Integration in Deutschland 2/2006, 22.Jg., 30. Juni 2006

HEIMAT


Duisburg-Marxloh

Ein Stadtteil sehnt sich nach Multikulturalität

Junge Paare verweilen vor Juwelierläden, Düfte aus türkischen Restaurants und Bäckereinen steigen einem entgegen. Die Weseler Straße in Marxloh versprüht kosmopolitisches Flair. Über Marxloh wird viel geschrieben und diskutiert, dem Duisburger Viertel werden Klischees zugeordnet. Viele Ladeninhaber sind Türken oder Kurden. Vor allem jene Geschäfte, die sich auf Brautmode bzw. Hochzeitswünsche spezialisiert haben, reihen sich aneinander. In Duisburg verfügen besonders die Türken und Kurden über eine gut funktionierende Infrastruktur.

 


Kaiser-Wilhelm-Straße in Duisburg-Marxloh

Das Café Utopiya ist für einige zum zweiten Wohnsitz geworden. Hier trifft man sich, um Schach oder Backgammon zu spielen, oder miteinander zu den Klängen einer Saz alte Volkslieder aus der Türkei zu singen. „Ich fühle mich hier in Duisburg wohl“, sagt der Kurde Kemal Tutmaz, Inhaber des Cafés. Weiterhin erklärt er: „Ein Heimatgefühl wird sich aber erst in ein paar Jahren entwickeln, denn ich und viele meiner Freunde suchen noch unseren Platz in der Gesellschaft.“

„Zwar kann Duisburg nicht mit den Bergen Tirols konkurrieren“, schmunzelt Selda Ilter, „doch hier sind mehr Chancen für uns Migranten vorhanden.“ Selda studiert Sozialwissenschaften und hat, wie Duisburg auch, mehrere Identitäten. Geboren ist sie in der Türkei, ihre Kindheit hat sie in Österreich verbracht, im Ruhrgebiet hat sie studiert und ihre Liebe gefunden.

„Besser als sein Ruf“

„Marxloh ist besser als sein Ruf“, ist immer wieder zu hören. Aber es gibt Ecken in Duisburg, die wirklich nicht ansehnlich sind. Dafür gibt es eine „Ideenwerkstatt Kaiser-Wilhelm-Straße“, eine Initiative der Entwicklungsgesellschaft Duisburg mgH (EG DU), die sich zum Ziel gesetzt hat, diese Straße und das in ihr schlummernde Potenzial, wieder zum Leben zu erwecken, ihr ein neues Image zu geben. Für ein friedliches und vorurteilsfreies Zusammenleben engagiert sich unter anderem die Projektgruppe „Dialog zwischen den Kulturen und Religionen“, eine Initiative mehrerer Organisationen. Vorhaben, die lobenswert sind, aber bei der Bevölkerung nicht anzukommen scheinen.

Wer seine Antipathie gegenüber Duisburg bestätigen lassen möchte, braucht nur mit der Straßenbahn 901 durch Bruckhausen zu fahren: auf der einen Seite Thyssen, auf der anderen verlassene und heruntergekommene Wohnhäuser. Hier bezog einst Günther Wallraff eine Wohnung, um von ganz unten als „Ali“ über die miserable Arbeitssituation der Migranten zu recherchieren. Die Verunsicherung seitens der deutschen Bevölkerung ist nicht kleinzureden. Nicht umsonst war im Sommer auf der Titelseite eines Anzeigenblattes eine junge türkische Frau mit einer Hantel zu sehen, die in einem speziell für Frauen eröffneten Sportstudio trainierte. Die gefürchtete Parallelgesellschaft und die dazugehörigen Ängste wurden wieder einmal thematisiert. In Duisburg wird oft darüber gestritten, ob es sich hierbei um eine multikulturelle Bereicherung oder Parallelgesellschaft handelt.

Wenngleich überall in Marxloh das Gefühl vermittelt wird, es herrsche ein friedliches Nebeneinander, sind Kontakte untereinander doch eher oberflächlicher Natur. Dieses Gefühl hat auch Özgül Keles, die über die Abendschule ihre Fachoberschulreife nachgeholt hat. „Wirkliche Freundschaften mit Deutschen kommen selten zustande, die kulturellen Ängste überwiegen wohl“, erzählt Özgül. Sie selbst möchte aus dem Stadtteil ausziehen, aber Duisburg treu bleiben. Vor allem fühlt sie sich im Landschaftspark Nord wohl, wo sie die nötige Ruhe vom Alltagsstress findet.

