Integration in Deutschland 1/2006, 22.Jg., 31. März 2006

GESUNDHEIT

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


SOS: Migranten im Krankenhaus

Wenn gesund werden an der Sprache scheitert

Sind Krankenhäuser überhaupt auf die sprachlichen Probleme von Migranten vorbereitet? Dieser Frage gingen die Verbraucherzentralen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz nach, nachdem sie mehrfach Beschwerden von Betroffenen erhalten hatten. Die Untersuchung bestätigte die Befürchtungen: Die Kliniken sind nicht ausreichend vorbereitet.


Was heißt "Blutdruck" auf polnisch?

„Von 35 Krankenhäusern in elf Städten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gab nur eine Einrichtung an, bei Verständigungsproblemen einen externen Dolmetscherdienst zu organisieren“, fasst Ursula Büsch, Projektbeauftragte „Verbraucherschutz auf dem Gesundheitsmarkt“ bei der Verbraucherzentrale in Mainz, die Ergebnisse der telefonischen Stichproben-Befragung zusammen. 

Vorgegeben wurde ein fiktiver Fall, bei dem für die Behandlung einer älteren, Türkisch sprechenden Patientin nach einer Übersetzungshilfe gefragt wurde. 34 Krankenhäuser hatten keinen verbindlichen Hinweis für den Umgang mit Migranten. Gerade mal vier Häuser gaben an, eine Liste mit fremdsprachigen Mitarbeitern für Dolmetsch-Hilfe zu führen. Doch eben diese Liste war während der Befragung durch die Verbraucherschützer nicht greifbar oder nicht auf dem aktuellsten Stand. Zudem waren die aufgeführten Mitarbeiter nicht für diese zusätzliche Aufgabe fortgebildet. Während 24 Krankenhäuser spontan Unterstützung organisieren wollten (mit Angehörigen aus der Familie des Patienten oder irgendwelchen Mitarbeitern des Hauses), war man in fünf Einrichtungen der Ansicht, dass ausländische Patienten ihr Sprachproblem selbst lösen müssten. Vier weitere lehnten es ab, sich um die sprachliche Verständigung mit Zugereisten zu kümmern. Deren Antwort: „…nein – da haben wir niemanden. Kann ich Ihnen nicht helfen!“. 

Ergebnisse, die die Verbraucherschützer nicht wundern: „Es gab mehrere Beschwerden, bei denen geschildert wurde, dass Betroffene wegen Sprachproblemen nicht ernst genommen wurden“, sagt Ursula Büsch. Im Vorfeld sei man darüber verwundert gewesen, da einige Krankenhäuser in ihren Qualitätsberichten bereits Dolmetscherdienste geführt hätten. „Dies kann tatsächlich so sein, allerdings scheint es den Häusern an interner Kommunikation zu mangeln. In der Befragung sind wir stets an der Pforte gelandet, auch da müssen Bedienstete über den Umgang mit Migranten Bescheid wissen“, fordert die Projektbeauftragte. 

Das Manko bei der Gesundheitsversorgung von Migranten führt nicht nur dazu, dass die Betroffenen unzureichend über Krankheiten, Therapiemöglichkeiten und die Dosierung von Medikamenten informiert sind, die Folgen können auch verspätete oder unsachgerechte Behandlungen sein. Diese wiederum belasten unnötig das Budget des öffentlichen Gesundheitssystems. 

Darüber hinaus ist die teilweise angewandte Methode des „Zufallsdolmetschers“ unter ethischen Gesichtspunkten kritisch zu betrachten. Konkret meinen die Verbraucherschützer damit das eventuell verschiedenartige kulturelle Verständnis von Gesundheit und Krankheit oder die Beziehungssituation von Übersetzer und Patient – die Türkisch sprechende Reinigungsfrau, die einem türkischen Patienten seine Prostataerkrankung übersetzt, ist da nur ein Beispiel.

Die an dem Projekt beteiligten Verbraucherzentralen fordern daher die Einrichtungen auf, klare, verbindliche Strukturen zu schaffen, die eine kompetente und ausreichende Kommunikation mit ausländischen Patienten gewährleisten. „Hier reicht es sicherlich nicht aus, nur auf Listen mit fremdsprachigen Mitarbeitern hinzuweisen“, betont Büsch. Sinnvoll und notwendig sei die Gewährleistung einer gleichberechtigten und professionellen Versorgung von nicht-deutschsprachigen Patienten im Krankenhaus mit dem Einsatz von fachlich kompetenten Übersetzern in einem strukturierten Organisationssystem. „Dies können speziell für diese Tätigkeit fortgebildete Mitarbeiter sein oder aber es kommt zum Einsatz von externen, speziell für den Gesundheitsbereich qualifizierten Dolmetschern“, erläutert Ursula Büsch und verweist auf Städtische Krankenanstalten in München und Hamburg, in denen es sogar einen hausinternen Dolmetscherdienst gibt.

So bietet das Klinikum München-Bogenhausen nicht-deutschsprachigen Patienten einen kostenlosen Dolmetscherdienst in 17 Sprachen. Doch ein derartiges Angebot kann es nicht überall, vor allem nicht auf dem Lande geben. Darüber ist man sich auch bei den Verbraucherschützern im Klaren. Dennoch könnten mehrere Kliniken miteinander kooperieren und sich externe Dolmetscher „teilen“. 


Autorin: Kerstin Dillmann

[ Seitenanfang ]


Kultursensible Pflege

 

Seit September 2005 ist es in Rheinland-Pfalz am Start: das bundesweit erste Projekt, das gezielt Jugendliche mit Migrationshintergrund anspricht und für den Pflegeberuf qualifiziert. Die Nachkommen der Migranten verfügen über besondere Ressourcen, dachte sich das rheinland-pfälzische Sozialministerium mit Malu Dreyer an der Spitze. Zusammen mit dem Klinikum der Stadt Ludwigshafen und der Berufsbildenden Schule der Fachrichtung Gesundheit/Pflege hat man das Modellvorhaben auf vier Jahre angelegt – gefördert durch die Bund-Länderkonferenz für Bildungsplanung und das Land mit rund 100.000 Euro. „Während einer zweijährigen Ausbildungsvorbereitung erwerben die Jugendlichen die erforderlichen Voraussetzungen für die Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung in der Pflege“, sagt Staatssekretär Richard Auernheimer. Dabei werden neben der gezielten sprachlichen Förderung methodische Kompetenzen sowie fachtheoretische und fachpraktische Grundbildung vermittelt. Ergänzt wird das Ganze durch betriebliche Praktika. Damit verbindet das Modellprojekt gleich mehrere Ziele: „Es eröffnet jungen Menschen berufliche Perspektiven in einem Berufsfeld, in dem vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung immer mehr gut ausgebildete Fachkräfte benötigt werden. Darüber hinaus trägt es auch zur Förderung der interkulturellen Pflege bei, der angesichts einer steigenden Zahl von pflegebedürftigen Menschen mit Migrationshintergrund eine wachsende Bedeutung zukommt“, betont der Staatssekretär. 

Nicht zu unterschätzen sei die Förderung der interkulturellen Kompetenz, über die gerade Jugendliche aus zugewanderten Familien verfügen. „Beim wachsenden Bedarf an kultursensibler Pflege werden diese Kompetenzen zum Qualifikationsvorteil, der die Chancen der Jugendlichen am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt erhöht“, sagt Auernheimer. (kd)

[ Seitenanfang ]


Dolmetscher-
dienste

 

Seit 1996 übersetzen im Städtischen Krankenhaus München-Schwabing fast 50 Mitarbeiter in über 20 Sprachen Gespräche mit Patienten und Angehörigen. Dabei verfährt dieser hausinterne Dolmetscherdienst nach professionellen Regeln. Das Organisationsmodell hat sich bewährt, wirkt qualitätssichernd und kostengünstig. Das Buch „Wenn wir uns nicht verstehen, verstehen wir nichts – Übersetzen im Krankenhaus. Der klinikinterne Dolmetscherdienst“ informiert über die Bedeutung der sprachlichen Kommunikation bei einer Krankenbehandlung und reflektiert interkulturelle Probleme. Zudem stellen die Autoren – Elisabeth Wesselmann, Tuula Lindemeyer und Alfred L. Lorenz – auch andere Vorgehensweisen und Dolmetscherdienste vor und vergleichen sie mit der Effektivität und Nachhaltigkeit des Münchner Modells. Das 130-seitige Werk (ISBN 3-935964-41-2) ist 2004 im Mabuse-Verlag erschienen und kostet 17,90 Euro. (kd)

[ Seitenanfang ]


Interkulturelle Kommunikation im Krankenhaus

 

Pflegende und Ärzte beklagen sich häufig über Patienten mit Migrationshintergrund - beispielsweise über diffuse Angaben zu Krankheitsbildern, die eine Diagnose erschweren, über fehlende Sprachkenntnisse oder über zu zahlreichen Patientenbesuch, der die Krankenzimmer bevölkert. Was ist dran an diesen Einschätzungen? Worin bestehen die Schwierigkeiten und Barrieren im Umgang miteinander? Und: Welche Rolle spielt dabei "die Kultur"? Diesen und anderen Fragen geht eine im Oktober 2005 beim transcript-Verlag erschienene Studie "Interkulturelle Kommunikation im Krankenhaus" (ISBN: 3-89942-392-5) von Dr. Verena Dreißig nach. Die von der Ethnologin und Pädagogin erstellte Studie zur Interaktion zwischen Klinikpersonal und Patienten mit Migrationshintergrund wird illustriert durch viele Beobachtungen aus der Feldforschung. Die hier präsentierten Lesarten des Krankenhaussettings bieten (nicht nur) interessierten Akteuren des Gesundheitssystems eine Fülle wertvoller Anregungen. Die 256-seitige Publikation kostet 25,80 Euro. (esf)

[ Seitenanfang ]


Migrations-
biographie und Krankheit

 

Wird über Krankheit von Migranten gesprochen, werden schnell Kategorisierungen von Kulturdifferenz und Fremdheitserfahrung herangezogen. Um kulturalistische und verallgemeinernde Objektivierungen zu überwinden, hat Dr. Heidrun Schulze in einer biographietheoretischen Untersuchung anhand biographisch-narrativer Interviews seelische, körperliche und sozialweltliche Phänomene im Kontext von Migrationserfahrungen untersucht. Als "medizinische Fälle" diagnostizierte, türkische Menschen wurden von der Psychotherapeutin (Universität Kassel) gebeten, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Diese biographischen Alltagserzählungen mit ihren Interpretationen der Migrationserfahrungen und des Krankwerdens in Deutschland stehen im Zentrum der im April 2006 beim transcript-Verlag erscheinenden Studie. Die eigene Lebenspraxis wird als biographische Arbeit bei der Balancierung lebens- und familiengeschichtlicher Erfahrung und von gesellschaftlichen Anforderungen gewürdigt. Die 350-seitige Studie "Migrieren - Arbeiten - Krankwerden" (ISBN: 3-89942-495-6) geht folgenden Fragen nach: In welche lebensgeschichtliche und gesellschaftliche Konstellation sind die Erfahrungen von Krankheit eingebettet? Welche Rolle spielt die individuelle Migrationsgeschichte? Wie sprechen Menschen über ihr eigenes Leben und die Welt und wie wird dieses Sprechen durch die Gegebenheiten im Herkunfts- sowie im Migrationsland beeinflusst? (esf)

[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ]

© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden).

Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis.