Integration in Deutschland 3/2006, 22.Jg., 30. September 2006

BÜCHER / FILME / PRODUKTE / 
AUSSTELLUNGEN

Studien und Sachbücher

Broschüren / Zeitschriften

Belletristik

Tagungen / Musik / CD-ROMs

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Studien und Sachbücher

Eingewandert

Auf dem deutschen Buchmarkt gibt es bislang wenig sachliche Überblicksdarstellungen über das konkrete Leben von Migranten in Deutschland, eher Publikationen zu Einzelthemen. Das Anliegen von Kerstin E. Finkelstein ist es, in ihrer Neuerscheinung "Eingewandert. Deutschlands ‚Parallelgesellschaften'" die Vielfalt ausländischen Lebens in Deutschland abzubilden. Sie will aber auch zeigen, welchen Unsicherheiten und Problemen das Land ausgesetzt ist: Woher kommen die Menschen und warum sind sie nach Deutschland gekommen? Können sie ihre Denkweisen, Lebenswelten, ihre Kultur in das Land ihrer Wahl einbringen? Wollen sie das überhaupt, ist das gewünscht? Die Autorin bettet in ihrem im September 2006 beim Ch. Links Verlag erschienenen 228-seitigen Buch die gegenwärtige Situation unterschiedlicher Ethnien in die Geschichte der Einwanderung nach Deutschland ein.

Nach ihrem erfolgreichen Buch "Ausgewandert. Wie Deutsche in aller Welt leben" auf eine Reise durch Deutschlands Einwanderergesellschaften begeben, hat Finkelstein mit mehr als 200 Einwanderern gesprochen, deren Vereine und Organisationen besucht. Migranten aus 20 Nationen von allen Kontinenten lässt sie mit ihren Geschichten und Erfahrungen zu Wort kommen. Während das Deutschlandbild aus deren Perspektive überraschend positiv ausfällt, zeigt die deutsche Wahrnehmung oft ein anderes Bild, vor allem, wenn es um muslimische Einwanderer geht. Dass Muslime aus völlig verschiedenen Kulturen kommen, dass es hier viele Lebensrealitäten gibt, wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Überhaupt ist wenig bekannt über die Integrationsverläufe der hier Zugewanderten. Auch fehlen fundierte empirische Untersuchungen darüber, ob es in Deutschland Parallelgesellschaften gibt. Noch immer gibt es keinen Konsens, was die Aufnahmegesellschaft von den Einwanderern erwartet. Nötig ist nach Meinung der Autorin ein neues Selbstverständnis der Republik, das den gesellschaftlichen Fakten Rechnung trägt: Deutschland ist ein Einwanderungsland neuen Typs. Das verdeutlicht diese umfassende Innenansicht der Einwanderungsgruppen. (esf)

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Betriebsbefragung zu Migranten-Fachkräften

Koblenz. Das Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk an der Universität zu Köln (FBH Köln) führt in Kooperation mit der Zentralstelle für Weiterbildung im Handwerk (ZWH) und mit Unterstützung des Deutschen Handwerkskammertags (DHKT) bis zum 28. September eine bundesweite Betriebsbefragung zum Thema "Fachkräftesicherung im Handwerk durch Personen mit Migrationshintergrund" durch. Die Befragung richtet sich an Betriebsinhaber oder Personen mit Führungsaufgaben in Handwerksbetrieben. Die Bearbeitung des Fragebogens nimmt etwa 20 Minuten in Anspruch und ist als Link unter www.fbh.uni-koeln.de hinterlegt. (esf)

Infos: HwK-Betriebsberatung, 
Tel.: 0261/398-251, Fax: -994, 
beratung@hwk-koblenz.de
,
www.hwk-koblenz.de

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Integration und Allergieanfälligkeit

