Integration in Deutschland 4/2005, 21.Jg., 15. Dezember 2005

GRUNDSCHULE


Es bleibt viel zu tun

Migrantenkinder in deutschen Grundschulen


Förderunterricht - oft nur außerhalb der Schule durch Initiativen bereit gestellt

In den letzten Jahren war der Anteil recht stabil: Rund elf bis zwölf Prozent der Grundschulkinder in Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt Ausländer. Das ist eine stolze Zahl, zumal sie die Kinder von Aussiedlern noch nicht erfasst. Was erwartet diese Kinder in deutschen Grundschulen? Wie werden sie gefördert und welche Herausforderungen kommen auf sie zu? Bei der Auseinandersetzung mit diesen Fragen warnt Frau Dr. Katharina Kuhs von der Universität Koblenz-Landau davor, den Migrantenkindern ein Problem-Etikett aufzudrücken, nur weil sie nicht-deutscher Nationalität sind.

"Migrantenkinder sind grundsätzlich so unterschiedlich wie deutsche Kinder auch", so Kuhs. Sie bringen einen anderen und für deutsche Lehrer oft unbekannten soziokulturellen Hintergrund und eine andere als die deutsche Sprache als Muttersprache mit in die Schulen und Klassen, aber das werde nicht automatisch zum Problem. Ein gemeinsames Lernen und Spielen ist gerade im Grundschulalter oft noch vorbehaltlos und vielfach ohne kritische Betrachtung von Sprache, Religion und Aussehen die Regel. Probleme im interkulturellen Schulalltag entstehen meistens erst dann, wenn es zu kommunikativen Missverständnissen, zu negativen Erlebnissen oder zu Ab- und Ausgrenzungen kommt.

"Manchmal ist dies die Folge davon, dass Migrantenkinder in der ersten Zeit in der deutschen Schule nicht damit zurecht kommen, in einer Einrichtung zu sein, die kulturell und sprachlich so ganz anders ist als ihr außerschulisches soziales und familiäres Umfeld", sagt Kuhs. Grundschullehrerinnen und -lehrer sind ihrer Meinung nach hier besonders gefordert: Sie sollten das Gemeinsame aller Kinder betonen und das Besondere der Migrantenkinder ( z.B. die andere Muttersprache, andere kulturelle Gegebenheiten, Feste usw.) als Bereicherung in den Unterrichtsalltag aufnehmen. Das alles geht nur, so Kuhs, wenn der Sprache und Kultur der Migrantenkinder in Grundschulen eine positive Wertschätzung und eine hohe Akzeptanz entgegen gebracht wird.

Bezüglich der oft vorhandenen Notwendigkeit, Migrantenkinder in der Zweitsprache Deutsch zu fördern, verweist Kuhs auf die auch hier vorzufindende große Spannbreite an Sprachkompetenzen bei den Kindern. Zu den Einflussfaktoren hierauf zählt sie zum Beispiel das Ausmaß, in dem die Familien integriert sind, die Zeitspanne eines Kindergartenbesuchs, Kontakte mit deutschen Kindern und vor allem auch die Kompetenz in der Muttersprache. Migrantenkinder, die ihre Muttersprache gut beherrschen, haben es meistens auch leichter, Deutsch auf einem hohen Niveau zu erlernen.

Zur Beschulung von Migrantenkindern haben viele Bundesländer Richtlinien und Erlasse ausgearbeitet. Im rheinland-pfälzischen Erlass zum Beispiel wird u.a. eine "innere und äußere Differenzierung" vorgeschlagen, d.h. im Klartext: sowohl innerhalb der Regelklasse wie auch im Rahmen separater Förderstunden oder -kurse sollen die Deutschkenntnisse verbessert werden. Bezogen auf die innere Differenzierung führt Kuhs kritisch an, dass nach ihrer Beobachtung die einzelnen Lehrerinnen und Lehrer hier gerade bei den heutigen Klassengrößen und den vielfältigen Unterrichtsaufgaben überfordert sind: "Dies vor allem auch deshalb, weil Lehrerinnen und Lehrer hierfür nicht ausgebildet sind und weil es kaum geeignete Unterrichtsmaterialien für Deutsch als Zweitsprache in Regelklassen gibt." Die "äußere Differenzierung" bedeutet den allseits bekannten Förderunterricht. Dieser wird auf Antrag in einem bestimmten Stundenumfang genehmigt. "Nach meiner Erfahrung bringt Förderunterricht in Deutsch als Zweitsprache nur etwas, wenn die Fördergruppen sehr klein sind, wenn der Unterricht regelmäßig und in einem nennenswerten Umfang stattfindet und wenn es eine Verzahnung zum Regelklassenunterricht gibt", sagt Kuhs. In einigen Bundesländern,z.B. Nordrhein-Westfalen und Hamburg, gebe es Projekte die "zeigen, was man alles machen kann, wenn politischer Wille da ist und Geld bereit gestellt wird."

Unvorbereitete Pädagogen

Lehrerinnen und Lehrer können sich in einigen Bundesländern im Rahmen ihrer Ausbildung mit Fragen eines interkulturellen Unterrichts und der Förderung in Deutsch als Zweitsprache beschäftigen. Aber: "Kaum ein Bundesland gibt dieser Thematik im Lehrplan des Studiums so viel Raum, dass die späteren Lehrerinnen und Lehrer für die Arbeit mit Migrantenkindern angemessen ausgebildet wären", sagt Kuhs. An der Universität Koblenz-Landau beispielsweise gebe es bisher im ganzen Lehramtsstudium verpflichtend nur eine zweistündige Lehrveranstaltung, die überfüllt sei und natürlich nur einen oberflächlichen Einblick in das Thema geben könne. Ein Ergänzungsstudium "Deutsch als Zweitsprache" sei ein Angebot für besonders interessierte Studenten. Ähnliche Studiengänge gibt es auch in anderen Bundesländern.

