Integration in Deutschland 1/2006, 22.Jg., 31. März 2006

MEDIEN

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Verzerrtes Bild

Ilka Desgranges zu Migranten in den Medien

Oftmals vermitteln die Medien hierzulande ein einseitiges Migrantenbild. Bilder von Frauen mit Kopftuch in der Debatte um das Zuwanderungsgesetz oder Headlines wie „Polnische Metzger zerstören Arbeitsplätze in Deutschland“ sind klischeehaft und diskriminierend. Der Deutsche Presserat wacht über die Einhaltung der publizistischen Grundsätze (Pressekodex). Darin ist auch ein Diskriminierungsverbot enthalten. Er ist ein freiwilliger Zusammenschluss der Journalisten- und Verlegerverbände. Als freiwillige Selbstkontrolle der Printmedien hat der Presserat hauptsächlich zwei Ziele: Lobbyarbeit für die Pressefreiheit in Deutschland zu leisten und Beschwerden aus der Leserschaft zu bearbeiten. Dr. Ilka Desgranges (Foto), bis vor kurzem Sprecherin der Organisation in Bonn, ist Leiterin der Regionalredaktion Mitte der Saarbrücker Zeitung.

AiD: Wie werden Ausländer in den Medien gezeigt?

Dr. Desgranges: Jugendliche Ausländer, die gerade irgendwelchen Unsinn anstellen, oder Ausländer, die Straftaten begehen, sind ebenso ein beliebtes Medienbild wie die Frau mit dem Kopftuch im Kontext mit der Zuwanderungsdebatte. Hier wird in den Medien sehr viel Negatives und Klischeehaftes transportiert.

Viele Migrationsexperten beklagen eben dieses verzerrte Migrantenbild in den Medien. Wie sehen Sie das?

Dieses Bild ist sicherlich nach wie vor verzerrt. Ausländer werden nur in bestimmten Situationen dargestellt. Dabei wird der Alltag und die Normalität im Leben der Migranten nahezu ausgeblendet. Das liegt daran, dass Journalisten zu wenig Auslandserfahrung oder zu wenig Kontakt mit Migranten haben. Ein anderer Grund könnte sein, dass Journalisten denken, solche klischeehaften Bilder würden beim Zuschauer oder Leser am stärksten ankommen.

Oft liest man Schlagzeilen wie „Der Angeklagte ist Türke mit deutschem Pass“ oder Ähnliches. Wenn der Täter aber Deutscher ist, wird die Nationalität ausgeblendet. Wie kommt es zu dieser Unterscheidung?

Vielleicht spielt die Auffassung, dass Ausländer öfters straffällig werden als Deutsche, im Hintergrund eine Rolle, obwohl Statistiken ein anderes Straftäterspektrum vermitteln. Die Nennung der Nationalität in diesen Fällen ist ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot. Trotzdem werden Nationalitätenzugehörigkeiten oft genannt.

Welche Möglichkeiten besitzt der Presserat, um in solchen Fällen tätig zu werden?

Der Presserat kann selbst eine Beschwerde einlegen oder auf Beschwerden reagieren und Journalisten anmahnen, dass sie gegen Ziffer 12, also das Diskriminierungsverbot, bzw. die Richtlinie zur Berichtersattung über Straftaten verstoßen haben. Meistens wird dann von den Medien reagiert und der Sachverhalt klargestellt. Ansonsten kann der Presserat Rügen aussprechen, Missbilligungen und Hinweise. Doch der Presserat ist ein Organ der Freiwilligen Selbstkontrolle der Medien. Daher setzen wir auf Vermittlung zwischen Beschwerdeträgern und Medien. So gelingt es, dass die Zeitungen den Sachverhalt oft selber klarstellen.

Auch in Talkshows wird ein eher negatives Ausländerbild vermittelt. Junge Ausländer erscheinen da fast immer als Machos und Frauenhelden. Welche Auswirkungen haben solche Sendungen auf den Zuschauer?

Da verfestigt sich ein ganz bestimmtes negatives Bild, denn es gibt Zuschauer, die fest davon überzeugt sind, dass Talkshows ein Spiegel der Wirklichkeit sind. Gerade dieses Beispiel „Talkshows“ zeigt deutlich, wie weit die Medien noch davon entfernt sind, sich mit dem Alltag der Migranten zu befassen. Doch es gibt auch positive Entwicklungen, gerade weil es Interessantes aus dem Alltag der Ausländer zu berichten gibt. Es werden beispielsweise Migrantenvereine, Hilfsaktionen der Migranten oder einzelne Persönlichkeiten mit Migrationshintergrund vorgestellt. Allerdings sind diese Themen in unserer Berichterstattung noch nicht fest integriert. Der Alltag der Migranten ist noch kein Normalfall in den Medien.


Das Gespräch führte Dimi Triantafilu, Redakteur bei SWR International

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Migranten im TV

 

Eine Analyse der Uni Köln und anderer europäischer Hochschulen gibt Hinweise darauf, dass das Zusammenleben mit Migranten in öffentlich-rechtlichen TV-Sendern anders dargestellt wird als bei privaten Sendern. Bei den öffentlich-rechtlichen Medien werde vor allem auf die Probleme der Ausländer in den für sie fremden Ländern eingegangen. Dagegen würden bei privaten Sendern eher die Nachteile herausgestellt, die der jeweils heimischen Bevölkerung aus der Zuwanderung entstünden. Grundlage der Analyse sind Videoclips und Filmsequenzen unterschiedlicher Genres, die Studenten aus Köln, Barcelona, Gent und Stavanger untersuchten. Inwieweit die gewählten Beispiele tatsächlich eine generelle Tendenz widerspiegelten, könne jedoch erst durch eine weitergehende, detailliertere Analyse nachgewiesen werden, heißt es. (gh)

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Seifenoper

 

Der Russe Boris sucht eine Bleibe in Hamburg und trifft im Kulturcafé auf Galina aus Kasachstan. Die nette Aussiedlerin hilft ihm, Vermieter anzurufen und begleitet ihn aufs Amt, um für ihn zu dolmetschen. Ob sich dann zwischen Boris und Galina etwas tut und wer eventuell seine Sorgen bei der Caféinhaberin Heike ausschüttet, wird man in den nächsten Folgen von „Café Deutsch“ des Bürger- und Ausbildungskanals TIDE TV (19.30 Uhr im Hamburger Kabelkanal 2) der Hamburg Media School sehen. Die fiktive „Doku-Soap“ läuft seit dem 4.März 2006 und soll bis Ende des Jahres gesendet werden. Außer Galina und Boris gibt es noch die brasilianische Köchin Rosario, die schöne und streitsüchtige Türkin Leyla, ein afrikanisches Paar und den schlecht gelaunten Hausmeister Markuse. Sie verlieben sich, trennen sich, suchen Arbeit, bekommen ein Kind oder werden krank. Die Soap-Protagonisten werden von Laiendarstellern und arbeitslosen Schauspielern gespielt, die mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds so (wieder) in die Arbeitswelt integriert werden. TIDE sieht die Seifenoper als neue Form von Bildungsfernsehen: Während sie mit Boris und Galina mitfiebern, lernen die Zuschauer, worauf man beim Mietvertrag zu achten hat und wozu ein Deutschkurs gut ist. (mjd)

Info: www.tidenet.de 

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Neukölln-Crash

Filmpreise für interkulturelle Themen

Seit einigen Jahren reüssieren Filme zu interkulturellen Themen, nicht wenige werden prämiert. So auch 2006. In "LA Crash" (Oscar für die beste Regie), "Knallhart", "The Road to Guantánamo" und "Grbavica" (Goldener Bär auf der Berlinale) "Schläfer" oder "Prinzessin" (Max-Ophüls-Preis) geht es um eine realistische Darstellung der Perspektivlosigkeit von Jugendlichen, um Rassismus und Gewalt, aber auch den Umgang damit.