In Deutschland lebende Kinder aus traditionellen türkischen Großfamilien erkranken seltener an Allergien als ihre Klassenkameraden. Mit der Annäherung an einen deutschen Lebensstil steigt das Allergie-Risiko aber. Forscher nutzen diese Erkenntnis nun zur Entwicklung eines Impfstoffs, berichtete SPIEGEL Online am 7. August 2006 unter dem Titel "Integration fördert Heuschnupfen". Die geringe Anfälligkeit türkischstämmiger Kinder gegenüber Heuschnupfen, Asthma und allergischen Exzemen beschäftigt die Wissenschaft schon seit einigen Jahren. Beobachtet wurde das Phänomen erstmalig in den 1990er-Jahren. In München registrierte die Medizin-Professorin Erika von Mutius eine um knapp 50 Prozent geringere Asthma-Häufigkeit unter türkischen Kindern im Vergleich zu ihren deutschen Altersgenossen. Zu ähnlichen Ergebnissen waren bereits schwedische Wissenschaftler gekommen, die ebenfalls türkischstämmigen Nachwuchs und einheimische Kinder untersucht hatten. Nach einer Studie aus der Arbeitsgruppe des Allergologen Ulrich Wahn von der Berliner Charité, bei der Kinder aus Berlin-Wedding untersucht worden waren, gibt es einen zunächst verblüffenden Zusammenhang mit der hauptsächlich genutzten Sprache: Türkischstämmige, die zuhause mit ihren Eltern Deutsch reden, sind genauso allergieanfällig wie Jungen und Mädchen deutschstämmiger Eltern. In ausschließlich Türkisch sprechenden Familien fällt dagegen das Krankheitsrisiko viel geringer aus. Für Ulrich Wahn ist dies ein klarer Hinweis auf einen direkten Zusammenhang zwischen der Allergiehäufigkeit und dem Lebensstil. Ihm zufolge ist die Sprache der beste Assimilationsfaktor, den wir zurzeit kennen: Wer als Migrant Deutsch als Alltagssprache nutze, übernehme auch die Gewohnheiten der Bundesbürger. Daher nehme auch die Häufigkeit vieler Erkrankungen zu, je länger man hier lebe.

Als mögliche Ursachen für eine kulturell bedingte Allergieresistenz haben die Ernährungsgewohnheiten und die Infektionshäufigkeit das besondere Interesse der Forscher geweckt. Einen Einfluss könnte die so genannte "Mittelmeerdiät" haben. Traditionsbewusste türkische Mütter würden aufwendiger - mit mehr Obst, Gemüse und Fisch - kochen als deutsche, heißt es. Gleichwohl gibt es hier einen Widerspruch zu einer vom baden-württembergischen Landesgesundheitsamt durchgeführten Befragung, nach der türkischstämmige Kinder in Vergleich zu ihren Klassenkameraden deutlich mehr Fastfood zu sich nehmen.

In Bezug auf die Infektionshäufigkeit zeigt sich jedoch ein klareres Bild. Kinder aus türkischen Großfamilien kommen öfter mit Bakterien und Viren in Kontakt, es werden gewissermaßen die "Rotznasen" von den größeren auf die kleineren Kinder weiter gereicht, so Falko Panzer, ein Mannheimer Arzt. Bei diesen Kindern werde das Immunsystem von klein auf gefordert - und so gefördert. Hier zeigen sich auch Parallelen zu früheren Studien von Erika Mutius. Sie beobachtete eine auffallend geringe Allergiehäufigkeit auch bei Kindern, die auf Bauernhöfen in engem Kontakt mit Tieren zusammenlebten. Daraus lässt sich schließen, dass der regelmäßige Kontakt mit Keimen, vor allem im frühen Kindesalter, die Bildung bestimmter weißer Blutkörperchen - Lymphozyten - des Typs Th1 anregt. Diese sind für die Initiierung von Immunreaktionen mittels keimvernichtender Fress- und Killerzellen verantwortlich. Die detaillierten Ergebnisse von Gerholds Studien sollen demnächst im "Journal of Allergy and Clinical Immunology" veröffentlicht werden, heißt es bei SPIEGEL Online weiter. (esf)

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"Vom Fliehen und Ankommen" 

Wer aus seiner Heimat vertrieben wird, muss in dem Land, in das er geflohen ist, noch einmal ganz von vorne anfangen. Je nach politischer„Großwetterlage“ bietet der Start in einneues Leben zahlreiche Chancen, kann aber auch zur vollständigen Entwertung der bisherigen Biografie führen. In dem zum 20-jährigen Bestehen der Flüchtlingsorganisation PRO ASYL erschienenen Buch „Vom Fliehen und Ankommen“ berichten Flüchtlinge über Verfolgung, Ankunft in Deutschland und die teils erfolgreichen, teils scheiternden Versuche, hier Fuß zu fassen. Beiträge, die den Zeitraum von 1933 bis zur Gegenwart umspannen, zeigen, dass Flüchtlinge das gesellschaftliche Leben in Deutschland mitgestalten. Sie schildern aber auch, wie traumatische Erfahrungen, Heimweh und Ausgrenzung das Leben von Flüchtlingen über viele Jahre hinweg bestimmen. Die Sammlung von Lebensgeschichten macht zudem auf die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements für Asylsuchende aufmerksam. Das im Sommer 2006 im Loeper Literaturverlag erschienende 144-seitige Buch kostet 16,90 Euro. (vf)

