Integration in Deutschland 4/2005, 21.Jg., 15. Dezember 2005

PROJEKTE

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Gut gerüstet ins Berufsleben

Förderunterricht der Stiftung Mercator

"Die Zahl der SchülerInnen in deutschen Schulen, die nicht auf muttersprachliche Deutschkenntnisse zurückgreifen können, wächst stetig an. Viele von ihnen haben mit dem gleichen Problem zu kämpfen: Mangelnde Kenntnisse der deutschen Sprache verringern ihre Chancen auf einen qualifizierten Schulabschluss und nehmen ihnen die Möglichkeit, gut ausgerüstet ins Berufsleben zu gehen", so heißt es in der Ausschreibung der Stiftung Mercator (Essen). Diese schulpolitisch ernüchternde Feststellung ist der Ausgangspunkt für das Mercator-Projekt "Förderunterricht für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund", das bundesweit Modellcharakter besitzt.

Derzeit werden bundesweit 28 Standorte von der Stiftung unterstützt. Dazu gehören neben Städten in Nordrhein-Westfalen - von Köln bis Bottrop - auch die ostdeutschen Städte Potsdam, Dresden und Leipzig sowie weitere Großstädte zwischen Freiburg und Hamburg. Die Ausweitung des Förderunterrichts auf das gesamte Bundesgebiet erfolgte im Juni 2004. So soll nun unter anderem auch im Saarland dieser projektgebundenen sprachlichen Integrationsarbeit an ausgewählten Schulen begonnen werden, die jeweils einen hohen Anteil an Migrantenkindern aufweisen und sich in der Regel in so genannten "sozialen Brennpunkten" befinden.

Praxisorientierung im Vordergrund

Begleitet wird das Projekt von den MitarbeiterInnen des Lehrstuhls Deutsch als Fremdsprache an der Universität des Saarlandes (Prof. Dr. Lutz Götze), die die FörderlehrerInnen (Studierende im Fach Deutsch als Fremdsprache) ausbilden und regelmäßige Sprachstandsmessungen bei den unterrichteten Kindern und Jugendlichen durchführen. Durch die Mitwirkung an diesem schulpolitisch äußerst wichtigen Projekt setzt der Lehrstuhl Deutsch als Fremdsprache sein Engagement im Bereich Integration fort, das er bereits erfolgreich durch die Gestaltung von Fortbildungsmaßnahmen für Lehrende in Integrationskursen im Rahmen des neuen Zuwanderungsgesetzes initiiert hatte (vgl. AiD 2/05). Hier spiegelt sich abermals die Praxisorientierung des Faches Deutsch als Fremdsprache wider.

Im Sinne des "Projekttransfers" werden die Ergebnisse des Mercator-Projekts mit dreijähriger Förderdauer sowohl der Spracherwerbsforschung als auch der Erarbeitung von Sprachfördermodulen dienen, die dann auf andere Projekte übertragbar sind. Darüber hinaus steht das Mercator-Projekt auch in einem engen inhaltlichen Zusammenhang zu dem BLK-Projekt "SIGNAL" des saarländischen Bildungsministeriums, das bereits in der Grundschule mit der sprachlichen und sozialen Netzwerkarbeit (Eltern, LehrerInnen, soziale Einrichtungen) ansetzt.

Parallel zur fachlich-didaktischen Schulung in einem speziellen Praxisseminar als Teil des Studiums Deutsch als Fremdsprache bereiten die MitarbeiterInnen des Diakonischen Werk (DW) an der Saar die Studierenden auch auf ihre Arbeit als "Integrationshelfer" vor. Außerdem fungiert das DW als Verbindungsglied zwischen Universität und den Einsatzschulen, da es bereits auf wertvolle Erfahrungen aus der Integrationsarbeit vor Ort aufbauen kann.

Der Rückgriff auf FörderlehrerInnen mit eigenem Migrationshintergrund bei der Auswahl der auszubildenden Studierenden stellt ein Grundprinzip des Projekts dar und unterstreicht die Gegenseitigkeit des Lernprozesses für Lernende und Lehrende gleichermaßen. Frühzeitig werden die zukünftigen LehrerInnen an Schulen mit der für die Ausbildung inzwischen notwendigen Zusatzqualifikation "Deutsch als Zweitsprache" ausgestattet. Sie lernen dabei, die positiven Effekte des ungesteuerten Spracherwerbs bei Migrantenkindern im tagtäglichen Umgang mit Sprechern deutscher Muttersprache mit der gezielten Vermittlung der Schlüsselkompetenz "Sprache" am Beispiel der wichtigsten Schulfächer zu verbinden. Im Gegensatz zur bisherigen Konzentration bei der Ausbildung auf die Zielgruppe der erwachsenen LernerInnen wird den Studierenden jetzt eine Differenzierungsmöglichkeit bei der Wahl der Lernergruppe und den damit einhergehenden Methoden der Sprachvermittlung angeboten.

