Integration in Deutschland 4/2005, 21.Jg., 15. Dezember 2005

ELTERN

Faktor Bildungsferne?

Bildungsort Familie

Die Ergebnisse des 12. Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung belegen eine Schlechterstellung von Schülern aus bildungsfernen Familien mit Migrationshintergrund.


Abschlussfest im Kindergarten: Wie geht's weiter?

Auch im nächsten Jahr werden bei den Abschlussfeiern der weiterführenden Schulen landauf landab wieder zahlreiche Jugendliche leer ausgehen. Rund 9 % der Abgänger des Schuljahres 2002/ 2003 blieben bundesweit ohne formalen Abschluss. Erschreckend ist hierbei zusätzlich der weitaus höhere Anteil unter den ausländischen Schülern. Etwa jeder fünfte Jugendliche ohne deutschen Pass erlangte in dem genannten Jahr keinen deutschen Schulabschluss. Der neue Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung, der am 25. August 2005 in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, spiegelt die aktuelle Fachdebatte zu Themen der Erziehung und Bildung wider und fragt hierbei auch nach den Auswirkungen der ethnischen Zugehörigkeit auf die Bildungschancen der "Kids".

Kinder der zweiten Generation benachteiligt

Die Ergebnisse belegen, dass die ethnische Zugehörigkeit von Kindern und Jugendlichen einen entscheidenden Einfluss auf deren Bildungsbeteiligung und den erlangten Bildungsabschluss nimmt.

Besonders Kinder, deren Familien aus der Türkei kommen, sind zu einem hohen Anteil an Schulen mit niedrigerem Bildungsniveau vertreten. Wenngleich mehr ausländische Jugendliche als früher höhere Bildungsabschlüsse erreichen, so liegt ihr Anteil unter den Schülern mit Realschulabschluss und (Fach-) Hochschulreife doch deutlich unter dem der deutschen Vergleichsgruppe, während er bei Absolventen mit Hauptschulabschluss sowie ohne Schulabschluss darüber liegt. Aussiedlerkinder können mit den schulischen Leistungen der anderen deutschen Kinder nicht mithalten, nehmen aber eine höhere Position ein als Kinder aus Migrantenfamilien anderer Herkunft. Ein durchaus überraschender Befund zeigt weiterhin, dass "Bildungsarmut" keinesfalls nur die Gruppe der neu zugewanderten Kinder und Jugendlichen betrifft. Vielmehr ist gerade die zweite Generation schlechter gestellt, also diejenigen, die als Kinder von Zugewanderten in Deutschland geboren wurden.

Familie entscheidend für Bildungskarriere

Verschiedene sozio-kulturelle Faktoren nehmen Einfluss auf die Chance von ausländischen Kindern und Jugendlichen, einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen. Negativ wirkt sich etwa ein traditionell-konservatives Schulsystem aus, ebenso das Wohnen in Gemeinden mit geringerer Einwohnerzahl, die Identifikation mit dem Herkunftsland und auch die Befürwortung traditioneller Geschlechterrollen. Betrachtet man die Reihe außerschulischer Einflussfaktoren genauer, kristallisiert sich die Familie als der maßgebliche Ort heraus, der über die Lern- und Aneignungsmöglichkeiten von Kindern und ihre "Bildungskarriere" entscheidet. In der Familie findet die Vorbereitung auf die Schule und das so genannte schulische Lernen statt. Hier erledigen die Heranwachsenden ihre Hausaufgaben, vertiefen das in der Schule erworbene Wissen und bereiten ihre Prüfungen vor. In welcher Weise informelle Lernprozesse innerhalb der Familien die Chancen von Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen, sozial schwachen Migrantenfamilien für bildungsrelevante Erfahrungen tatsächlich maßgeblich verringern, wird anhand fünf einschlägiger Befunde diskutiert:

  • Die Unterstützung bei den Hausaufgaben hängt vom Bildungsniveau der Eltern ab und ist bei jugendlichen Schülern der Haupt- und Realschulen in zugewanderten Familien im Verhältnis zu alteingesessenen deutschen Familien deutlich geringer ausgeprägt.

  • Kinder, die in bildungsfernen, armen Familien sowie in Migrantenfamilien aufwachsen, haben weniger Beziehungen zu Gleichaltrigen als Kinder aus privilegierten Familien. Das wirkt sich nachteilig auf deren Lernprozesse aus.

  • Migranteneltern sind i.d.R. weniger mit dem deutschen Bildungssystem vertraut und können eigene bildungsrelevante "Kapitalien" nicht ohne weiteres übertragen. Sie sind sprachlich oftmals nicht in der Lage, ihren Kindern als Vorbild zu dienen und deren Lernprozesse den schulischen Erwartungen entsprechend zu unterstützen.

  • Gemeinsame Aktivitäten mit der Familie sind für Kinder aus Migrantenfamilien seltener als dies für Kinder aus Familien ohne Migrationshintergrund der Fall ist. Dadurch fehlen außerschulische Lernerfahrungen wie zum Beispiel durch Ausflüge, Musizieren, Sport oder Kinobesuche.

  • Das hohe Maß an Bindung und Solidarität zwischen Kindern und Eltern in zugewanderten Familien stellt einen wichtigen Schutzfaktor gegen Ausgrenzung gerade von Jugendlichen der zweiten Generation dar. Die dadurch erfolgende Stabilisierung "mitgebrachter" kultureller Orientierung kann sich vordergründig auch als sinnvoll für Lern- und Bildungsprozesse erweisen. Im Hinblick auf die Integrationsanforderungen des Aufnahmelandes scheint sie jedoch hinderlich zu sein und Bildungschancen eher zu mindern.

Chancen erkennen und fördern

Damit die Abwärtsspirale von "Bildungsarmut" und geringem sozialen Status aufgrund der Herkunft unterbrochen werden kann, wird von der Expertenkommission auf allen Ebenen der Bildung, Betreuung und Erziehung ein dringender Handlungsbedarf deklariert. Besondere Bedeutung für die Erhöhung von Bildungs- und Teilnahmechancen von Migrantenkindern und -jugendlichen kommt dabei dem (zusätzlichen) Erwerb der deutschen Sprache bzw. mehrsprachiger Kompetenz zu. Es wird von der Organisation von Bildung, Betreuung und Erziehung abhängen, ob interkulturelle Kompetenz als Ressource im Prozess der Globalisierung zum Einsatz kommt und somit auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine Internationalisierung des Arbeits- und Wirtschaftsmarktes geschaffen werden.


Autorin: Delia Schröder

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