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Broschüren / Zeitschriften

"Willkommen in Deutschland"

Zuwanderer, die nach Deutschland gekommen sind, um hier zu leben und sich eine Existenz aufzubauen, haben meist einen großen Informationsbedarf. Um ihnen die ersten Schritte und das Einleben in der neuen Umgebung zu erleichtern, gibt das Bundesinnenministerium seit Ende August 2006 die neue Broschüre für Zuwanderer "Willkommen in Deutschland" heraus. Auf insgesamt 172 Seiten bietet die Broschüre viele nützliche Tipps und Hinweise für die ersten Wochen in Deutschland. In zwölf Kapiteln können sich Migrantinnen und Migranten zu allen wichtigen Lebensbereichen informieren, wie zum Beispiel Wohnen, Arbeit und Beruf, Kinder und Familie, Schule und Studium, Gesundheit und Soziales.

Die Erstinformation soll Hilfestellung zur erfolgreichen Integration leisten und dazu beitragen, dass Zuwanderer die Chancen nutzen, die der Neubeginn in Deutschland ihnen bietet. Die Publikation legt den Schwerpunkt weniger auf umfangreiche Detail-Informationen, sondern beinhaltet zahlreiche Kontaktadressen zu Behörden, Ministerien und weiteren Anlaufstellen.

Die Broschüre ist kostenlos in deutscher, englischer, türkischer, russischer, polnischer und arabischer Sprache erhältlich bei:
www.bmi.bund.de oder beim Publikationsversand der Bundesregierung (Postfach 48 10 09; 18132 Rostock, 
Tel.: 01805 77 80 90; Fax: 01805 77 80 94
(0,12 EUR/Min. aus dem Deutschen Festnetz),
Publikationen@bundesregierung.de. (esf)

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Zweite Ausgabe der "Innenpolitik"

Berlin. Ende Juli 2006 ist die zweite Ausgabe des neuen Informationsdienstes "Innenpolitik - Informationen des Bundesministeriums des Innern" erschienen. Sie beschäftigt sich unter anderem mit dem Thema "Integration - eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe". Weitere Themen sind unter anderem: Bilanz der Fußball-Weltmeisterschaft, Kriminalstatistik 2005. Die Broschüre kann heruntergeladen werden unter:
http://www.bmi.bund.de/cln_028/nn_121894/
Internet/Content/Broschueren/2006/
Innenpolitik__2__2006.html
. (esf)

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"The Black German Yellow Pages"

Auf der homepage der "cybernomads" findet sich unter dem Namen "The Black German Yellow Pages" ein Portal mit Links zu Autoren, Aufsätzen, Zeitschriften, Internetseiten, Projekten, Geschäften und Künstlern rund um das Thema Schwarze Deutsche. Das sehr umfangreiche Verzeichnis (www.cybernomads.net/cn/home.cfm?p=1375) lädt Interessierte zum Stöbern ein und bietet neben Afro-Shops, dem Brasilianischen Kulturinstitut oder einem Interkulturellen Frauenzentrum auch den Zugang zu einem Trommelmeister, der sein Handwerk schon mit drei Jahren erlernte. (esf)

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Türkischsprachiger Börsen-Brief

Hennef. Viele der 2,5 Mio. Türken in Deutschland würden gerne einen Teil ihres Geldes an deutschen und ausländischen Börsen investieren. Bislang waren sie jedoch zurückhaltend und unsicher, da es keine professionelle und unabhängige Informationsquelle über den Börsenhandel in ihrer Muttersprache gab. Das hat sich nun geändert: Seit September 2006 erscheint in Kassel der wöchentliche türkischsprachige Börsen-Brief "Doktor Borsa", berichtet der Verband fremdsprachiger Medien (IMH). Die neue türkischsprachige Publikation tritt mit dem Anspruch an, für Klein- und Großanleger die aktuellsten Entwicklungen an den Aktienbörsen zu bewerten und konkrete, geldwerte Aktienempfehlungen aus Deutschland, Europa und den USA zu enthalten.

