Integration in Deutschland 2/2006, 22.Jg., 30. Juni 2006

BILDUNG

Wunderwesen gesucht! 

Lehrer mit Migrationshintergrund


Srilankische Lehrkraft

Der städtische Kindergarten „Unter dem Regenbogen“ in einem Bonner Viertel mit vielen Einwanderern wurde 1997 als etwas Besonderes gegründet. Man suchte Erzieherinnen und Pflegerinnen, die selbst eingewandert waren, in binationalen Familien lebten oder als Deutsche eine Zeit lang im Ausland verbracht hatten. Außer Deutsch sollten sie mindestens eine weitere Sprache sprechen. Neun Jahre später: Eine Erzieherin ist als Diplomatentochter in der Türkei aufgewachsen, eine Pflegerin stammt aus dem Kosovo und zwei weitere sind Aussiedlerinnen. Die Praktikantin ist palästinensischer Herkunft. Und wie sieht es anderswo aus?

Leiterin Regine Theis arbeitet erst seit fünf Jahren in dem Kindergarten mit 65 % Migrantenanteil. Anfangs sagte sie häufig, die Kinder sollten jetzt aber Deutsch reden. Dank der Kolleginnen weiß sie es nun besser. „Sie vermitteln vieles einfach durch ihre Anwesenheit, z.B. dass man gut zwei und mehr Sprachen lernen kann“, sagt Theis. Viele Kinder können auch ihre Muttersprache schlecht: Einfache Dinge wie „Setz dich“ oder „Gib her“ sagen sie schon, für eine Geschichte reicht es nicht. Wenn die Erzieherin ihnen etwas auf Türkisch erklärt oder ein Buch vorliest, ist das auch Sprachförderung. Früher einsilbige Kinder verfallen nun in einen Redeschwall: „Da muss man sich glücklich schätzen“, sagt Theis. Auch kriegten die Kolleginnen nicht gleich einen Schreck, wenn eine Fünfjährige plötzlich mit Kopftuch erscheint. In anderen Kindergärten wäre die erste Reaktion: „Oh nein, die verschleiern schon Kleinstkinder!“ Dabei hat das Mädchen nur Erwachsene spielen wollen, so wie andere Mamas Lippenstift ausprobieren.

„Weil ich ein Kopftuch trage, beruhigen sich die Kinder bei mir schnell“, vermutet Praktikantin Hanady El-Haj-Said. „Das erinnert sie an ihre Mutter“. Mit den vier arabischstämmigen Kindern redet sie mal in Arabisch, mal in Deutsch, je nach Situation. Im Herbst will die Abiturientin mit dem Studium der Sozialpädagogik anfangen. Für Pflegerin Maria Vogel gibt es kein Kind, mit dem sie am Arbeitsplatz Russisch reden könnte – außer ihrer eigenen Tochter. Aber ab und zu versteht sie, was die türkischen Kinder sagen, und die staunen: „Woher kennen Sie denn das, Frau Vogel?“ Aus ihrer Kindheit in Usbekistan, so die Antwort: Dort spricht man eine verwandte Sprache.

In den ersten Jahren gab es nur ca. 10 % Deutsche, nun sind es 35 %. „Unser Verkaufsgespräch ist heute anders“, so Theis. Den Eltern werde klar gesagt, dass die Einrichtung multikulturell sei und die Kinder zu kompetenten Bürgern einer künftigen Einwanderungsgesellschaft erziehe. Neben Weihnachten, Ostern und St.Martin werden Opferfest und Zuckerfest gefeiert, für das britische Mädchen auch Halloween. In der Krippe liegt ein schwarzes Jesusbaby. Für die Puppenecke und die Verkleidungskiste bringen die Eltern ein paar Sachen von zu Hause oder aus dem Heimaturlaub mit, denn multikulturelles Spielzeug gibt es nicht im Kindergartenkatalog.

Anderswo gibt es sogar Kindergartenleiterinnen türkischer oder finnischer Herkunft. In den Schulen ist das Lehrpersonal mit Migrationshintergrund jedoch noch lange nicht selbstverständlich. Die meisten unterrichten ihre Herkunftssprache, oft am Nachmittag und ohne Anschluss an das übrige Kollegium. Anders ist das bei den Grundschulen, die nach dem KOALA-Konzept der gleichzeitigen zweisprachigen Alphabetisierung arbeiten. Solch eine ist die Katholische Grundschule in Bonn-Mehlem. Vom ersten Tag an lernen die Schüler Deutsch und Arabisch. Da gehen die Lehrerin-nen Annie Kawka-Wegmann und Behija M´baya zusammen in die Klasse, wechseln sich beim Reden und Schreiben ab und greifen die Anregungen der anderen jeweils auf. „Zwei Lehrerinnen in einem Klassenzimmer – oh, das geht schief!“, dachten sie anfangs. „Wir arbeiten anders, wir gehen anders mit Kindern um: Mit einem Wort, sie ist deutsch und ich arabisch“, sagt M´baya. „Aber das ist gut für die Kinder! Wir ergänzen uns. Zuerst sind sie ruhig, so richtig deutsch, mit dem richtigen Akzent. Und dann komme ich mit meinem Temperament!“

