Integration in Deutschland 4/2005, 21.Jg., 15. Dezember 2005

GLOSSE

 

Eine Studie besagt, dass die Deutschen jeden Tag über drei Stunden in die Glotze starren. Und die Leute in der Türkei stellen einen Weltrekord auf: Über fünf Stunden pro Tag! Aber wie lange sitzen eigentlich die Deutschtürken vor der Glotze? Fünf minus drei? Oder fünf plus drei?

Die Antwort ist: fünf mal drei! Das schaffen jedenfalls meine Kinder! Da sie ja irgendwann auch ein paar Stunden in der Schule schlafen müssen, schaffen sie deswegen nur 15 Stunden. Sie hoffen darauf, dass die Wissenschaftler bald das Schlaf-Gen knacken, damit sie keine Zeit mehr mit Schlafen vergeuden. Dieses `Nicht-Schlafen-Wollen´ überkommt sie natürlich immer Nachts! Morgens ist hingegen chronisches `Nicht-Aufstehen-Wollen´ angesagt.

Die Kinder protestieren lautstark als meine Frau Eminanim auf die Pausentaste drückt. Das wird dem Videorecorder und dem Fernsehapparat gut tun. Denn einer von den beiden qualmt bereits! Oder dampfen schon die Kinder?

Nach einer Woche organisiert Hatices Lehrerin Frau Ingeborg Lehrknecht-Ziegenbart nur für mich alleine einen Elternsprechtag.

"Herr Engin, Hatice macht weder ihre Hausaufgaben, noch liest sie ihre Schulhefte", beschwert sie sich.

"Das kann so nicht stimmen", wehre ich mich als verantwortungsvoller Erziehungsberechtigter, "ich sehe meine Tochter ständig lesen! Drei Fernsehhefte kriegen wir wöchentlich. Alle kann sie auswendig!"

Meine siebenjährige Tochter Hatice stimmt mir stolz nickend zu.

"Frau Lehrknecht-Ziegenbart, wenn Sie möchten, können wir die Kleine ja mal testen. Sag mal Hatice, ZDF, nächsten Samstag, 22:15?"

"Das Aktuelle Sport-Studio´ mit Johannes B. Kerner."

"Donnerstag, 0:20, RTL2?"

"Amerikanischer Erotikthriller: `Sexbesessen!´ Aus dem Jahr 93! Regie: Toby Philips! Darsteller..."

"Stopp, Hatice, stopp, das weiß ja jeder! Sag lieber, Dubai TV, Freitagmorgens 3:45?"

"Fünfte Wiederholung des Kamelrennens zu Ehren der 13. Frau des Sultans!"

"Das reicht, das reicht", höre ich Frau Ziegenbart empört kreischen, obwohl alle anderen Lehrer begeistert Beifall klatschen. "Das geht so nicht weiter, Herr Engin! Der Fernseher macht Ihr Kind verrückt. Sie müssen den Apparat abschaffen!"

"Wie denn? Ganz weg? Völlig ohne Fernseher?", stottere ich geschockt.

"Ja, Herr Engin. Um Ihre Familie zu retten, müssen Sie den Fernseher entweder verkaufen, oder in den Keller stellen!"

"Das kann ich nicht! So was bricht mir das Herz! Aber wenn es für die Volksgesundheit unbedingt sein muss, dann müssen Sie dieses Verbrechen schon selber begehen!"

"Na gut, dann stelle ich eben Ihren Fernsehapparat selber in den Keller", höre ich die gefühllose Stimme der eiskalten Hexe.

"Sie, Mörderin, Sie!" schreit Hatice und fällt in Ohnmacht.

Jetzt wohnen wir seit drei Monaten mit der gesamten Familie im Keller!

Osman Engin

Mehr von Osman Engin unter www.osmanengin.de 

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