Anfängern bietet "Doktor Borsa" zusätzlich einen kostenlosen Leitfaden für Börseneinsteiger in türkischer Sprache an. Hier werden die wichtigsten Fragen zum praktischen Vorgehen leicht verständlich erklärt. Unter der Rufnummer 0180-504 11 88 können Interessenten auf Türkisch ein Gratis-Informationspaket mit einem Probeexemplar von "Doktor Borsa" und dem Leitfaden für Börseneinsteiger anfordern. Das gesamte Informationspaket ist auch auf der Internetseite www.doktorborsa.com abrufbar. Ein Abonnement kostet 41,- Euro im Monat. (esf)

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Belletristik

"Der eine ist stumm, der andere ein Blinder"

Mit seinen Katzengeschichten erlangte der Schriftsteller Akif Pirinçci Bestsellererfolge (vgl. AiD 1/94). Pirinçci ist ein Fachmann für spannende Kriminalromane. Sein neuestes Buch, "Der eine ist stumm, der andere ein Blinder", folgt dieser Tradition und ist ein interessanter Thriller mit überraschendem Ende, welches zu seinen Markenzeichen gehört. Hauptakteure sind die beiden Polizisten Hugh und Claudius, die das mysteriöse Verschwinden von 12 Kindern aufklären sollen. Erst nach einem Jahr wird die erste Kinderleiche entdeckt. Ihnen bleibt nicht viel Zeit, das Leben der anderen Kinder zu retten.

Hugh ist ein junger und aufstrebender Mann, der seine Einsamkeit durch One-Night-Stands zu kompensieren versucht. Claudius dagegen ist ein "alter Hase" der Profilerszene, jener Polizisten, die sich in die Gedanken der Täter einfühlen sollen. Er ist gerade aus einer Anstalt entlassen worden und leidet noch unter einer Ehekrise und den schrecklichen Erlebnissen aus seinem Job. Die beiden ergänzen sich, auf ihnen ruht die Hoffnung der Polizei.

Alle vorkommenden Akteure in diesem Roman haben mit vielen Problemen zu kämpfen. Sie suchen nach dem Sinn oder Glück des Lebens oder versuchen mit der Befriedigung ihrer Triebe eine innere Leere zu übertünchen. Ihre Seelen spiegeln ihre Einsamkeit, die Trostlosigkeit ihres Lebens und das Abgründige wider. Fast alle Charaktere sind gescheiterte Existenzen. Viel dreht sich in diesem Buch um Sex, ob als Trostspender, Kompensation eines sinnleeren Lebens oder zur Befriedigung der Triebe eines Wahnsinnigen.

Der Schriftsteller Pirinçci hat ein Händchen für depressiv-düstere Geschichten. Die Romanfiguren und die Atmosphäre fesseln den Leser. Auffallend ist, dass Türken wie Araber lediglich zu Statisten ihrer Klischees reduziert werden: sich zu Möchtegernmachos aufplusternde türkische Jugendliche in ihren Ghettos oder ein Araber, der die Ehre mit allen Mitteln zu verteidigen versucht. Akif Pirinçci wurde 1959 in Istanbul geboren Mit dem Katzenkrimi "Felidae", der vier Jahre später als Zeichentrickfilm verfilmt wurde, erlangte er 1990 einen Bestsellererfolg. Insgesamt verkauften sich seine Bücher über eine Million Mal. (as)

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"Lebe - Yascha!"

Hülya Rinscheid erzählt in Ihrem biografischen Roman "Lebe - Yascha!" die Geschichte der Kindheit und Jugend eines türkischen Dorfmädchens zu Anfang des 20. Jahrhunderts, das sich vor dem Hintergrund von Atatürks Reformen der sozialen Kontrolle der dörflichen Gesellschaft und vor allem der männlichen Fremdbestimmung entzieht. Die Erzählung, die literarisch sehr einfach gehalten ist, besticht durch die authentische Darstellung des Lebens innerhalb der Beschränkungen der dörflichen Patriarchatskultur sowie der Freiräume, die sich einige der weiblichen Dorfbewohner schaffen können und wollen. Am Ende steht für die Protagonistin Yascha die Heirat mit einem "modernen" Mann aus Istanbul sowie die Reise in eine neue Heimat: Deutschland. Der in der Edition Fischer 2005 erschienene Text ist nicht nur für jene interessant, die sich vor dem Hintergrund der vergangenen Multi-Kulti- und gegenwärtigen Integrationsdebatte einen Einblick in die Sozialisation in einer anderen Kultur verschaffen möchten, sondern auch eine Grundlage zum besseren Verständnis der Schwierigkeiten und Probleme von türkischen (und generell muslimischen) Migranten, die in Deutschland leben. (cl)