Für die Zukunft wünscht sich Kuhs zweierlei: Zum einen, dass das Thema "Migrantenkinder" von den Grundschulehrerinnen und -lehrern (also von der "Basis") deutlicher zur Sprache gebracht wird, z.B. mit Forderungen an die Schulbehörden, die Aus- und Fortbildungseinrichtungen, die Schulbuchverlage. Zum anderen, dass von Seiten der Bildungspolitik nicht nur Lippenbekenntnisse kommen, sondern tatsächlich personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um Chancengleichheit herzustellen und eine multikulturelle Gesellschaft in der Grundschule lebendig werden zu lassen.


Autorin: Gabriele Höfling, isoplan

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"Mehr individuelle Förderung"

Interview mit Anne Lehmann

Anne Lehmann unterrichtet in der Grundschule an der Rennertstraße in Perlach (im Süden von München) die Grundschulklassen 1-2. Im September dieses Jahres hat sie eine erste Klasse übernommen: 20 Kinder, davon 10 mit Migrationshintergrund, also Jungen und Mädchen ausländischer Eltern oder solche aus Spätaussiedlerfamilien. Viele Erstklässler sprechen und verstehen nur unzureichend die deutsche Sprache. Wie geht man als Lehrerin damit um? AiD sprach mit Anne Lehmann über Ihren Schulalltag.

AiD: Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: sind viele ausländische Kinder (Kinder mit Migrationshintergrund) eher eine Belastung oder eine Bereicherung Ihrer Arbeit als Lehrerin - oder beides ?

Lehmann: Zunächst sind sie eine Herausforderung. Ich muss in meinem Unterricht immer wieder innehalten, um Wörter oder auch Situationen zu erklären. Das braucht Zeit, kommt aber letztlich allen Kindern wieder zu Gute. Also ist es am Ende auch eine Bereicherung für alle.

Sie haben lange Erfahrung mit Migrantenkindern in den Anfangsklassen. Hat sich die Situation in Ihrer Schule in den letzten Jahren verändert?

Die Anzahl der Migrantenkinder ist an unserer Schule in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen.

Was ist das größte Problem im Umgang mit nichtdeutschen Kindern?

Die mangelhaften Kenntnisse der deutschen Sprache. Die Schüler/innen erwerben meist rasch einen sehr begrenzten Wortschatz, mit dem sie sich verständlich machen können. Wenn im Elternhaus - und meist ist das der Fall - nur wenig oder gar nicht Deutsch gesprochen wird, verbessern sich die darüber hinaus für den Unterricht notwendigen Sprachkenntnisse - trotz Förderunterricht - nur sehr, sehr langsam oder gar nicht. Da dieses Sprachverhalten keine weitere Förderung im Elternhaus erfährt, bleiben einige Kinder lange oder auch immer auf diesem unzureichenden Sprachstand stehen.

Wie ist das in Ihrer Klasse: wie kommen deutsche Kinder mit den Jungen und Mädchen aus Migrantenfamilien aus?

Die Kinder gehen in der Schule unbefangen und offen miteinander um. Gegenseitige Einladungen am Nachmittag oder Familienkontakte sind eher selten.

Haben Sie bestimmte Kniffe oder Tricks, wie "interkulturelle Konflikte" überwunden werden können oder - um es weniger akademisch auszudrücken - damit ein "normaler Unterricht" stattfinden kann?

Ich greife - wo immer es geht - Gemeinsamkeiten auf: gemeinsame Feste, gleiche Wertevorstellungen (z.B. Höflichkeit, gegenseitige Wertschätzung, friedlicher Umgang miteinander). Andererseits wecke ich Interesse für die jeweils "fremde" Kultur, indem ich die Schüler/innen über häusliche Gebräuche berichten lasse.

Welche Rolle spielen die Eltern der Kinder aus Migrantenfamilien in der Schule?

Sie übernehmen dieselbe Rolle und Verantwortlichkeiten wie die Eltern der deutschen Kinder. Sie kommen zu Elterngesprächen. Sie nehmen am Schulleben teil wie die deutschen Eltern (genauso engagiert oder weniger engagiert).

Haben Sie Zugang zu den Eltern? Wie kommen Sie mit den Eltern in Kontakt?

Ich suche immer den direkten Kontakt mit den Eltern, um ihnen mein Erziehungskonzept darzulegen und bin - wenn es notwendig ist - hier sehr hartnäckig; denn Elternhaus und Schule müssen eng zusammenarbeiten. Die Deutschkenntnisse der Eltern sind sehr unterschiedlich, aber meist ist eine ausreichende bis gute Verständigung möglich, manchmal durch Einschaltung weiterer Familienangehöriger.

Zum Schluss noch eine hypothetische Frage: Wenn Sie als Lehrerin im Hinblick auf das Integrationsproblem eine Empfehlung an den Kultusminister geben könnten, was würden Sie ihm raten?

Unbedingt mehr individuelle Fördermöglichkeiten (Einzelstunden, Zusatzstunden) für die Schüler zu Beginn einrichten. Konsequentere Forderung an die Eltern, selbst die deutsche Sprache zu erlernen. Kleinere Klassen in Schulen mit hohem Migrantenanteil. Auch die Eltern brauchen individuellere Integrationshilfen.


Die Fragen stellte Martin Zwick, isoplan

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