Einen weiteren wichtigen Bestandteil des Projekts bildet die "family literacy" (Familienarbeit), da die Sprachlernvoraussetzungen auch sozialpsychologische Faktoren einschließen, darunter auch die (Mutter-)Sprache der Eltern und ihre Einstellung zur Institution Schule.

Zu Beginn des Wintersemesters 2005/06 nahmen 20 zukünftige FörderlehrerInnen ihre Arbeit auf, um theoretisch fundierte, interkulturelle Vermittlungsstrategien in die Praxis umzusetzen. Das gemeinsame Ziel ist es, die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund an saarländischen Schulen dauerhaft zu erhöhen.


Autorin: Dr. Elisabeth Venohr, Lehrstuhl Deutsch als Fremdsprache, Universität des Saarlandes

Weitere Infos: www.stiftung-mercator.de, www.mercator-foerderunterricht.de oder www.uni-saarland.de/fak4/fr41/goetze/ oder über Frau Dr. paed/RUS Elena Tregubova (Tel.: 0681/ 302-3712)

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Vortragsreihe "Migration und Bildung"

 

Köln. An der Forschungsstelle für interkulturelle Studien der Universität zu Köln begann am 2. November 2005 eine neue Vortragsreihe "Migration und Bildung ". Es handelt sich um ein Begleitprogramm zur Ausstellung "Projekt Migration" (vgl. AiD 3/05). Inhalte der Ausstellung sollen vertieft und erweitert werden. Das Kolloquium im WS 2005/2006 wird noch bis zum 8. Februar 2006 fortgeführt. Themen sind unter anderem: "Zwischen Barrieren und Ressourcen - Bildungswege von Jugendlichen mit Migrationshintergrund", "Ausländerkinder" im Schulbuch - zwischen Stühlen, Welten, Kulturen", "Migration, Mehrsprachigkeit und Bildung" sowie "Bildungserfolgreiche junge Frauen mit Migrationshintergrund". Die Vorträge finden statt im Rotary Raum der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät. (esf)

Info: Dr. Tekin Ugur 0221/470-6331, Programm unter www.projektmigration.de (Begleitprogramm)

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Islam im Klassenzimmer

 

Hamburg. Sehr unterschiedliche und zum Teil neue und unkonventionelle Ansätze zum pädagogischen Umgang mit dem Islam stellt ein 2005 bei der Edition Körber Stiftung erschienenes Buch "Islam im Klassenzimmer" vor. Auf 230 Seiten sollen nicht nur Lehrer/innen, sondern auch Sozialpädagoginnen und -pädagogen, Stadtteilbeauftragte, Bildungsexpertinnen und -experten und alle, die an Migration und Bildung interessiert sind, Impulse für die Bildungsarbeit bekommen. Herausgeberin des Buches ist Sanem Kleff, Vorstandsmitglied von AKTIONCOURAGE und Leiterin des europäischen Projekts "Schule OHNE Rassismus - Schule MIT Courage" in Deutschland. In ihrem Vorwort schreibt sie, die PädagogInnen dürften mit den Fragen, Herausforderungen und auch Ängsten, die der Islam im Klassenzimmer hervorrufe, nicht allein gelassen werden. Das Buch will hier praxisbezogene Hilfestellung leisten. 14 AutorInnen geben in ihren Beiträgen Impulse zur Orientierung, Öffnung und zum Dialog. Dabei gibt es neben Themen wie "Islamunterricht", "Lernwelten" und "Integration macht Schule" auch einen Serviceteil, der Informationen und Kontakte sowie Literaturempfehlungen bietet. (gh)

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Freude am Lernen

Das Luisen-Bildungs-
Centrum in Darmstadt

Was tun wir meistens, wenn wir in den Pisa-Studien vom schlechten Abschneiden deutscher Schüler und der Chancenungleichheit für Arbeiter- und Einwandererkinder lesen? Wir suchen Schuldige, und das sind dann fast immer die Lehrer und Politiker. Dass es auch anders geht, beweisen junge türkische Studierende in Darmstadt.

Nil Akyüz betritt den Klassenraum und wird von fünf strahlenden Mädchengesichtern empfangen. Der Grund sind die guten Noten der beiden Schwestern Nahide und Tuba Caglar. Solche Noten waren für beide vor wenigen Wochen noch ein Traum und unvorstellbar. Was nicht verwunderlich ist, denn ihre Eltern sprechen nur Türkisch, und wenn sich die Kinder unterhalten, sprechen sie einen Mischmasch aus Deutsch und Türkisch.

In Deutschland geboren und aufgewachsen, studiert Nil Akyüz an der Universität Frankfurt die Fächer Geografie und Geschichte für das Lehramt an Haupt- und Realschulen. Zweimal in der Woche kommt sie in die Zimmerstraße 4 nach Darmstadt ins Luisen-Bildungs-Centrum (LBC), um Deutsch und Englisch zu unterrichten. So viel Interesse und Aufmerksamkeit wie im LBC wünscht sich die angehende Lehrerin auch in ihrem späteren Beruf.

