Integration in Deutschland 2/2006, 22.Jg., 30. Juni 2006

SELBSTÄNDIGE

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Ethnische Ökonomie

Diversity als Motor von Innovationen?


Ethnische Ökonomie, "klassisch"

Nach wie vor verbinden viele mit dem Thema „unternehmerische Aktivitäten von Ausländern“ Döner-Buden, Restaurants von Italienern, Griechen, Chinesen usw., Ramschläden aller Art und bestenfalls den türkischen Reiseunternehmer, der Billigflüge nach Istanbul anbietet. In der Realität hat sich das Bild in den letzten Jahren jedoch deutlich gewandelt, vor allem ist es vielfältiger geworden. Man spricht nun von der so genannten „ethnische Ökonomie“ und unterscheidet zugehörige Betriebe von solchen, die lediglich einen ausländischen Inhaber haben.

Nachdem in den neunziger Jahren allenfalls die quantitativen Erfolgsmeldungen des Zentrums für Türkeistudien Beachtung fanden, wie viele Türken den Sprung in die Selbständig-
keit wagten und wie bedeutsam diese Tatsache als Beitrag zur Stabilisierung der deutschen Wirtschaft sei, liegt das Augenmerk heute sehr viel mehr auf den qualitativen Aspekten der sich diversifizierenden „ethnischen Ökonomie“. Die rein quantitative Betrachtung der Entwicklung unternehmerischer Aktivitäten von Ausländern ist zwar interessant, sagt aber wenig aus über die eigentliche Bedeutung der „ethnischen Ökonomie“ in Deutschland. Diese ist vor einigen Jahren als Thema der Sozialforschung und Wirtschaftsförderung entdeckt worden.

Gründungsboom

Nach den Ergebnissen einer im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit erstellten Studie des Instituts für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim wurden im Jahr 2003 insgesamt etwa 286.000 ausländische Selbstständige gezählt, dies kommt einem Anstieg um ca. 110.000 Unternehmen, also 63 % seit Anfang der 90er Jahre gleich. Die Italiener stellen mit 46.000 die größte Gruppe dar, gefolgt von 43.000 türkischen Unternehmern, 26.000 Griechen sowie jeweils 21.000 Ex-Jugoslawen und Österreichern. Berücksichtigt man die eingebürgerten Selbständigen, so bilden die Türken mit 60.500 die größte Gruppe vor den italienischen Unternehmern (49.500) und den 27.500 Griechen. Die Selbständigenquote ist hingegen bei den Griechen mit 15,5 % am höchsten. Bei Italienern liegt sie bei 13,1 %, bei den Türken beträgt sie nur 5,8 % im Vergleich zur deutschen bei 10 %.

Die Studie des Mannheimer Instituts schätzt die Zahl der durch ausländischstämmige Selbständige geschaffenen Arbeitsplätze auf 940.000 bis 1.380.000 (dies entspricht 3-4 % aller Arbeitsplätze in Deutschland), ohne allerdings im Detail auf die Qualität und Nachhaltigkeit dieser Arbeitsmarkteffekte einzugehen. Sektoral liegen die Schwerpunkte dabei nach wie vor in den Bereichen Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen. Ausländische Unternehmen im Produzierenden Gewerbe haben – abgesehen vom Handwerk – nach wie vor Seltenheitswert.

Zahlenmäßig sind wir also gewissermaßen gut gerüstet. Und auch über die Hintergründe der Entstehung ethnischer Ökonomien, ihre Kennzeichen und spezifischen Probleme ist in jüngster Zeit viel geschrieben worden. Hingewiesen wird dabei meist auf Kennzeichen wie das vorrangige Zugreifen auf Arbeitskräfte und Zulieferer derselben Ethnie, auf die jeweilige „ethnische Community“ als primäre Zielgruppe, auf die kontinuierliche Mitarbeit von Familienangehörigen und anderes mehr. Positives Merkmal, so die gängige Interpretation, ist danach, dass „ethnische Ökonomien“ eine Katalysatorfunktion im Hinblick auf den Zugang zum formalen Arbeitsmarkt besitzen, Vehikel des sozialen Aufstiegs sein können und insbesondere in städtischen Quartieren mit hohen Migrantenanteilen eine stabilisierende Funktion haben. Negativ sind dagegen die Nähe zur informellen Wirtschaft und nicht selten (selbst-) ausbeuterische Arbeitsbedingungen.

Potenzial ungenutzt

Die eigentlich interessante Frage, inwieweit das aus der kulturellen Vielfalt der „ethnischen Ökonomien“ resultierende wirtschaftliche Potenzial – vor allem das Innovationspotenzial – bislang genutzt wird, bleibt bei diesen Datensammlungen und Analysen freilich unbeantwortet. Wo sind – abgesehen von Döner Kebabs, Wraps und fernöstlichen Medizintechniken – die neuen Produkte, die eine Chance haben, im globalen Wettbewerb zu bestehen?

Es gibt solche Beispiele: „Esperanto“ heißt ein 2005 in Bonn eröffnetes Lokal, in dem ein Kurde Leckereien der spanisch-mexikanischen Küche als Versuch anbietet, ein „Gemisch von Vielem“ schmackhaft zu machen. Ähnlich versucht es die Kette „Joey’s“, die unter dem Motto „Pizzaziki“ etwas Italienisch-Griechisches anbietet (aber nicht der ethnischen Ökonomie zuzurechnen ist). Oder „Meine Zeitung“, ein 2005 von einem Türken unternommener – allerdings gescheiterter – Versuch, eine deutschsprachige Zeitung für Kinder zu etablieren. Am bekanntesten ist jedoch die Supermarktkette „Yimpaş“, deren Angebot sich in weiten Teilen nicht von dem anderer Discounter unterscheidet, die aber muslimischen Kunden auch geschächtetes Fleisch anbietet.