Vereinzelt trifft man an den konventionellen Schulen auf Migranten, Vertreter der zweiten und dritten Generation, die hierzulande Geschichte, Deutsch oder Mathematik studiert haben. Es gibt jedoch nur 2 % „Bildungsinländer“ mit deutschem Abitur im Lehramtsstudium. Und um verbeamtet zu werden, ist die deutsche Staatsbürgerschaft Voraussetzung. Da die Schulen ihr Personal „von oben“ zugeteilt bekommen, können sie kaum gezielt Personen mit anderem kulturellen Hintergrund einstellen, selbst wenn sie 70, 80 oder 90 % solcher Schüler haben, sagt ein Vertreter des Bundes türkischer Lehrervereine.

Von 168.265 nordrhein-westfälischen Lehrkräften haben 1.472 einen ausländischen Pass. Das sind gerade einmal 0,8 %. Es liegen jedoch keine Daten vor, wie viele sonst einen Migrationshintergrund haben, aber eingebürgert oder Aussiedler sind, so Ulla Ohlms vom Bildungsministerium NRW. Ebenso wenig bekannt ist, welche Fächer sie an welchen Schultypen unterrichten. Die neue Landesinitiative zur Stärkung der Hauptschulen schafft mehrere hundert neue Stellen. Das Ministerium will nun überlegen, wie man mehr zugewanderte Lehrer anwerben kann. Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave, zur Zeit Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, appellierte auf einer Tagung: „Ich möchte sie haben und einstellen!“. Vor allem Männer. Sie könnten die jungen muslimischen Machos besser im Zaum halten, hofft man.

Der eingewanderte Lehrer soll die „eierlegende Wollmilchsau” der Bildungspolitik werden. Sein Fach soll er kompetent unterrichten, den Kindern vorleben, dass fremde Herkunft kein berufliches Handicap sein muss. Für die Eltern soll er Vertrauensperson und gelegentlich Dolmetscher, jedoch stets unparteiisch sein. Für alle soll er noch die Brücke zwischen den Kulturen schlagen und Konflikte schlichten, ob bei der Teilnahme an der Klassenfahrt, am Sportunterricht oder bei Erziehungsproblemen. „Der muttersprachliche Lehrer ist die Einstiegsdroge für die Familie“, bekräftigt Manfred Schreiner vom Amt für Volks- und Förderschulen der Stadt Nürnberg, Integrationsreferent des Verbands Bildung und Erziehung. Für die Lehrer, die den Beruf in der Türkei erlernt haben, gebe es in seiner Stadt Sprach- und Eingliederungskurse. Da wird ihnen unter anderem beigebracht, dass man hiesige Hausmeister nicht zum Zigarettenholen schicken kann.

In der neu eingerichteten Fachkräftebörse der Otto-Bennecke-Stiftung stellen sich gut 50 arbeitssuchende Pädagogen aus der ehemaligen Sowjetunion vor. Auffallend ist: Keiner sucht einen Lehrerposten. Es liegt aber nicht am Wollen, sondern am Dürfen, erläutert Elisabeth Schiewitz, zuständig für die Pädagogen-Qualifizierung. Die meisten haben nämlich in der Heimat nur ein Fach studiert, hier braucht man für den Schuldienst mindestens zwei. Deshalb müssten die Einwanderer noch ein komplettes Studium und danach das Referendariat absolvieren. Das schreckt ab, so dass sie in die Sozialpädagogik oder Sozialarbeit abwandern. Quereinsteiger werden für Mangelfächer wie Mathematik oder Informatik gesucht.

Serap Erkan ist Klassenlehrerin einer 9. Klasse an einer Nürnberger Hauptschule. Dazu macht sie auch islamische Unterweisung auf Deutsch und sitzt in der bayerischen Lehrplankommission für den Islamunterricht. Die türkischstämmige Pädagogin mit deutschem Diplom ist eine gefragte und geschätzte Person. Warum es so wenige wie sie gibt? Sie vermutet: Vielleicht zögen Migranten andere Berufe vor. Vielleicht sei ihnen nicht bewusst, wie wichtig es für die Schüler sei, in der eigenen Kultur gestärkt zu werden. Ihre Schüler hätten oft das Gefühl, an zweiter Stelle zu kommen. Ihre Bewerbungen um Lehrstellen werden oft abgelehnt. Da mache ihnen eine Lehrerin aus den eigenen Reihen Mut. Aber leicht sollen sie es bei ihr nicht haben, und das Argument „Bei uns in der Türkei ist es halt so“ zieht auch nicht. Die Herkunftskultur ist in den letzten 30 - 40 Jahren nicht stehen geblieben: Lehrerin Erkan kann das noch am besten vermitteln.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ]

© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden).

Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis.