreckschleuder - über die Berge zum Ohridsee und entlang der mazedonischen Grenze nach Korcë. Hier geht das Leben zwischen Plattenbauten und zerfallender muslimischer Altstadt noch seinen traditionellen Gang. Das in Griechenland verdiente Geld der Auswanderer fließt vor allem in die Modernisierung der orthodoxen Altstadt. Zwar ist eine knappe Mehrheit der Albaner muslimisch, aber besonders der Süden ist christlich. Im ganzen Land haben sich die Straßen gebessert, konstatiert ein Urlaubs-Rückkehrer aus Norwegen, der "fünf Jahre am Stück" gearbeitet hat und nun seine Schwester besucht. Überhaupt symbolisiert der sprunghaft gestiegene Verkehr - vor 1995 gab es kaum Privatautos - den überall spürbaren Willen, sich eine Existenz aufzubauen und zu sichern. Dies hat seinen Preis: am Straßenrand stehen viele mit Plastikblumen und Fotos verzierte Kreuze.

"Wiedergeburten"

Zwei Tage später, nach 190 Kilometern durch die urigen Schluchten des Vjosa mit Holzhängebrücken, Pferdefuhrwerken, Eseln und auch schon mal einer unbeaufsichtigten Sau auf einer Kreuzung, hält der Bus unter der Festung von Gjirokastrë. Unterwegs wurde sichtbar, wo sich die Auswanderer und Flüchtlinge vor ihrer Rückkehr aufgehalten haben: Fast jeder Kleinlaster trägt noch den Namen der Vorbesitzer. Sogar die Herkunft von "Umzüge Bittmann", der "Kornbrennerei Heydt" und "Dervis Market Obst und Gemüse" lassen sich identifizieren: Straubing, Bochum und Bergneustadt. Ein Container der "Trans Bavaria - Internationale Konfektions Spedition" wird als Baulager genutzt, ein Dresdner VW-Bus verstaubt - als Stauraum genutzt - auf dem Markt von Korcë und der Pick-up der "Werkstätten der AWO Dortmund" entsorgt heute Abfall. Fast jeder Bus erlebte eine Wiedergeburt, meist nach einem ersten Leben in Italien oder Griechenland (Foto). Einer diente dem "Alpengasthof Enzianhof", ein Nürtinger Stadtbus wirbt noch für die Volksbank. Vielleicht ist es auch der Stolz auf erfolgreiche Auslandsjahre, der Busfahrer zudem "Deutschland"- oder "Dortmund"-Schals ins Cockpit drapieren lässt. Ein Mercedesfahrer protestiert noch immer per Aufkleber: "Passau gegen DVU". Überhaupt: Ausgerechnet die Nobelmarke beherrscht die Straßen in einer nur mit VW in Wolfsburg vergleichbaren Dominanz.

Am internationalsten ist die Hafenstadt Durres: Alte und aktuelle Länder-Aufkleber verweisen auf Deutschland, Italien, Griechenland und die Schweiz. Der eigene Wagen für 3.000 Euro plus ein Mehrfaches für Steuern und Papiere war auch für Bebeci Kastro das wichtigste Startkapital für die Existenzsicherung. Nach fünf Jahren in einer Firma für Silikonisolierungen bei Stuttgart kehrte er 2002 mit einem Mercedes zurück: "Jedes andere Auto wäre auf diesen Straßen nach einem Jahr kaputt". Der Vater zweier Töchter fährt nun Taxi. In Durres sieht man auch Graffitis der großen Mailänder und Turiner Fußballclubs - ein Hinweis auf die italienischen Städte, in denen die meisten Albaner Arbeit fanden. Neben der Saisonarbeit auf Plantagen im Süden freilich, die schon in den frühen 1990er-Jahren ohne die genügsamen und fleißigen Albaner keine billigen Tomaten hätten produzieren können. Ähnliches gilt für Griechenland, das seit 15 Jahren zweitwichtigste Auswanderungsziel.

180 km südich von Durres boomt ein weiterer Hafenort, von dem noch 1998 überfüllte Frachter die Adria querten: Vlora, Alidas Heimatstadt, verrufen als kriminelle Hochburg des Landes. Noch immer liegen nur Schiffswracks am Hafen, auf dem Gjiro und am Strand herrscht jedoch unbeschwerte Urlaubsstimmung. Die Schnellboote mit Flüchtlingen aus aller Welt starten heute von den Stränden im Süden der Stadt. Dort liegt auch Hodschas ehemalige Ferienvilla, die beim Aufstand gegen das korrupte Berisha-Regime 1997 ausbrannte. Auf einem nahen Felsen steht ein früheres Arbeiterferienheim, das bis 2004 als "Hotel Palma" firmierte, nun aber "Konomi" heißt. Jorgo Konomi grüßt überschwenglich und froh, endlich wieder Deutsch zu sprechen. Er verließ Albanien schon 1989. Als sein Asylantrag abgelehnt wurde, tauchte er unter, kaufte sich - da er sich als Grieche versteht - einen griechischen Pass und arbeitete im "Athena" in Hagen. Als er 2003 seinen todkranken Vater besuchen wollte, flog alles auf und die BILD hatte ihre Story vom "falschen Griechen". Nach fünf Monaten Gefängnis war er doppelt frei: Seinen Brüdern war es nach 13 Jahren Rechtsstreit gelungen, den Grund und Boden zurück zu erhalten, auf dem sie geboren und auf den der Staat das Ferienheim gebaut hatte. "Mirupafshim Jorgo" - Auf Wiedersehen, heißt es nach langen Erzählungen und einem wunderbaren Frühstück mit Meerblick.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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