Max Ophüls

Das Kinojahr 2006 begann mit dem Filmfestival Max Ophüls Preis Ende Januar in Saarbrücken. Etwas überraschend wurde bei diesem Nachwuchswettbewerb der erste Spielfilm von Benjamin Heisenberg, "Schläfer", mit gleich drei Preisen ausgezeichnet: den Max-Ophüls-Preis, den Drehbuch- und den Filmmusik-Preis. Die österreichisch-deutsche Koproduktion erzählt mit klaren, nüchternen Bildern eine vielschichtige Geschichte. Der junge Doktorand Johannes (Bastian Trost) nimmt an der Münchner Uni einen Forschungsauftrag an und lernt dort den Iraner Farid (Mehdi Nebbou) kennen. Beide arbeiten am selben Thema, allerdings mit unterschiedlichen Ansätzen. Johannes wird schon vor der ersten Begegnung vom Verfasssungsschutz angesprochen: Er soll Informationen über Farid liefern, der verdächtigt wird, ein islamistischer "Schläfer" zu sein. Johannes lehnt ab, betrachtet Farid aber unwillkürlich durch nicht mehr ganz neutrale Augen. Die beiden konkurrierenden Wissenschaftler freunden sich an, lernen eine Kellnerin kennen und unternehmen viel zu Dritt. In einem packenden Plot fügt Regisseur Heisenberg die Themen Freundschaft und Verrat, Karriere, Gewissen und Moral zu einem menschlichen Drama zusammen.

Ein gutes Fernsehfilm-Format hat auch die schonungslose Studie "Prinzessin" von Birgit Grosskopf. Anhand einer brutalen Mädchen-Gang beschäftigt sie sich mit dem Themenkreis Einsamkeit, fehlende Identität, Verwahrlosung und Gewalt von russischen, deutschen und Aussiedlermädchen in einer westdeutschen Hochhaussiedlung. "Prinzessin" wurde in Saarbrücken mit dem Preis des Ministerpräsidenten ausgezeichnet. In einer fast dokumentarisch wirkenden Kameraführung begleitet Grosskopf eine Gruppe aggressiver, gleichgültig und ziellos wirkender Mädchen in den Tagen vor Silvester. Während noch überall die Weihnachtsdekoration hängt, hängen die Jugendlichen auf dem Dach ihrer Hochhaussiedlung oder unter einer Unterführung ab. Yvonne und Katharina, eine Spätaussiedlerin, sind ein eingespieltes Team, während die anderen aus der Clique eher Mitläufer sind. Unruhig streifen sie trotz Kälte durch ihr Revier. Kommt man ihnen blöde, bezieht man Prügel. Gemeinsam versuchen sie, sich in der Perspektivlosigkeit der Vorstadt zu behaupten. Yvonne soll wegen früherer Straftaten zwar für sechs Monate ins Gefängnis, verbirgt sich dann aber vor der Polizei. Ihre verwahrloste Mutter und deren neuer Freund haben sie ausgestoßen. Vulgär, provokativ und aggressiv begegnet sie ihrer Umwelt, ob in der Straßenbahn oder einer Bar. Ein Mädchen einer konkurrierenden türkischen Gang tritt sie brutal zusammen. Auch sonst kennen die vier keine Grenzen. Katharina, die als einzige eine Arbeit hat - sie putzt in einem Automatenhotel das am Personal spart -, findet nichts dabei, sich dort mit ihrem Freund zu vergnügen. Später löst sie sich von Yvonne, die sich nun von allen verlassen fühlt und sich in einer Spirale abwärts bewegt. Es kommt zu zwei "showdowns" nacheinander: zum einen mit Katharina, zum anderen mit der wieder genesenen Türkin.

