Integration in Deutschland 2/2006, 22.Jg., 30. Juni 2006

INTERKULTURELLE KOMPETENZ

*) Dieser Beitrag wurde im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


"Kulturelles Kapital liegt noch brach"

Alexander Scheitza zu den Ergebnissen eines Projekts

In einem gemeinsamen Forschungsprojekt untersuchten der "Forschungsschwerpunkt Interkulturelle Kompetenz" der Fachhochschule Köln und das Klaus Novy Institut die Haltung von Betrieben zum Beschäftigungspotential der Migranten. AiD sprach mit Alexander Scheitza (Foto), einem Mitglied der Projektgruppe.

AiD: Mit dem Begriff Diversity-Management schwappt ein neuer Begriff über den Atlantik zu uns. Ist dieser Ansatz auch für Deutschland sinnvoll?

Scheitza: Ich denke schon. Vor allem vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in Deutschland werden wir uns mit kultureller Verschiedenheit ganz anders als bisher auseinandersetzen müssen. Die Attraktivität des Diverstiy-Ansatzes besteht darin, Anderssein nicht als Benachteiligung zu verstehen, die eine Gesellschaft oder einen Betrieb etwas kostet, sondern als Ressource, die einem Unternehmen oder einer Organisation auch ökonomischen Nutzen bringt.

Inwiefern kann dieser Ansatz für eine Integration von Migranten in Deutschland förderlich sein?

Für Migranten ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt gegenwärtig besonders brisant: Während die Nachfrage nach einfacher unqualifizierter Arbeitskraft deutlich abgenommen hat, gibt es in den meisten Bereichen ein Überangebot an Arbeitskräften. Die Gefahr ist groß, dass sich die Hauptbeteiligten in dieser Situation einzurichten beginnen: Migranten und vor allem Migrantenjugendliche resigniert und verbittert über die erfahrene soziale Exklusion, die Betriebe achselzuckend unbeteiligt, weil nach wie vor genügend Arbeitskräfte anderweitig verfügbar sind.

Sie haben intensive Gespräche mit Personalverantwortlichen geführt. Wieso werden die Möglichkeiten kultureller Vielfalt nicht erkannt?

Interessanterweise befürworteten die meisten der von uns befragten Personalverantwortlichen eine stärkere kulturelle Öffnung der Betriebe. Viele konnten auch Bereiche benennen, in denen Migranten einem "durchschnittlichen deutschen" Mitarbeiter überlegen sind. Allerdings hapert es an der Umsetzung dieser Einsichten in die betriebliche Praxis. Migranten werden vorrangig für Routinetätigkeiten eingesetzt, in denen der Nutzen kultureller Diversität gegen Null geht. Offensichtlich mangelt es vielen Betrieben an Know-how und auch an konkreten Visionen für ein diversitätsoffenes Unternehmen. Man kann sagen, dass das kulturelle Kapital von Migranten brach liegt.

In welchen Bereichen liegen denn die Stärken von Migranten?

Letztendlich hängt das natürlich von der Einzelperson ab. Grob verallgemeinert kann man aber sagen, dass Migranten häufig besser in der Lage scheinen, sich auf unterschiedliche bzw. rasch ändernde Anforderungen einzustellen. Darüber hinaus scheinen viele talentierter im Aufbau und in der Pflege von zwischenmenschlichen Kontakten. Dies ist beispielsweise relevant für den Kontakt mit Kunden im Einkauf oder Verkauf, in Verhandlungen, bei Akquisitionstätigkeiten oder in der Öffentlichkeitsarbeit. Hier decken sich übrigens die Eindrücke der von uns befragten Unternehmensvertreter mit vorliegenden Forschungsergebnissen zu kulturbedingten Unterschieden.

Aber es gibt doch sicher auch Bereiche, in denen eine Abweichung von der Norm nicht als gewinnbringend betrachtet wird?

Das ist richtig. Häufig wurde z.B. eine fehlende Bereitschaft oder Fähigkeit zu selbstgesteuertem Arbeiten und eigenverantwortlichem Handeln konstatiert. Als Auslöser von betrieblichen Problemen wurden darüber hinaus auch ein als zu unklar empfundener Kommunikationsstil sowie abweichende Vorstellungen von angemessenem Geschlechtsrollenverhalten beobachtet. Es ist zu vermuten, dass vielen Migranten nicht bewusst ist, dass sie z.B. in ihrem Kommunikationsstil gegen deutsche Normalitätserwartungen verstoßen können.

Gibt es denn bereits positive Beispiele für erfolgreiches Diversitätsmanagement in Deutschland?

Große transnationale Unternehmen nutzen die Diversitätsperspektive längst offensiv - übrigens auch zur positiven Selbstdarstellung. In unserer Untersuchung haben wir uns vorrangig mit kleinen und mittleren Unternehmen befasst. Ein interessantes Ergebnis war, dass Betriebe mit hohem Migrantenanteil sich kultureller Diversität überdurchschnittlich zugewandt zeigen. Wir vermuten hier Selbstverstärkungseffekte: Betriebe mit einem höheren Anteil an Migranten kennen möglicherweise aus eigener Anschauung die Vorteile von Diversität. Außerdem haben sie wohl auch mehr Selbstvertrauen im Umgang mit potenziellen Schwierigkeiten.

Wie können Betriebe die Nutzung von kultureller Vielfalt verbessern?