Am Campus Duisburg bleiben die Studierenden eher unter Kommilitonen aus ihrem Kulturkreis, als ob alle das Motto „Ja keine Multikulturalität aufkommen lassen!“ verinnerlicht hätten. „Ich lebe gerne hier, aber wünschenswert wäre ein gewisser Zusammenhalt in der Bevölkerung“, sagt der Iraner Said Bolouri.

Der fehlende Zusammenhalt in Duisburg zeigte sich im Sommer 2005, als Rechtsradikale gegen den geplanten Moscheebau in Marxloh demonstrieren wollten: Während sich vor dem Rathaus die Parteien und Vereine versammelten, versuchten sich Linke und, von ihnen wieder getrennt, die Migranten in eigenen Gegendemonstrationen den Nazis entgegen zu stellen. Die Rechtsradikalen kamen lediglich 300m voran. Ein Erfolg zwar für Duisburg, aber es wurde überdeutlich, dass den Parteien der Zugang zu den Migranten fehlt.

Duisburg steht aber ohne Frage für Weltof-fenheit. Der 1999 verstorbene Schriftsteller Fakir Baykurt gründete hier Initiativen, um die schulischen und gesellschaftspolitischen Probleme der Menschen aus der Türkei zu lösen sowie ein Literaturcafè und die Literaturzeitschrift „Kalem/Schreiber“, in der junge Schüler ihre Artikel und Gedichte veröffentlichen konnten. Eines wird in Duisburg klar: Hier versuchen die Migranten ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Sie fühlen sich heimisch, vermissen aber den Dialog der Kulturen. Seinen Ausdruck findet dieser an der Ecke Wolfsbahnstraße/ Warburgstraße in der „Skulptur des Dialoges“.


Autor: Ali Sirin

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Brautmoden-
zentrum

 

Wenn wieder einmal über das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft in Deutschland geredet und geschrieben wird, darf sich Duisburg-Marxloh der öffentlichen Aufmerksamkeit sicher sein. Auch wenn Marxloh insgesamt nicht gerade das beste Image hat - unter den türkischstämmigen Bewohnern genießt es einen guten Ruf. In der Weseler und der Kaiser-Wilhelm-Straße (Foto oben) haben sich mehrere Brautmodegeschäfte sowie Dienstleister wie Fotografen, Schneider, Caterer, Juweliere und Anbieter für Hochzeitskarten etabliert, die viele Kunden nicht nur aus der Umgebung, sondern auch aus Belgien oder den Niederlanden anlocken.

Diese Entwicklung, die vor 15 Jahren begann, hat nicht nur damit zu tun, dass große Hochzeitsfeiern bei Türken einen hohen Stel-lenwert haben, „sondern resultiert auch aus der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit unter Migranten, die nach wie vor die Hauptmotivation für eine Selbstständigkeit ist“, erklärt Ercan Idik, Mitarbeiter der Entwicklungsgesellschaft Duisburg mbH (EG DU). Er ist für die lokale Wirtschaftsentwicklung im Stadtteil zuständig und berät Selbstständige. Idik fügt hinzu, dass „die wirtschaftlichen Aktivitäten der Migranten als Anbieter von Gütern und Dienstleistungen an Bedeutung zunimmt, weil der demografische Wandel einhergeht mit dem Strukturwandel in vielen Regionen.“ Mit dem Bevölkerungsrückgang und dem Wegzug Einheimischer in den 1980er-Jahren schlos-sen auch die alten Geschäfte. Leere und Tristesse waren die Folge. Der deutsche Handel hatte das Viertel abgeschrieben. Die Wiederbelebung durch türkische und kurdische Selbstständige hat den Stadtteil Marxloh vor einem allzu starken Verfall der lokalen Infrastruktur und des kulturellen Lebens gerettet. Marxloh gewinnt langsam, aber stetig wieder an Bedeutung.

Die Spezialisierung der Geschäfte auf einzelne Branchen ist auf die hohe Nachfrage und Konkurrenz untereinander zurückzuführen. Diese Hochzeitsgeschäfte sind insofern innovativ, als dass sie sehr flexibel auf individuelle Kundenwünsche reagieren können. Service und Qualität sind Garant für ihre fast schon europaweit gute Reputation. Schließlich sollen Braut und Bräutigam und die ganze Verwandtschaft im Schlepptau auf höchstem Niveau zufrieden gestellt werden. Der gute Service hat sich herumgesprochen. „Der Anteil der deutschen Kunden nimmt zu und dürfte bereits bei 20 bis 30% liegen. Bei den Juwelieren dürfte er sogar noch höher sein“, sagt Ercan Idik. Von reinem Ethnomarketing kann keine Rede mehr sein. (as)

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