Grosskopf hatte sich nach Medienberichten über Mädchencliquen und -gangs in den vergangenen Jahren, zum Beispiel in Köln-Chorweiler, gefragt, was daran authentisch ist. Sie traf sich mit Streetworkern, erfuhr einiges über das auch bei Mädchen existierende Bedürfnis nach einem gewalttätigen Ausleben von Aggressionen und wunderte sich, dass sich diese heute nach außen richtet. Früher, sagte sie bei der Präsentation in Saarbrücken, haben Mädchen Aggressionen eher nach innen gelenkt. Insofern sei die Frage interessant gewesen, wieso diese heute nach außen gerichtet werde. Ob es damit zu tun habe, dass Mädchen gesagt wurde, sie sollten lernen, sich zu wehren?

Mit der Auszeichnung von "Schläfer" und "Prinzessin" setzte die Hauptjury stark auf die Inhalte. So ging der formal überragende und hoch spannende Beitrag "Unter der Sonne" des schweizerischen Regisseurs Baran bo Odar leer aus. Der Dokumentarfilmpreis ging an die deutsch-spanische Produktion "Mañana al mar" von Ines Thomsen. Einige weitere Filme, die außerhalb des Wettbewerbs gezeigt wurden, beschäftigen sich ebenfalls mit Migrationsthemen. So ist die österreichisch-mexikanische Produktion "Volver la vista - Der umgekehrte Blick" von Fridolin Schönwiese eine spannende Zusammenstellung von Interviews mit 26 Frauen und Männern: in Mexiko lebende Österreicher und in Österreich lebende Mexikaner. Die einen arbeiten als Gastwirte, Künstler oder Musiker, andere folgten der Liebe oder hatten aus politischen Gründen ihre Heimat zu verlassen. Schönwiese lässt sie in ihrer neuen Sprache über die alte Heimat erzählen - einen Ort, den viele schon jahrelang nicht mehr gesehen haben. In der Erinnerung hat sich dieser, so scheint es, zu einem selektiven Konglomerat von Bildern, Tönen und Eindrücken verdichtet. Dabei sind die Sprechenden nie in der Interviewsituation zu sehen. Der Film belässt ihre Stimmen im Off, wo sie sich, weit gehend aus der Individualität gelöst, zur großen gemeinsamen Erzählung über das Fremdsein, über Verlust und Rekonstruktion der Identität, Vorurteile und Klischees verweben.

Erwähnenswert sind eine Reihe weiterer Migrantenproduktionen. Die Kroatin Zrinka Budimlija, die seit 1998 in Köln lebt und studiert, hat mit "Benny und Rob" eine kurze Studie über die Liebe zwischen zwei Brüdern gedreht. Die Türkin Eren Onsöz, die seit 1997 als freie Autorin Radio- und Filmbeiträge produziert, hat in "Import-Export" eine komisch-lehrreiche Reise in die deutsch-türkische Vergangenheit gedreht. In ihrer Dokumentation nimmt Onsöz die Zuschauer mit auf eine Reise, von Berlin über St. Ingbert bis Istanbul, bei der sie den einzigen Türken der DDR-Zeit besucht, einen prominenten Nachkommen eines "königlichen Kammertürkens" trifft und herausfindet, worin die Wurzel des Begriffs "getürkt" liegen. Die in Wien lebende Tschechin Zuzana Brejcha begleitet in ihrem in dreijähriger Arbeit erstellten Dokumentarfilm "Romane Apsa" eine Romafamilie in einer ghetto-artigen Siedlung in Tschechien.