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Ein Tamile auf der Flucht

Umeswaran Arunagirinathan beschreibt in seinem beim Konkret Literatur Verlag erschienenen Buch "Allein auf der Flucht. Wie ein tamilischer Junge nach Deutschland kam", warum er aus Sri Lanka flüchtete und in der Bundesrepublik Asyl erhielt. Nach 15 Jahren geht sein sehnlichster Wunsch schließlich in Erfüllung: die eigene Mutter wiedersehen. Anderthalb Dekaden nach seiner Flucht aus Sri Lanka nach Deutschland - damals als Zwölfjähriger - trifft der tamilische Mann also die Frau wieder, die alles riskiert hat, um ihren Jungen vor dem Bürgerkrieg in Sicherheit zu bringen, der auf Sri Lanka zwischen den Tamil Tigers und singhalesischen Regierungstruppen tobte. Das Treffen macht ihn überglücklich. Dennoch stellt der 28-Jährige fest, wie sehr er sich doch während der zweiten, längeren Hälfte seines Lebens von seiner Mutter, seiner Heimatkultur und auch von den Erwartungen seiner Eltern entfernt hat. Er hat sich ein Stück weit ‚wegintegriert', könnte man sagen. Hinein in seine neue Heimat, wie er selbst schreibt.

Doch Umeswaran sucht den Kontakt zu seiner Familie auf Sri Lanka, er unterstützt die Eltern finanziell, obgleich das schwierig ist, als Medizinstudent, der mit einem Klinikjob auch sich selbst unterhalten, den Schlepper abbezahlen muss, und gleichzeitig durch das schwierige Studium in Lübeck kommen will. In Rückblenden erzählt Arunagirinathan weiter: Der Grund für seine Flucht 1991 ist der blutige Bürgerkrieg zwischen den Tamil Tigers (LTTE) und der singhalesischen Regierung, der zwischen 1983 und 2002 mehr als 60000 Todesopfer forderte. Die Wurzeln des Konflikts rühren auch aus der Kolonialherrschaft der Briten, als diese die mehrheitlich hinduistischen (einheimischen) Tamilen gegenüber der Sinhala-buddhistischen Mehrheit bevorteilten und damit die bereits vorher existierende ethnische und soziale Spaltung in dem 20-Millionen-Einwohner-Land noch vertieften. Die LTTE kämpft für einen unabhängigen Tamilenstaat, denn die tamilische Minderheit wird seit der Unabhängigkeit im Jahr 1948 massiv benachteiligt und unterdrückt. Ein politisches Täter-Opfer-Schema greift dennoch zu kurz, denn dafür sind die Ursachen des Konfliktes zu komplex. Fest steht aber, dass die Leidtragenden allzu häufig Zivilisten waren und sind: Kinder, als Soldaten rekrutiert, Frauen, die vergewaltigt werden, Tote aufgrund miserabler medizinischer Versorgung und der Bombengewalt.

"Die Schreie wurden immer lauter. Die Kinder einer benachbarten Familie, die sich in ihrem Haus versteckt hatte, waren von einer Rakete getroffen worden. Mein Freund wurde am Bein verletzt, seine Schwester war sofort tot. (...) Ich habe viele solcher Tage erlebt. Viele meiner Freunde von früher sind tot. Kein Kind sollte so etwas erleben müssen", schreibt der 28-Jährige. Aus tamilischer Perspektive, aus Kindheitserinnerungen heraus, schildert Arunagirinathan die Ursachen und Auswüchse des Konflikts, der in den letzten Wochen mit gewalttätiger Schärfe wieder entflammt - und neue Todesopfer fordert, vor allem in der Zivilbevölkerung. Er beschreibt, was es bedeutet, als Kind tagtäglich um sein Leben zu bangen, sich vor Bomben verstecken zu müssen, Willkür und Diskriminierung ausgesetzt zu sein. Er beschreibt seine Familie, die Solidarität der Leidenden, die innige Beziehung zu seiner Großmutter; und seine kleine Schwester, die mangels einfacher medizinischer Versorgung stirbt. "Man hätte sie retten können. (...) Ich hasste diesen Krieg, durch den meine Schwester zu einem seiner Opfer geworden war. Kleine Kinder sterben an eigentlich harmlosen Krankheiten, nur weil es keine Ärzte gibt."

Mit Hilfe einer Schlepperorganisation kommt er schließlich über Singapur, Ghana, Nigeria und Spanien nach Deutschland. Allein die Strapazen dieser Odyssey - wohlgemerkt als Zwölfjähriger - sind für uns, die wir in heute friedlichen Breitengraden aufwachsen, etwas im Grunde Unvorstellbares. Vom Onkel wird er in Hamburg aufgenommen, und erlebt zum ersten Mal Sicherheit - die jedoch zu Beginn noch mit seiner Erinnerung an Sri Lanka zusammenprallt. "Eines Tages flog ein Hubschrauber über unser Haus. Das Geräusch machte mir so große Angst, dass ich mich versteckte und mir die Ohren zuhielt. Dabei handelte es sich lediglich um einen Rettungshubschrauber, dessen Einsatz das Leben eines Menschen retten sollte. Ich brauchte lange, bis ich mich daran gewöhnt habe (...), denn aus Jaffna war ich es gewohnt, damit Gefahr zu verbinden."

Sein Leben in Deutschland liest sich dann wie eine Lehrbuch-Integration. In der Schule findet er schnell Freunde, wird bald zum Klassen-, dann zum Schulsprecher, der sich auch für andere Schüler einsetzt. Er schafft das Abitur. Ganz besonders innig beschreibt der Medizinstudent die Beziehung zu einem seiner Lehrer, dem er sein 168-seitiges Buch auch widmet: Lorenz Köhler habe ihm in den entscheidenden Momenten Halt und Unterstützung gegeben, den Widerstand gegen die drohende Abschiebung organisiert, später eine Bürgschaft für das Studium übernommen, den Jungen wie ein Familienmitglied behandelt. Und an ihn geglaubt. Die Beschreibung dieser intensiven Beziehung ist eine Schlüsselstelle des gut 130-seitigen Buches, weil sie gleichsam den Kulminationspunkt dessen darstellt, was am Ende einer Asylgewährung und einer "Aufenthaltsbewilligung" stehen kann: Ein Leben in Freiheit, ohne Verfolgung, und - trotz einiger Diskriminierungen - ein vertrauensvolles Zusammenleben mit anderen, wie es in der Ursprungs-Heimat verwehrt wird.

Der Autor schreibt seine Geschichte in einfacher Sprache, er nutzt keine stilistischen Mittel, um Spannung zu erzeugen oder Mitleid zu wecken; manchmal wirken einige Formulierungen gar allzu trocken oder kommen entscheidende Brüche plötzlich und bleiben wenig kommentiert. Doch geht es in diesem Buch auch nicht um die ‚Schreibe', als mehr denn je um das Geschriebene. Der Flüchtling, der Asylbewerber, der Geduldete, der gut Integrierte - all diese so häufig entpersonifizierten Schlagworte bekommen in Arunagirinathans Erzählung vor allem Eines: Gesicht. Zugleich ist seine Geschichte kein pathetisches Plädoyer, es ist neben der Darstellung der verheerenden Lage in Sri Lanka auch die seiner ganz persönlichen Realität, mit vielen intimen Momenten und der Thematisierung seiner Beziehungen zu Menschen - zu seiner Familie und zu Freunden. Gerade dadurch wird den Lesern vor Augen geführt, was es bedeuten kann, einen Menschen in sein kriegsgerütteltes Heimatland abzuschieben - oder eben nicht. Was hätte eine Abschiebung für Umeswaran bedeutet? Diese Frage drängt sich unweigerlich auf - und man ist innerlich froh, dass es bis zum Schluss ein Konjunktiv bleibt.

Umeswarans Geschichte verwebt die beiden wichtigen Aspekte, die mit einer Flucht stets verbunden sind: Der alte und der neue Lebensort. Oder prägnanter formuliert: Warum wird der eine Ort verlassen und wie nimmt der neue Ort den Hilfesuchenden auf? Es sind immer diese zwei Seiten, die auch im übertragenem Sinne gelesen werden müssen, denn das eine ist ohne das andere nicht zu begreifen. Zugleich ist "Allein auf der Flucht" aber eine Erzählung, die exemplarisch begriffen werden sollte. Denn wenn auch die Schicksale anderer Asylsuchender in Deutschland (und sonst wo auf der Welt) sicher gänzlich anders sind, so haben sie wohl Einiges mit Umeswarans Geschichte gemein: Nämlich die Intensität, das Leiden, die Tragik und Schwere, aber auch die Hoffnung. Diesen Flüchtlings-Schicksalen können Deutschland als Staat, und auch die Menschen hier als Individuen einen positiven Aspekt oder gar eine entscheidende Wendung geben. Zum Negativen - oder aber zum Positiven, wie die Geschichte Umeswarans eindrucksvoll belegt.

Und noch ein anderer Aspekt, den mir meine Frau Katarzyna zu Bedenken gibt, nachdem ich ihr den Buchinhalt schildere: Genau so, wie es in Schulen einen Kanon an Pflichtlektüren der schöngeistigen Literatur gibt - ob Goethe, Schiller oder Brecht -, so sollte es ebenfalls einen an Sachliteratur geben, der entscheidende Prozesse unserer heutigen Gesellschaft(en) - also auch Flucht und Verfolgung - lebensnah und aus einer bewusst subjektiven, auch menschlich nachvollziehbaren Perspektive thematisiert. Dazu könnte Umeswarans Geschichte gehören, oder auch die eines anderen Flüchtlings, der oder die als Kind und Jugendlicher die Schrecken von Krieg, Tod, Flucht, Lebensgefahr, Asyl, Abschiebeandrohung durchleben musste. Diese Lebensgeschichten, wie auch Umeswarans Geschichte, sollen nicht als Mahnung herhalten. Es reicht, wenn sie als Realität wahrgenommen werden. Eine Realität, die gemacht wird. Als Arzt in der Dritten Welt helfen, so will der angehende Mediziner Umeswaran Arunagirinathan die Realität künftig mitgestalten.

Jan Opielka

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Onkel Aschot: Ein Armenier erzählt

Vertreibung, Entwurzelung und Heimatlosigkeit sind keine neuen Phänomene. Das Schicksal der Armenier, ein Volk mit christlichem Glauben mitten in der muslimischen Welt, ist seit Jahrhunderten davon geprägt. So nimmt es nicht Wunder, dass noch heute jedes armenische Leben von der Sehnsucht nach der Heimat durchdrungen ist. Samvel Ovasapian, ein aus dem Iran stammender Armenier, erzählt in seinem im Sommer 2006 bei Glaré erschienenen Buch "Onkel Aschot" bewegende Geschichten, in denen er liebenswerte und weise Charaktere präsentiert, amüsante Episoden aus seiner Kindheit im Iran und dramatische Ereignisse aus seiner Jugend in der armenischen Hauptstadt Jerewan schildert. Meist ist die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat das Motiv seiner gefühlvollen Erzählungen und der darin enthaltenen Übersetzungen armenischer Lieder und Gedichte. So berichtet Ovasapian vom Leben in der Diaspora und zeigt zugleich den unerschütterlichen Lebensmut der Armenier - wohin es sie auch verschlagen hat. Mit ihrem hintergründigen Humor und unermüdlichem Fleiß schaffen sie es stets Fuß zu fassen - "mit dem Schmerz über erlittenes Unrecht im Herzen", wie es in der Verlagsankündigung zu dem 160-seitigen Buch heißt. (esf).

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Bosnien-Krimi

Darmstadt. Zum Buch des Monats Juli 2006 hat die Darmstädter Jury der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung den mystischen Bosnien-Krimi "Der nächtliche Rat" des Jugoslawen Dževad Karahasan gewählt. Der in den 1990er-Jahren spielende Roman erzählt von dem Berliner Arzt Simon Mihailovi?, der im Laufe des Kriegs in seine bosnische Heimat zurückkehrt. Es ist Ende August 1991, Gewalt, Angst, Fanatismus, nationalistischer Wahn vergiften die Atmosphäre. Kurz nach seiner Ankunft wird eine frühere Mitschülerin, in die er verliebt war, bestialisch ermordet: Zuhra ?engi?, Mitglied einer alten bosnischen Familie. Drei weitere Menschen, die ihm nahe standen, werden auf ungeklärte Weise umgebracht. Der Verdacht fällt auf den Arzt, den Fremden aus dem Westen. Eines Abends steht Enver Pilav vor der Tür, sein lange verschollener bester Freund, ein Sufi-Mönch. Etwas stimmt nicht mit ihm. In den Tagen und Nächten, die sie träumend und diskutierend miteinander verbringen, geschieht eine Verwandlung: Je tiefer Simon in sich selbst hineingeht, desto mehr vermag er sich einer anderen Welt zu öffnen. Bis er mit Enver in den Barzakh, das unterirdische Zwischenreich, wo sich die Seelen der seit Jahrhunderten Ermordeten versammeln, hinabsteigt, um die große Kette der Gewalt zu durchtrennen.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Zeitgeschichte erzählt Karahasan die Geschichte eines Mannes, der sich seiner Herkunft vergewissern will und mit dem heraufziehenden Krieg konfrontiert wird. "Der nächtliche Rat" ist ein aufrüttelnder Roman, bei dem nach Ansicht der Jury "Kriminalhandlung und theologische Spekulation, Liebesgeschichte und radikale Zeitkritik kunstvoll ineinander übergehen". Der im Februar 2006 beim Insel Verlag erschienene Krimi (ISBN 3-458-17291-2) kostet 19,80 Euro. (esf)