Im Jahr 1998, die Pisa-Studie war noch nicht in Sicht, kamen Eltern und türkische Studierende in Darmstadt zusammen, um nach Wegen zu suchen, Kindern und Jugendlichen eine bessere Erziehung und einen höheren Bildungsstand zu ermöglichen. Die Türken kannten aus ihrem Land die Bedeutung der außerschulischen Nachhilfe. Dort wird sie nicht in erster Linie als Einrichtung für Lernschwache angesehen, sondern als Unterstützung, in die Leistungsspitze vorzudringen oder sich dort zu halten. Die in Deutschland lebenden türkischstämmigen Kinder und Jugendlichen bewegen sich aber meistens nicht im oberen Leistungsdrittel. Die Ursachen liegen häufig in den Sprachschwierigkeiten sowie im oft niedrigen Bildungsstand der Eltern.

"Wir möchten den Vorteil nutzen, dass wir das Schulsystem und die Lernkultur sowohl Deutschlands als auch der Türkei erlebt haben", so Gründungsmitglied Sedat Altinpinar. "Verständnis füreinander entsteht nur, wenn sich beide Völker besser kennen- und schätzen lernen." Was erfolgreiche Nachhilfe angeht, könnte Deutschland in der Tat vom türkischen System lernen. Die Zahlen sprechen für sich: bei ca. 80 % der Nachhilfeschüler haben sich innerhalb eines Jahres die Schulnoten verbessert. "Dass unsere Leistungen größtenteils von türkischen Elternhäusern nachgefragt werden, liegt überhaupt nicht in der Absicht des LBC, hat seine Gründe aber vielleicht auch in den Berührungsängsten der Menschen anderer Nationen." Da sei noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.

Besondere Lernatmosphäre

Nicht der Lernerfolg allein steht im Vordergrund, sondern es ist die offene Atmosphäre und das Lernen in kleinen Gruppen, weshalb man das Gefühl hat: Hier macht Lernen Spaß. "Aber nicht nur das, sondern z.B. auch gemeinsames Eisessen, Sport und Theater spielen stehen regelmäßig auf dem Programm", so Seref Karafilik, einer der Betreuer, "und ganz viele machen mit.

"Am Anfang wollte er gar nicht hierher kommen, doch seine Mutter ist sehr ehrgeizig und ihr zuliebe ging er doch," berichtet Mustafa Caglar. Vorstandsmitglied Mevlüt Kayar ist die Begeisterung anzumerken, als er von dem 14jährigen erzählt, der zufällig den gleichen Nachnamen wie Nahide und Tuba trägt. "Vor 2 Jahren kam er zu uns. Da zählte er noch zu den schlechteren Schülern in seiner Klasse, jetzt ist er selbstbewusst und einer der Besten, hat dadurch andere motiviert, auch zu uns zu kommen." "Das, was mir hier am besten gefällt, ist, dass wir uns hier immer gegenseitig helfen", so Mustafa selbst. Sein größter Wunsch ist es, Arzt zu werden, nach dem Vorbild eines Cousins in der Türkei. Keiner der Lehrer hat Zweifel daran, dass Mustafa es schaffen wird, sein Berufsziel zu verwirklichen.

Die beste Nachhilfe nützt nicht viel, wenn es im Elternhaus nicht richtig läuft. Deshalb bietet das LBC auch hier Unterstützung an und berät über Erziehungsfragen und Bildungschancen.

Es ist ein ganz und gar partnerschaftliches Vertrauensverhältnis zwischen Eltern, Lehrern und Lernenden", so Resat und Nuray. Ihr Sohn Denizhan besucht mit Erfolg das LBC. "Nur wenn die Eltern einen guten Schulabschluss ihrer Kinder anstreben, können wir erfolgreich sein", sagen alle Vorstandsmitglieder unisono.

Expansion geplant

"Im letzten Sommer fand unsere Selbstdarstellung mit kleinen wissenschaftlichen Schülerprojekten im Darmstädter Stadtzentrum große Resonanz in der Bevölkerung. Wir gehen in die örtlichen Schulen und werben für unser Projekt. "Die sind alle sehr an unserer Arbeit interessiert, mittlerweile haben wir mehr Anmeldungen als Plätze", schildert Vorstandsmitglied Hasan Özcelik die momentane Situation. Im benachbarten Dieburg und in Erbach im Odenwald sind bereits Zweigstellen entstanden. Mit 59 Jungen und 56 Mädchen ist die Aufnahmekapazität in Darmstadt erschöpft, die Suche nach neuen Räumlichkeiten in der Innenstadt hatte bisher keinen Erfolg, aber dem Stadtoberhaupt, Oberbürgermeister Walter Hoffmann, liegen die Aktivitäten der Tüchtigen am Herzen. Vor kurzem hat er gemeinsam mit der Justizministerin Brigitte Zypries eine Festivität des LBC eröffnet. Die Chancen, dem Namen gerecht zu werden und am Luisenplatz, dem Stadtzentrum Darmstadts, einen optimalen Standort zu finden, stehen also nicht schlecht.

Infos: www.lbc-ev.de 


Text und Cartoon: Henning Studte

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