Andere Filme beleuchten den Umgang mit Minderheiten. Der Dokumentarfilm "Auf jüdischem Parkett" von Arielle Artsztein und Esther Slevogt konzentriert sich auf das kulturelle Leben im jüdischen Gemeindehaus am Kurfürstendamm in Berlin. Die Gemeinde, die sich nach dem Holocaust allmählich wieder gefunden hat, bekommt heute Probleme durch den Zuzug jüdischer Kontingentflüchtlinge und deren schwierige Integration in die Gemeinde. Fragen ethnischer Zugehörigkeit vermischen sich mit religiösen Fragen, Glaube und Folklore entwickeln sich auseinander. Der 86-minütige Film bietet bislang unbekannte Einblicke: "Bislang hat noch niemand versucht, die Türen zu öffnen. Es gab große Berührungsängste, manche haben sich auch wie in einem Ghetto verbarrikadiert. Erst mit den Kontingentflüchtlingen wurde das aufgebrochen," so Esther Slevogt bei der Präsentation in Saarbrücken. Der österreichische Dokumentarfilm "Operation Spring" schließlich spürt in Interviews mit Flüchtlingen, Anwälten und Beamten einer groß angelegten Polizeiaktion am 27. Mai 1999 in Wien nach. Über 100 Afrikaner eines angeblich international agierenden Drogenrings werden verhaftet, die meisten werden auf der Basis sehr zweifelhafter Videodokumente verurteilt.

Berlinale

Auch bei den internationalen Filmfestspielen von Berlin im Februar 2006 widmeten sich einige Filme Fragen des interkulturellen Zusammenlebens. Der Goldene Bär ging an den Film "Grbavica" von Jasmila Zbanic (Bosnien-Herzegowina). "Grbavica" spielt 2005 in einem Vorort von Sarajewo. Hier lebt Esma mit ihrer 12-jährigen Tochter Sara. Ein Schulausflug steht an, das Geld dafür, 200 Euro, hat die Mutter nicht. Sie kellnert in einem Nachtlokal und freundet sich mit einem der Leibwächter des Besitzers an. Beide haben ein Studium begonnen, doch kam der Krieg dazwischen und zerstörte alle Pläne. Der Mann will nach Österreich, doch Esma will bleiben - wegen der Tochter, der sie erzählt hat, ihr Vater sei ein Märtyrer, gestorben für die bosnische Sache. Kinder von Märtyrern dürfen umsonst auf Schulausflüge mitkommen, aber Esma kann das benötigte Dokument nicht vorweisen. Lieber erbettelt sie das Geld bei einer Freundin, um die von ihr gehütete Lebenslüge aufrecht zu erhalten. Doch Sara zwingt sie, die Wahrheit zu sagen. Diese ist so bitter, dass sich das Mädchen den Kopft kahl rasiert. Am Ende nimmt sie doch am Ausflug teil. Die Mutter steht vor dem Bus und winkt. Die Wunde aus der Vergangenheit blutet noch, aber sie wird sich schließen, irgendwann. Vielleicht. Der Film erzählt eine kleine, stimmige und genau beobachtete Geschichte aus dem Alltag eines fremden Landes. Ohne Spezialeffekte und Stars hat Zbanic mit geringem Budget ein 90-minütiges Stück Gegenwart gedreht, das in kein Genre passt. "Es gibt Leute, die über solche Geschichten mit einem Schulterzucken hinweggehen", schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z. vom 13.02.06), "aber wenn man an die Zukunft des Kinos glauben will, muss man an Filme wie ‚Grbavica' glauben, nicht deshalb, weil sie Meilensteine der Kamerakunst sind, sondern weil sie erzählen, was sonst unerzählt bliebe und so nur auf der Leinwand zu erzählen ist."

Den Silbernen Bären als Großen Preis der Jury teilten sich "Offside" von Jafar Panahi (Iran) und "En Soap" von Pernille Fischer Christensen (Dänemark). Den Silbernen Bären für die beste Regie erhielt Michael Winterbottom (Großbritannien) für "The Road to Guantánamo". Winterbottom, der 2002 bereits einen Goldenen Bären für das Flüchtlingsdrama "In This World" bekam, erzählt in dieser weiteren Dokufiktion vom Schicksal dreier britischer Muslime, die im US-amerikanischen Lager Guantánamo inhaftiert waren.

