Integration in Deutschland 2/2006, 22.Jg., 30. Juni 2006

ETHNOMARKETING

„Grünes Kapital“ für Deutschland?

Für Privatkunden gibt es kaum ein seriöses Angebot

„Hey sisters!“, wenden sich britische Musliminnen an ihre Glaubensschwestern aus der ganzen Welt, „Wollt ihr nicht in eine Businessidee von Frauen für Frauen investieren?“ - „Hättet ihr früher in so etwas wie McDonalds investiert, wie reich wäret ihr jetzt wohl!“, wirbt ein anderer Gründer auf der englischsprachigen Website muslim-investor.com um Geldgeber für sein Vorhaben: eine Fast-Food-Kette mit Burgern, die „helal“ (islamisch korrekt) sind. Stille Teilhabe und Risikokapital sind Instrumente der Unternehmensfinanzierung, die für die gläubigen Anleger wie geschaffen sind. Der Islam verbietet nämlich Zinsen, wie früher das Christentum auch. Zinsen, das heißt, das Geld quasi risikolos für sich arbeiten zu lassen. Unternehmerische Tätigkeiten und die Teilhabe am daraus folgenden Gewinn bejahte Mohammed, der Kaufmann war, jedoch.

Auch wenn man in Deutschland auf dem virtuellen Marktplatz muslim-markt.de eine ganze Anzahl Händler, Makler und Dienstleister findet, ist die Suche nach islamkonformer Finanzierung für die Existenzgründung und den Hauskauf vergebens. So etwas geht praktisch nur über Freunde und Familie, sagt der Finanzberater Michael Saleh Gassner. Der Experte für Korankonforme hat unlängst sein Büro von Köln nach London verlegt, dorthin, wo die islamische Finanzszene ihren europäischen Schwerpunkt hat. Dabei wäre das Marktpotenzial in Deutschland mit 3,5 Mio. Muslimen eigentlich größer. Eine Untersuchung des Sparverhaltens der türkischstämmigen Bevölkerung durch die Mummert Consulting hat gezeigt, dass sie bei einem niedrigeren Nettoeinkommen eine doppelt so hohe Sparquote wie die deutsche habe. Auch die Zahl der Wohnungseigentümer wächst, der Geldtransfer in die Heimat ist dagegen rückläufig.

Nicht alle Muslime sind an islamkonformen Geldanlagen interessiert. Laut Schätzungen aus dem Ausland finden 20 % sie sehr wichtig, weiteren 20 % sind sie egal, die restlichen 60 % ließen sich durch spezifisches Marketing dafür gewinnen. Was die gezielte Kundenansprache ausmachen kann, zeigen die Erfahrungen mit den islamischen Holdings aus der Türkei in der zweiten Hälfte der 90er Jahre. Sie waren als Gesellschaften mit vielen Teilhabern organisiert, die am Gewinn bzw. Verlust beteiligt waren, und wollten Groß- und Einzelhandel betreiben, Charter-Flüge anbieten oder eine türkische Automarke aufbauen. Die Holdings warben für ihr Vorhaben in den Moscheevereinen und bei islamischen Dachorganisationen wie Milli Görüs und appellierten nicht nur an den Glauben, sondern auch an die patriotischen Gefühle der Auslandstürken, nach dem Motto „Sie tun etwas für Ihr Land!“

Die meisten hätten sich jedoch als Schneeballsysteme entpuppt und beschäftigten derzeit die Juristen, so die einhellige Meinung von Finanzexperte Gassner und Wissenschaftler Cengiz Yildirim vom Zentrum für Türkeistudien an der Uni Essen. Auf 4 bis 5 Mrd. Euro dürften sich die Verluste von ca. 300 000 Geschädigten summieren. Seit 2002 sind die Holdings nicht mehr in Deutschland aktiv, sagt Yildirim und glaubt, dass dadurch auch das Vertrauen der türkischstämmigen Einwanderer in das „grüne Kapital“, wie man die korangerechten Investitionen nennt, nachhaltig erschüttert wurde. Es war vor allem die erste Generation, die ihre Ersparnisse hineinsteckte. Die Kinder und Enkel der Gastarbeiter seien eher an hiesigen Sparbüchern, Versicherungen und Wertpapieren interessiert.