Insgesamt scheint es aber, als wäre die so genannte „ethnische Ökonomie“ noch immer weitgehend „low economy“, ein „Lückenbüßer“, der sich in Marktnischen zum Teil mit prekären Beschäftigungsverhältnissen bis an die Grenze zur Illegalität bewegt. Wie groß sind ihre Potenziale wirklich, wie groß der volkswirtschaftliche und soziale Nutzen, der aus der kulturellen Vielfalt hervorgeht? Bislang ist in diesem Forschungsfeld wenig in Sicht. So lange diese Fragen nicht beantwortet sind, wird die „ethnische Ökonomie“ ein Nischendasein fristen oder unbemerkt im Gang der Zeit ihre Sonderrolle verlieren. Denn: Eine ethnische Herkunft begründet noch keinen unternehmerischen Erfolg. So wirkt das neue „Label“ tendenziell fast diskriminierend.


Autor: Dr. Manfred Werth, isoplan

Quellenhinweis: Universität Mannheim, ifu Institut für Mittelstandsforschung. Die Bedeutung der ethnischen Ökonomie in Deutschland, Studie im Auftrag des BMWA 2004

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Das Verschwinden der Balkan-Lokale

 

Einige Branchen der ethnischen Ökonomie unterliegen im Laufe der Zeit Veränderungen durch äußere Einflüsse und Entwicklungen oder auch durch einen Wandel in der Struktur der Inhaber. Gab es beispielsweise in den späten 1960er- und 1970er-Jahren noch sehr viele „jugoslawische“ oder „Balkan“-Restaurants, so nahm ihre Zahl in den 1990er-Jahren stark ab. Einige hatten sich auf eine bestimmte Kundschaft spezialisiert – die Nachbarschaft oder Familienausflüge – und wurden von Privatpersonen oder Vereinen und Institutionen betrieben. Details im Namen der Einrichtung verwiesen häufig auf einen landsmannschaftlichen Hintergrund (Herkunftsregion oder auch ethnische Zugehörigkeit). Mit dem Ausbruch der Kriege 1991 verschwanden zum einen Bilder und Schriftzüge mit serbischen Bezügen, zum anderen wurden einige Gaststätten zu Treffpunkten politisch aktiver Gruppen, wie der Journalist Patrick Moore festgestellt hat („Der Krieg in den Kochtöpfen“, taz vom 17.05.2006).
Parallele Entwicklungen, wie steigende Preise für Gewerbeflächen und Bierverkaufsquoten, ein verändertes Urlaubsverhalten der Deutschen (Bevorzugung von Fernzielen), vor allem aber die Fernsehbilder der Kriege führten zur Insolvenz einer Großzahl von Betrieben. Exemplarisch zu beobachten war dies in München-Schwabing, wo es 1985 noch mehr als ein Dutzend Balkan-Restaurants gab, heute mit dem „Zadar“ und dem „Opatija“ jedoch nur noch zwei oder drei. Sie überlebten dank ihrer Landsleute, ihrer meist älteren deutschen Stammkundschaft oder regelmäßigen Besuchen von am Balkan interessierten Journalisten, Regionalwissenschaftlern oder Studierenden. Verdrängt wurden sie durch indische, thailändische, vietnamesische oder chinesische Lokale. (esf)

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Transkulturalität in der Betriebspraxis

 

Quantitativ ausgerichtete Forschungsarbeiten zu Unternehmern mit Migrationshintergrund gibt es einige. Der biografische Hintergrund dieser Unternehmerinnen und Unternehmer ist jedoch selten untersucht worden. Eine Ausnahme stellt die 2004 beim Transcript Verlag erschienene Studie "Transkulturalität als Praxis. Unternehmer türkischer Herkunft in Berlin" von Prof. Robert Pütz dar. Im Mittelpunkt des Buches stehen erzählte Lebensgeschichten von Berliner Unternehmern türkischer Herkunft. Der Geograph setzt sich kritisch mit so genannten "essenzialistischen Kulturkonzepten der immigrant business-Forschung" auseinander. Pütz fragt vor allem, wie vermeintlich gegebene "kulturelle Grenzen" konstruiert werden und welche Rolle sie im Unternehmensalltag spielen. Hierzu entwickelt er das Konzept "Transkulturalität als Praxis". Diese Lesart der Unternehmer-Biografien zeigt deutlich, wie sich Konstrukte "kultureller Grenzen" auf Handlungen auswirken und wie sie in der Praxis - indem Akteure unbewusst oder strategisch auf sie zurückgreifen - (re-)produziert, aber auch verändert werden. Damit ergänzt seine Studie die aktuelle Diskussion über Inter- bzw. Transkulturalität um eine wichtige Perspektive. Pütz lehrt Geographie an der Universität Osnabrück und ist spezialisiert auf die Sozial- und Wirtschaftsgeographie. Die 294-seitige Studie (ISBN: 3-89942-221-X) kostet 27,80 Euro. (esf)

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