Hoch gelobt, aber nicht ausgezeichnet wurde Rafi Pitts Film "Zemestan". Der iranische Regisseur erzählt eine trostlose Geschichte nach dem Roman "Die Reise" von Mahmud Doulatabadi (vgl. AiD 1/2003). In einem Haus neben den Bahngleisen irgendwo im Iran lebt eine Familie. Der Vater ist arbeitslos, nimmt den Zug und sucht sich anderswo - zuletzt im Ausland - Arbeit. Ein durchreisender Hilfsarbeiter wird auf die schöne Frau aufmerksam, wirbt um sie und heiratet sie. Doch auch er verliert seine Arbeit. Dann kehrt der totgeglaubte Ehemann als Krüppel zurück, traut sich nicht ins Haus und wirft sich schließlich vor einen Zug. Ebensosehr wie der Roman habe ihn das Gedicht "Winter" von Mehdi Akhavan inspiriert, sagte Pitts in Berlin. Der Film ist eher eine Elegie als ein Spielfilm, "ein neunzigminütiges Totengedicht aus einem armen, geschundenen und überbevölkerten Land", so FAZ-Kritiker Andreas Kilb. "Der Einzug des Fernsehens in die Häuser der einfachen Arbeiter, sagt der Regisseur, habe die Sehnsucht nach einem besseren Leben geweckt, ohne ihr zugleich ein Ziel zu geben. Ziel- und orientierungslos wirken auch die Figuren des Films, Stiefkinder der Globalisierung, denen die Reise ins Ausland als letzte Hoffnung winkt".

Ein weiterer Berlinale-Film, der seit März in den Kinos ist, sorgt zur Zeit für Diskussionen über seinen Realitätsgehalt: "Knallhart" von Detlev Buck. Was er aus dem Berliner Bezirk Neu-Kölln zeigt, ist nach Auffassung der einen beklemmend-authentisch, nach Auffassung der anderen viel zu schwarz gemalt. Der Film beginnt damit, dass der 15-jährige Michael in eine Polizeiwache läuft, um ein Geständnis abzulegen. Es folgt eine lange Rückblende, in der seine Geschichte erzählt wird. Michael und seine allein erziehende Mutter werden aus einer Arztvilla im noblen Vorort Zehlendorf hinausgeworfen und landen in Neu-Kölln auf dem bitteren Boden der Tatsachen. Der wenig selbstsichere Michael gerät in den Teufelskreis aus Schuleschwänzen, Alkohol, Prügeleien, Mackertum und Kleinkriminalität. Er begegnet dem türkischstämmigen Schläger Erol, der mit seiner Bande von den Schülern Schutzgelder erpresst und zu Michaels Gegenspieler wird. Dessen bedingungslose Gewalttätigkeit ist kaum zu ertragen. Bei dem netten arabischstämmigen Drogendealer Hamal, für den er bald als Kurier arbeitet, findet Michael, was ihm zu Hause und im Klassenzimmer fehlt: Sicherheit, Geld, Anerkennung und eine Aufgabe, bei der er sich bewähren kann. Hamal, der erst als Retter erscheint, entpuppt sich als der skrupellose Rauschgiftpate des Viertels, der den Deutschen in den Untergang treibt. Die Ereignisse führen fast zwangsläufig zur Katastrophe.

Die taz (09.03.06) bewertet den Film als "heikle Gratwanderung zwischen der Lust an stereotypen Ausmalungen eines klassischen Gettofilms und den unleugbaren Wahrheiten, die hinter aller Klischeehaftigkeit wohnt". In der ZEIT (vom 23.02.06) wird der Film als in der derzeitigen Diskussion hoch brisant eingeschätzt: "Der türkische Abschaum gegen den schwächlichen Deutschen", heißt es. "Knallhart" liefere "die symbolischen Bilder für die Angst des friedlichen Deutschen vor dem muslimischen Macho, der ihn unter sein Gesetz zwingen will". Kritiker Christof Siemes warnt jedoch auch vor einer gewissen "Angstlust" in einem zuletzt durch die Karikaturendebatte angeheizten Kampf "wir gegen die". Auch angesichts der Begeisterung türkischer Besucher des nationalistischen Films "Tal der Wölfe - Irak" warnt er die Deutschen davor, sich in einem Kampf der Kulturen zu wähnen. Beide Filme würden "ins Herz der deutschen Furcht vor dem Fremden" treffen.

Nach Auffassung anderer sollten sich Betreuuer von Jugendlichen den Film gemeinsam mit Jugendlichen ansehen, sich auseinander setzen und darüber diskutieren. Dies sei wichtig, sonst sei es ein Film zur Pflege eigener Vorurteile. Durch den Hilferuf der Neuköllner Rütli-Hauptschule im März 2006 hat der Film noch einmal an Aktualität gewonnen.

Oscar-Verleihung und ein Politikum

Von Deutschland weit entfernt, inhaltlich aber durchaus interessant, gewann Anfang März schließlich in Los Angeles "L.A. Crash" von Paul Haggis den Oscar für den besten Film und erhielt außerdem noch zwei weitere Trophäen - für das beste Drehbuch und den besten Schnitt. In dem Drama um alltäglichen Rassismus, Intoleranz und Gewalt in Los Angeles kreuzen sich in einer Nacht in einer stark ineinander verwobenenen Handlung mehrere Lebensläufe. Der sozialkritische Film ist trotz seines schwierigen Themas letztlich "ein Film über Liebe, über Toleranz und über Wahrheit", so Koproduzentin Cathy Schulman beim Empfang der Trophäe der US-Filmakademie.


Filmplakat "Tal der Wölfe"

Keinen offiziellen Preis erhielt der umstrittene türkische Film "Tal der Wölfe". In Deutschland wurde der wohl erfolgreichste in Deutschland je von türkischen Migranten besuchte Film zu einem Politikum. Schon nach wenigen Wochen hat der reißerische, nationalistische, anti-amerikanische und in Teilen antisemitische Film es auf über 400.000 Zuschauer gebracht. Eine Abstimmung nach Füßen, statt nach künstlerischen Kriterien. Das war - in umgekehrter Weise - schon immer das Schicksal der meisten guten Filme. Bleibt zu hoffen, dass eher stille Filme wie "Schläfer" und "Grbavica" nicht nur den Juries von Festivals gefällt, sondern auch den Verleihern und Programmmachern großer und kleiner Kinos in der deutschen Provinz.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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Türkisch für Anfänger

 

Es stand auf dem Wunschzettel unserer letzten Ausgabe. Nun ist der erste Schritt getan: Mitte März startete eine Vorabend-Serie der ARD über eine deutsch-türkische Patchwork-Familie. In "Türkisch für Anfänger" geht es darum, wie die 16-jährige Lena (Josefine Preuß) mit ihrer neuen Familie klarzukommen versucht. Natürlich wird es schwierig. Die erste Staffel war mit ihrem Witz und ihren gut besetzten Hauptdarstellern sehr gelungen. Nun, warten wir ab, wie es weiter geht. Zu Weihnachten gewünscht hatten wir uns "eine Doku-Soap über eine türkischstämmige Familie mit mindestens vier Teenies und einer Oma, die homosexuelle, islamistische und/oder Ökopax-Anwandlungen ausleben...". Dem kommt "Türkisch für Anfänger" schon sehr nahe. Das deutsch-türkische TV-Publikum verträgt nach öffentlich-rechtlicher Sicht um 18.50 Uhr tatsächlichschon einen sehr lockeren Umgang mit schwierigen Realitäten, deren Thematisierung auch mal politisch unkorrekt oder schlicht lustig ausfallen kann. Mutig werden in dieser "besten ARD-Serie seit langem" (F.A.Z. vom 14. März 2006) alle denkbaren Klischees angegangen und in sehr unverkrampfter Weise aufgearbeitet. Die langsame Annäherung von Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen hat bekanntlich ihre Tücken. Hier aber wurden genau daraus fulminante Handlungsstränge gestrickt, die in ihrer Leichtigkeit krampflösend sind. Dass dies gelang ist Drehbuchautor Bora Dagtekin zu verdanken. Er stammt selbst aus einer deutsch-türkischen Familie. Es ist sehr zu hoffen, dass er bald weitere Plots mit dem harmoniesüchtigen türkischen Papa, der Psychomama Doris, der muffeligen Lena, dem coolen Cem und der moralisierenden Yagmur entwickeln kann. (esf)

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Medien und Integration

 

Zeitungen, Fernsehen und Radio sollten zur Integration von Migranten beitragen, finden nicht nur Rainer Geißler und Horst Pöttker. Die Herausgeber eines Sammelbandes "Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland" fragen sich allerdings, ob dies auch gelingt. Zwar wird zu diesen Fragen relativ viel geforscht, die Ergebnisse blieben jedoch lückenhaft, konstatieren die Wissenschaftler. In dem 2005 beim Transcript-Verlag erschienenen Band analysiert unter anderem Daniel Müller die Berichterstattung deutscher Zeitungen und kommt zu dem Befund, dass Migranten "tendenziell selten" vorkommen und wenn, "dann häufig in negativ besetzten Zusammenhängen". Müller schließt jedoch zugleich die Frage nach dem Maßstab für ein "zu wenig" oder "zu viel" an. Eine Antwort darauf setze voraus, dass es ein "genau richtig" gebe, das man kenne. "Eine betont positive mediale Darstellung ethnischer Minderheiten um jeden Preis, die alle Ausländer als sympathisch" darstelle, könne auch nicht die Lösung sein - schreibt auch Sonja Weber-Menges. Für sie ist der Verzicht auf "reißerischen Journalismus", Übertreibungen und diskriminierende Darstellungen" eine Mindestanforderung. Horst Pöttker kritisiert die Richtlinie 12.1 im Kodex des Deutschen Presserates, dass in der Berichterstattung über Straftaten die Zugehörigkeit des Täters zu einer Minderheit nur dann erwähnt werden dürfe, wenn ein "begründbarer Sachbezug" bestehe. Diese setze nicht nur eine relative Unmündigkeit des Publikums voraus, sondern auch die Unterstellung einer gewissen Unfähigkeit von Journalisten, diskriminierende Sachverhalte selbst zu erkennen. Die 542-seitige Publikation kostet 32,80 Euro. (esf)

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Neue Zeitschrift "Buongiorno Europa"

 

Saarbrücken. Seit dem Winter 2005 ist die deutsche Presselandschaft um eine deutsch-italienische Monatszeitschrift reicher geworden. Die zweisprachige Zeitschrift "Buongiorno Europa" wird herausgegeben von Prof. Dr. Francesco Calabrese und seiner Frau. Themen sind Politik, Kultur, Gastronomie und Sport in der Großregion Saar-Lor-Lux. Ferner werden sozial, wirtschaftlich und sportlich engagierte Persönlichkeiten vorgestellt. Auch Themen, die integrationspolitisch von besonderer Bedeutung sind, haben in den ersten Ausgaben Platz gefunden: Einbürgerung, die Wahlen in Deutschland, Sprachförderung oder Bildung. "Buongiorno Europa" kostet im Abonnement 20 EUR im Jahr zuzüglich Porto. (vk)

Infos: Buongiorno Europa, Halbergstrasse 11, 66121 Saarbrücken, Tel.: 0681-66211, www.buongiorno-europa.de, redazione@buongiorno-europa.de 

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