Die Ergebnisse unserer Untersuchung weisen darauf hin, dass Unterstützung von außen notwendig ist. Zuerst gilt es, das Ausmaß an Offenheit für Diversität festzustellen. Daran sollten sich gezielte Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung anschließen. Entscheidend sind zwei Dinge: Zum einen darf man sich nicht isoliert auf strukturelle Veränderung oder Personalentwicklung verlassen. Nur im Zusammenspiel beider Bereiche werden sich nachhaltige Veränderungen einstellen. Zum anderen ist es entscheidend, alle Akteure "mitzunehmen", d.h. sowohl die Mitarbeiter mit deutschem Hintergrund als auch solche mit Migrationshintergrund. Hier geht es darum, für eigene und fremde Stärken und Schwächen sowie die wechselseitigen Erwartungen zu sensibilisieren. Wichtig ist aber auch, die Ängste vor Veränderung zu nehmen. Bei Vorgesetzten geht es darüber hinaus darum, sie mit Instrumenten für erfolgreiches Diversitätsmanagement vertraut zu machen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Die Fragen stellte Vanessa Franz, isoplan

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Zum geschäftlichen Nutzen von Vielfalt

 

Die Europäische Kommmission hat Ende November 2005 einen Bericht mit dem Titel "Geschäftsnutzen von Vielfalt - Bewährte Verfahren am Arbeitsplatz" vorgelegt. Der Bericht legte besonderen Wert auf Diversitätspolitiken, die eine Nicht-Diskriminierung aufgrund von Rasse oder ethnischer Herkunft, Behinderung, Religion oder Weltanschauung, Alter und sexueller Orientierung am Arbeitsplatz fördern. Vorgestellt wurden unter anderem die Ergebnisse einer Erhebung zum Nutzen von "Diversity management" (bzw. Diversitätspolitik). 83 % der befragten Unternehmen, die eine solche Politik umsetzen, bezeichneten diese als geschäftlich vernünftig. Als wichtigste geschäftliche Vorteile genannt wurde die Möglichkeit, aus einer breiten Palette von Personen zu wählen sowie bessere Arbeitnehmer länger zu halten, bessere Gemeinschaftsbeziehungen und ein positiveres Firmenimage.

Im zweiten Halbjahr 2006 erscheint im Waxmann Verlag ferner das Buch "Diversität nutzen! Herausforderungen und Ansatzpunkte einer betrieblichen Integration von Menschen mit Migrationshintergrund". Die Publikation bietet einen Überblick über den Stand der Auseinandersetzung mit Diversität in Betrieben und zeigt Möglichkeiten für die Nutzung kultureller Vielfalt auf. Die Autoren sind Prof. Wolf Rainer Leenen (Leiter des Forschungsschwerpunktes Interkulturelle Kompetenz der FH Köln und Vorstandsvorsitzender des Kölner Instituts für Interkulturelle Kompetenz e.V.), Dipl. Psych. Alexander Scheitza (Mitarbeiter des Forschungsschwerpunkts Interkulturelle Kompetenz und Geschäftsführer von RADIUS Kommunikation & interkulturelle Zusammenarbeit) und Dr. Michael Wiedemeyer (Wirtschaftswissenschaftler, Mitarbeiter des Klaus Novy Instituts). (esf)

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Interkulturelles Konflikt-
management

 

Berlin. Die zunehmende Internationalisierung betrifft fast alle Berufsfelder und stellt neue Anforderungen für erfolgreiche Zusammenarbeit im Job: Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Wertvorstellungen von Menschen und Kulturen. Unterschiedliche religiöse oder kulturelle Herkünfte sorgen für eine Vielzahl von Konflikten – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der aktuellen weltpolitischen Lage. Nach wie vor sind religiöse Symbole wie etwa Kopftuch oder christliches Kreuz im öffentlichen Leben Anlass für Streit und Missverständnisse. Die Deutsche Gesellschaft e.V./Europäisches Informationszentrum veranstaltet daher am 15./16. September 2006 in Berlin einen Workshop zu interkulturellen und interreligiösen Konfliktsituationen. Bei der Veranstaltung „Die feinen Unterschiede“ Interkulturelles Konfliktmanagement als Herausforderung in der globalisierten Arbeitswelt“ wird versucht, anhand von exemplarischen Konfliktsituationen und Fallbeispielen die verschiedenen kulturellen Reaktionsmuster zu verdeutlichen und Lösungsmöglichkeiten anzubieten. Geleitet wird der Workshop von Referenten aus den Bereichen Interkulturelle Kommunikation und Religionssoziologie. Der Workshop setzt folgende Schwerpunkte: Interkulturelle Handlungskompetenz als Voraussetzung für einen erfolgreichen Berufseinstieg, Basiswissen über religiöse und kulturelle Grundstrukturen in der EU, typische Konfliktsituationen in internationalen Projektgruppen und ihre Lösungsmöglichkeiten sowie Fallbeispiele und praktisches interkulturelles Kommunikationstraining. Die Teilnahmegebühr beträgt 35 Euro (ermäßigt: 18 Euro), die Anmeldefrist endet am 8. September. (esf)

Kontakt: Claudia Rzydki (Deutsche Gesellschaft e.V./Europäisches Informationszentrum, Kennwort: Interkulturelles Konfliktmanagement. Bundesallee 22, 10717 Berlin Tel. 030/ 88 412 141, dg@deutsche-gesellschaft-ev.de, www.deutsche-gesellschaft-ev.de

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