Integration in Deutschland 3/2006, 22.Jg., 30. September 2006

SPORT UND IDENTITÄT


WM: Gemischte Gefühle bei Türken

Neues Wir-Gefühl mit Skepsis aufgenommen

Ganz Deutschland war während der Fußball-Weltmeisterschaft im Fußball-Fieber. Die deutsche Nationalmannschaft überzeugte durch ihren sportlichen Auftritt und ließ die WM im eigenen Lande zu einem großen Fest werden. Der Rest der Welt rieb sich die Augen vor Verwunderung, denn sie sahen ein Land in Feierlaune und Deutsche, die nicht den althergebrachten Klischees entsprachen.

Viel wurde daraufhin über das neue Wir-Gefühl geschrieben, das auch die Migrantinnen und Migranten mit einbezog. Auffällig waren insbesondere die Berichte der deutschen Medien über die Türken, jener Gruppe also, die doch als integrationsunwillig gelten und nun auf einmal als Deutschland-Fans dargestellt wurden. Selbst die türkischen Zeitungen sprangen auf diesen Jubelzug auf und berichteten über die neu belebte deutsch-türkische Freundschaft. Den Türken wurde sozusagen ein neues Image aufgedrückt.

Der neue deutsche Patriotismus als einigende Kraft unterschiedlichster Kulturen - Alles wäre nicht schlimm, wenn Bundespräsident Horst Köhler diesen nicht quasi "verordnet" hätte, die Medien nicht andauernd berichten würden, wie ungefährlich der neue Patriotismus sei und wichtige Persönlichkeiten auf einmal von einem "normalen" stolzen Deutschland sprechen würden. Waren vor der WM noch die so genannten "No-Go-Areas" Thema, so war mit Anpfiff der Spiele von alledem nichts mehr zu hören. Eine PDS-Politikerin, die den Fahnenkult kritisierte, die Lehrer-Gewerkschaft, die Bedenken gegen die deutsche Nationalhymne hegte und alle anderen, die mit Fußball sowieso nichts am Hut haben, wurden als Nörgler, Langweiler oder ganz einfach als Spaßbremsen tituliert. Deutschland feierte sich selbst, als ein gastfreundliches, tolerantes Land.

Es wurde viel diskutiert, wie die Fahnen-Schwenkerei überhaupt interpretiert werden sollte. War dies ein Zeichen eines neu aufkommenden Nationalismusgefühls oder doch nur ein vorübergehendes Fest der Kulturen in einem wunderschönen Sommer? War es nur ein vorübergehendes Rausch, in dem man gemeinsam vom Alltag abheben konnte oder würden mit der Ernüchterung nach der WM die alten Klischees wiederkehren? Alles war zu schön, um wahr zu sein. Die Angst vor der Enttäuschung, die mit dem Kater nach dem Rausch einhergehen könnte, war doch zu groß unter einigen Türken. Fußball allein reicht nicht aus, ein Land aus seiner Depression heraus zu holen. Das Gefühl, nicht dazuzugehören, verschwindet eben nicht so schnell. Themen wie Integration oder Arbeitslosigkeit würden ganz bestimmt wieder kontrovers diskutiert werden, leider auch auf Kosten sozial Benachteiligter, zu denen zum großen Teil die Menschen mit Migrationshintergrund gehören.

Auch wenn ein nicht zu unterschätzender Teil der Türken mit "Klinsis" Truppe sympathisierte, waren andere wiederum unversöhnlich den deutschen Spielern gegenüber. Ihnen waren die Debatten um Patriotismus und dieses neue Lebensgefühl in Deutschland nicht ganz geheuer. Nicht umsonst zogen einige Türken im Ruhrgebiet lieber das Trikot Argentiniens an, fieberten mit den "Gauchos", um anschließend, nach der Niederlage, umgeben von deutschen Fans, weinende Argentinier zu trösten. In einem türkischen Restaurant in Hamburg ärgerten sich einige über die Schweden, die sich leicht besiegen ließen, während die Nachbarn teilnahmslos ihr Essen aßen. Andere ließen die Fahnen der Gastmannschaften aus dem Fenster wehen und boten ihren deutschen Nachbarn Paroli. Türkische Kinder in Duisburg liefen mit einem deutschen Trikot über das Fußballfeld - im Bauch ein irgendwie mulmiges Gefühl: Sie fühlten sich dieser feiernden Gemeinschaft nicht zugehörig, konnten und wollten an diesem neuen Wir-Gefühl in Deutschland nicht teilhaben und wollten unbewusst vielleicht auch sozio-kulturelle Trennlinien nicht verwischen lassen.

Diese standhaft kritischen Türken wunderten sich kopfschüttelnd wiederum, dass ein Großteil ihrer Landsleute deutsche Fahnen schwenkend herumlief, mit Deutschen zusammen sang und trank und hupend an Autokorsen teilnahm. Diese "pro-Klinsi-Türken" waren eindeutig vom Fußball-Fieber infiziert worden. Sie feierten mit ihren deutschen Freunden, ließen sich von der Euphorie mitreißen und inspirierten die Feierkultur. Aber eben nicht alle. Wie sollten sie auch, wenn in der deutschen Elf kein Spieler türkischer Herkunft vertreten ist (erst am 16. August änderte sich das mit der Einwechslung von Fatih Malik). Viele türkische Spieler, die hier aufwuchsen und gefördert wurden, entschieden sich für die türkische Mannschaft. Deutschland spiegelt nicht ganz die Heterogenität seines Landes wider wie das Team Frankreichs. Die Türken fühlen sich sozusagen als Stiefkind der Nation. Keine gute Voraussetzung für die Entwicklung von Vaterlandsliebe.

Die Sympathien der Kroaten, Serben, Polen oder Italiener waren eindeutig nicht für die Deutschen vergeben. Und wenn die Türkei dabei gewesen wäre, hätten die Deutschen bestimmt einige Fans weniger gehabt. Aber als die Deutschen gegen die Italiener nach einem großartigen Spiel im Halbfinale als Verlierer den Platz verließen, trauerten selbst die Türken, die allem kritisch gegenüber standen, mit ihnen. Was bleibt, ist eine schöne Erinnerung an eine fröhliche, friedliche Zeit, die nur allzuschnell zu verblassen droht.


Autor: Ali Sirin

[ Seitenanfang ]


"Fußball-WM Beitrag zur Integration"

 

München. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Theo Zwanziger, hat kürzlich erklärt, die Weltmeisterschaft sei der größte Beitrag zur Integration in Deutschland. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (SZ vom 06.09.06) führte er diesen Gedanken weiter aus. Die WM habe gezeigt, was der Fußball auf diesem Feld leisten könne. Menschen aus allen Kulturen hätten gemeinsam ein Fest gefeiert: "Die Türken haben in ihren Gaststätten die deutsche Fahne aufgehängt, es gab keine Barrieren mehr." Weiter sagte er, die Begegnungen im Fußball würden Grenzen aufheben - "aber diese Begegnungen zu gestalten, darin haben wir beim DFB noch große Schwächen". Im Fußball komme es schließlich auch zu Konflikten, insbesondere in den Amateurligen. Er betonte: "Diese Konflikte zwischen verschiedenen Nationalitäten zu lösen, das ist die große Aufgabe. Dafür brauchen wir einen Integrationsbeauftragten. Jemanden mit Migrationshintergrund, der glaubwürdig ist." Der DFB werde Personal einstellen und Botschafter aus dem Nationalteam berufen, führte er weiter aus. Er denke da zum Beispiel an Nationalspieler Gerald Asamoah, der wenige Tage nach dem Gespräch bei einem Pokalspiel in Rostock durch Zuschauer rassistisch geschmäht wurde. Man plane auch eine große Offensive in den Grundschulen, sagte Zwanziger weiter und er "hoffe, dass sich unsere Nationalspieler dort zeigen werden". (esf)

[ Seitenanfang ]


Studie zur Identität Eingebürgerter

(Langfassung)

Die bewusste und friedliche Koexistenz von zahlreichen unterschiedlichen, konkurrierenden und sich teilweise sogar ausschließenden Kultursystemen birgt eine der größten Herausforderungen, die uns die Globalisierung stellt. Huntington (1998) vertritt die These, dass der Globalisierungsprozess große Konfliktpotenziale für die Weltpolitik in sich birgt, die sich aus dem Zusammentreffen unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Kulturen ergeben. Staaten werden zwar die mächtigsten Akteure in der Weltpolitik bleiben, aber die entscheidenden Konflikte werden zwischen Staaten und Gruppen unterschiedlicher Zivilisationen entstehen. Die Gründe dafür sieht Huntington unter anderem in den religiösen Glaubensunterschieden und in der abnehmenden politischen Integrationskraft der Staaten. Durch das dadurch frei werdende Identifikationsbedürfnis werden Menschen anfällig für Versprechungen politischer Theologien und Fundamentalismen (Huntington, 1998; Kaiser & Schwarz, 2000). Einen weiteren Grund sieht Huntington in der ansteigenden Anti-Reaktion auf die eigentümliche Rolle der westlichen Zivilisation in der heutigen Welt. Der Westen als die führende Zivilisation, dient für andere Zivilisationen als zu überwindendes Gegenbild der eigenen Anstrengungen, um eine andere kollektive Identität auszugestalten. Die fortschreitende Globalisierung bringt mit sich, dass kulturelle Unterschiede zu politischen Konflikten führen. Dies wird zukünftig sicherlich zunehmender der Fall sein.

Die Zunahme der Verflechtungen in der Weltgesellschaft fördert auch die Zunahme der Bevölkerungswanderung bzw. Migration. Armut, Bürgerkriege, Arbeitslosigkeit, politische Unruhen und fehlende Lebensperspektiven sind einige Beispiele für Motive, die zu Wanderungen führen. Auch in Deutschland ist die Migration zentrales Thema vieler Diskussionen in Medien und Politik. Einer der Folgen der internen wie auch weltweiten politischen und sozialen Entwicklung sind Anpassungsprobleme sowohl der Migranten als auch der Inländer an das multiethische Umfeld. Dies kann wiederum zu Spannungen zwischen Aufnahmegesellschaft und Einwandergruppen führen. Dies lässt sich in letzter Zeit wiederholt beobachten, wenn es um die Diskussion der Einbürgerung geht und dem Verleihen der deutschen Staatsbürgerschaft an Migranten.

Demzufolge erscheint es von großer Bedeutung, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse heranzuziehen, bzw. weitere zu erzielen, um für beide Seiten (Inländer und Ausländer) der Gesellschaft angemessen zu handeln und politisch erforderliche Entschlüsse zu treffen.

Anhand einer Studie im Rahmen des Projekts "Personale und soziale Identität im Kontext von Globalisierung und nationaler Abgrenzung" am Lehrstuhl für Erziehungs- und Entwicklungspsychologie der Universität Köln unter Leitung von Herrn Prof. Schmidt-Denter, wird beabsichtigt, die personale und soziale Identität ausgewählter Migrantengruppen in der Aufnahmegesellschaft Deutschland zu erforschen. Dabei soll es vor allem um die Identifizierung der eingebürgerten Migranten mit Deutschland gehen. Zum anderen sollen die Faktoren erörtert werden, die zu einer gelungenen Akkulturation der Individuen mit Migrationshintergrund führen, denn diese trägt sicherlich maßgeblich zu einer Identifizierung mit der einheimischen Kultur bei. Hierzu werden deutschlandweit Teilnehmer gesucht, die eingebürgert worden sind. Interessierte können anonym den Fragebogen im Internet unter: http://survey.uni-koeln.de/
migranten_identitaet_06
ausfüllen. Weitere Informationen (oder Anregungen) wie auch die spätere Auswertung der Studie sind auf der Homepage des Instituts zu finden (http://www.uni-koeln.de/phil-fak/psych/
entwicklung/mitarbeiter/MA_Maehler.html
). (dm)

[ Seitenanfang ] [ Nächste Seite ] [ Vorherige Seite ]

© isoplan-Saarbrücken. Nachdruck und Vervielfältigung unter Nennung der Quelle gestattet (bitte Belegexemplar zusenden).

Technischer Hinweis: Falls Sie diese Seite ohne das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite sehen, klicken Sie bitte HIER und wählen Sie danach die Seite ggf. erneut aus dem entsprechenden Inhaltsverzeichnis.