Das Interesse und der Markt seien zwar da, doch fehle der Vertriebskanal, meint Dogan Gündogdu. Er hat 2000 die TDVM Capital AG gegründet. Sein Konzept ist das sog. Ethno-Banking. Er berät vor allem Haushalte und Existenzgründer türkischer Herkunft über Bankkredite, Altersvorsorge und Bausparverträge. Sie würden eigentlich nur den Immobilienerwerb als Vermögensbildung kennen, aber wenn die Sprach-, Kultur- und Vertrauensbarrieren überwunden werden, kauften sie die gleichen Produkte wie die Deutschen, sagt der Finanzberater mit MBA-Diplom aus Barcelona. Auf Wunsch berät er auch über islamkonforme Investitionen, jedoch sei es nicht einfach, die schätzungsweise 15 % der Religiösen zu erreichen. Dafür müsse man Mitarbeiter haben, die selbst gläubig sind und in die Moscheevereine gehen, um über die „emotionale Schiene“ potentielle Kunden anzusprechen.

Für Gassner zeigt sich durch den Holding-Schlamassel, wie wichtig ein seriöses, zugelassenes und geprüftes Angebot und wie groß die Aufgabe muslimischer Medien sei, die Gläubigen in Finanzsachen aufzuklären. Denn es gibt seriöse Anlagemöglichkeiten, wenn auch wenige. Einen Fonds hat die Deutsche Bank angelegt. Er orientiert sich am Dow Jones Islamic Market Index der New Yorker Börse, der unter Aufsicht von Rechtsgelehrten (Sharia Board) steht. Sie wachen darüber, dass die börsennotierten Unternehmen auf diesem Teilmarkt helal sind.

Die Islamic Equity Builder Certificates der Deutschen Bank investieren in europäische, asiatische und amerikanische (Groß-) Unternehmen, z.B. in Pharma, Elektronik, Öl, Software und Kleidung. Die Deutsche Bank erhielt dafür bei der Vergabe der Islamic Finance Awards 2006 des Magazins Euromoney zwei Auszeichnungen als innovativste Bank und als die Bank, die sich am deutlichsten verbessert habe. Allerdings müssten Kunden in Deutschland erst gezielt nach den Zertifikaten fragen, sagt Pressesprecher Roland Weichert, und Infomaterialien gebe es nur auf Englisch. Der Fonds ist vor allem für reiche ausländische Muslime bestimmt.

Die Strategie, vor allem auf die Kundschaft aus der Golfregion zu setzen, hat sich beim Pionier auf dem deutschen Finanzmarkt, dem Al Sukoor-Fonds der Commerzbank, nicht ausgezahlt. Der Fonds musste wegen mangelnder Nachfrage 2005 schließen, wie Commerzbank-Pressesprecherin Annette Klages mitteilt. Experte Gassner wundert das nicht. „Zwar wurde die Vertriebszulassung für Deutschland beantragt, aber keine konsequente Werbung betrieben“, sagt er. “Die inländischen Kunden wurden vernachlässigt“. Des Weiteren fehle ein muslimischer Finanzvertrieb. Für die Förderung des Unternehmertums durch muslimisches Beteiligungskapital sei bisher nichts getan worden: „Denkbar wäre hier ein sog. geschlossener Fonds, der Minderheitsbeteiligungen an muslimischen Unternehmen erwirbt“. Machbar seien auch Baufinanzierungen, bei denen zuerst die Bank das Eigentum erwirbt. Sie verkauft es dem Kunden zu einem höheren Preis, überschreibt nach Abzahlung der Raten das Eigentum auf den Käufer und behält die Differenz.

Sollen sich also gläubige Muslime mit ihrem schlechten Gewissen in Finanzdingen arrangieren? In die Marktlücke werden wahrscheinlich bald ausländische Kreditinstitute drängen. Laut einem Bericht in der F.A.Z. werden islamische Finanzierungsformen in mehr als 70 Ländern von zirka 250 Finanzeinrichtungen angeboten. Banken wie die HSBC, Citibank oder Credit Suisse First Boston haben islamische Geschäftszweige. Die neue britische Islamic Bank of Britain (IBB) hat auch, so Gassner, die Muslime auf dem Festland im Visier.

Dabei müssen es nicht unbedingt Muslime sein. 2004 bediente sich die hoch verschuldete Landesregierung Sachsen-Anhalts eines islamkonformen Finanzierungsmodells, indem sie die Nutzungsrechte an Landesimmobilien für 100 Mio. Euro an eine niederländische Stiftung verkaufte. Diese hatte Treuhandzertifikate an arabische Investoren herausgegeben, wie die F.A.Z. schrieb. Bis 2009 mietet Sachsen-Anhalt die Gebäude, dann soll es die 100 Mio. Euro zurückzahlen. Die Investoren erhalten nach diesem Konstrukt dann ihre Einlagen und bis dahin die Mieteinnahmen.


Autorin: Matilda Jordanova-Duda

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