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Tagungen / Musik / CD-ROMs

R'nBesk aus Köln

"Turkish Music made in Germany" verheißt die Website des Sängers Muhabbet alias Murat Ersen (www.muhabbet.de). Der Titel seiner aktuellen CD "R'nBesk" (SonyBMG) ist gleichzeitig Beschreibung des Musikstils;"arabeske Lieder im modernen R'n'B und HipHop-Stil". Dahinter verbergen sich deutsche Texte, die mit orientalischer Phrasierung über fette Beats gesungen werden, kombiniert mit Elementen türkischer Volksmusik. So soll die musikalische Brücke zwischen Orient und Okzident geschlagen werden. Der 22-jährige Deutsch-Türke, der Ende 2005 seinen ersten großen musikalischen Erfolg hatte, stammt aus Köln-Bocklemünd, einem so genannten sozialen Brennpunkt. Die dort herrschenden gesellschaftlichen Härten kennt Ersen aus eigener Erfahrung. Er sieht sich selbst als Vorzeige-Beispiel für eine gelungene Integration ("türkisches Herz, deutsche Disziplin") und will diese Message auch an seine Fans weitergeben. Seine Texte allerdings scheint er nicht als Transportmedium für diese Botschaft missbrauchen zu wollen: Inhaltlich geht es, ganz getreu der Arabesk-Tradition, allein um Herz-Schmerz und die normalen Alltagsprobleme der kleinen Leute. Aber vielleicht demonstriert ja gerade die Tatsache, dass die Liedtexte eben nicht um spezielle Probleme von Jugendlichen mit Migrationshintergrund kreisen, dass Ersen ein integrierter Migrant der zweiten oder dritten Generation ist. Sein Engagement u.a. für die Stärkung des deutsch-türkischen Dialogs (er ist auch Unicef-Botschafter für Bildung) konnte er kürzlich wieder zum Ausdruck bringen, als er beim Treffen der Außenminister Steinmeier und Gül am 7. September in Istanbul im Rahmen der "Ernst-Reuter-Initiative" einen Beitrag zum musikalischen Rahmenprogramm leistete. (skc)

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Deutsch per CD-ROM

Mit der CD-ROM "LESEN 2000 plus Rechtschreibtrainer" können deutschsprachige Schüler von Klasse 1 bis 7 in 30 verschiedenen Lernmodulen spielerisch ihre Lesekompetenz und ihre Rechtschreibung testen und verbessern. Die CD-Rom ist unterteilt in die Überkapitel "Richtig schreiben", "Sprache erkunden", "Gut lesen" sowie "Buchstaben und Laute"; für die Allerjüngsten ist auch ein "Vorschulmodus" wählbar. Entsprechend dem Wortschatz (groß/mittel/klein) können verschiedene Themen bearbeitet werden. So verbergen sich hinter Überschriften wie "Känguru", "Snowboard" oder "Flaschenpost" beispielsweise Übungen zum Rekonstruieren von Texten, zur Unterscheidung von Groß- und Kleinschreibung oder Wort-/bzw. Bilddiktate. Sowohl Hörverstehen als auch Lesegeschwindigkeit können trainiert werden. Die einzelnen Kapitel sind bunt und bilderreich gestaltet, so dass gerade Kinder ihre Freude daran haben werden. Einzige Kritikpunkte: das Einblenden der Standard-Fehlermeldung auf Englisch (die deutsche Grundschüler irritiert und ratlos zurücklässt) und kleinere Ungenauigkeiten im Kapitel "Sprache erkunden" - "Delfin", wo der eingeblendete Korrekturkommentar auch eine falsche Variante als Lösung zulässt. Die vielfältigen Funktionen erlauben eine gezielte Förderung und sollen außerdem motivierend wirken: Beim Klicken auf "Buchstaben" hat man die Möglichkeit, je nach Lernstand der Kinder einzelne Buchstaben zu sperren; es gibt einen Ordner, der die Übungsprotokolle verwaltet; eine "Bestenliste" soll den Ehrgeiz der ABC-Schützen anspornen. Amüsantes Beiwerk sind die Optionen "Musik" und "Geräusche": Nach einer abgeschlossenen Übungsreihe können zur Belohnung kleine Musikstücke komponiert werden, außerdem gibt es eine Auswahl an Belohnungsgeräuschen. Für Jugendliche oder Erwachsene, die Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache lernen, scheint die CD-Rom allerdings nur dann geeignet, wenn diese die Freude an kindgerechten Spielereien nicht verloren haben. (skc)

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