Integration in Deutschland 4/2006, 22.Jg., 15. Dezember 2006

RECHT

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Bleiberecht 1 und 2

 

Nürnberg. Die Innenminister der Länder haben sich am 17. November 2006 auf ein Bleiberecht für geduldete Ausländer geeinigt. Die Regelung, die nach schwierigen Verhandlungen auf der Herbstkonferenz der Innenminister (IMK) in Nürnberg beschlossen wurde, orientiert sich am Grundsatz, dass nur der- oder diejenige eine Aufenthaltserlaubnis erhält, der bzw. die durch eigene Arbeit den Lebensunterhalt bestreiten kann. Geduldete Ausländer - das heißt Personen, deren Abschiebung nach Ablehnung ihres Asylantrags ausgesetzt bzw. (bei Flüchtlingen) aus humanitären Gründen bereits seit mehreren Jahren nicht erfolgt ist - können, wenn sie einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz haben, seit dem 20. November 2006 eine zunächst auf zwei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis beantragen. Es wird geschätzt, dass davon etwa 20.000 Personen Gebrauch machen können. Die meisten Geduldeten stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei und dem Irak.

Die Regelung der IMK nannte der SPD-Innenpolitiker Wiefelspütz "Bleiberecht 1". Es soll ein Vorgriff auf ein Bundesgesetz sein, auf dessen Grundzüge sich die Innenpolitiker der Koalition am 14. November geeinigt hatten, das jedoch bei einigen unionsregierten Bundesländern auf Ablehnung gestoßen war. Der noch auszuformulierende Koalitionsentwurf einer - so Wiefelspütz - "großzügigeren gesetzlichen Neuregelung" sieht einen anderen Weg vor, als den der IMK. Die Gesetzesregelung wird (sozusagen als "Bleiberecht 2") die IMK-Übergangsregelung ablösen. Nach der Einigung der IMK müssen sich Personen im Besitz einer Duldung bis zum 30. September 2007 zunächst eine Arbeit suchen, um dann eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Bis zu diesem Datum soll ein Ausweisestopp gelten. Dagegen lautet im Koalitionsentwurf die grundsätzliche Abfolge umgekehrt "erst Aufenthaltserlaubnis, dann Arbeit". Im Bundesinnenministerium wurde das Ergebnis der IMK als ein "Schritt in die richtige Richtung" bewertet. Kombiniert man beide Regelungen, so werden etwa 60.000 von zur Zeit 180.000 Geduldeten bis mindestens Ende 2009 ein Aufenthaltsrecht erhalten. Danach steht ihnen der Rechtsweg offen, falls der Aufenthalt umständehalber nicht verlängert wird. (esf)

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Dienstleistungs-
richtlinie angenommen

 

Straßburg. Das Europaparlament hat am 15. November 2006 mit großer Mehrheit nach jahrelanger Diskussion den stark abgeschwächten Richtlinienvorschlag zur Öffnung der EU-Dienstleistungsmärkte angenommen. Die Richtlinie soll zum Beispiel Architekten, Softwareanbietern oder Handwerkern den Zugang zu andern EU-Ländern erleichtern. Zuvor müssen die Mitgliedstaaten das Regelwerk noch annehmen - was als reine Formalie galt. Die Einigung zieht einen Schlussstrich unter einen seit Anfang 2004 andauernden Streit. Die Kommission wollte mit einem ersten Entwurf die Hindernisse für die Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen abbauen, doch traf ihr Vorstoß auf heftigen Widerstand von Gewerkschaften und Handwerksverbänden. Kern der Kritik war das so genannte Herkunftslandprinzip, das es Unternehmen erlaubt hätte, ihre Leistung im Ausland nach den Regeln des eigenen Landes auszuüben. Europaparlament und EU-Staaten einigten sich angesichts der anhaltenden Proteste auf einen stark veränderten Entwurf - ohne Herkunftslandprinzip. Die Richtlinie sieht nun nur noch vor, dass Anbieter freien Zugang zum Markt erhalten müssen. Ein ausländischer Dienstleister darf dabei nicht benachteiligt werden. Zudem nennt die Richtlinie eine Anzahl konkreter Hürden, die seitens der Staaten nicht errichtet werden dürfen. (esf)

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Staatsangehörig-
keit kann entzogen werden

 

Karlsruhe. Das Grundgesetz (GG) schützt ein Kind nicht in jeder Situation davor, die deutsche Staatsangehörigkeit zu verlieren. Das hat das Bundesverfassungsgericht am 15. November 2006 entschieden. Eine Albanerin hatte Verfassungsbeschwerde für ihr Kind eingelegt, das 1998 in Hamburg geboren worden war. Der deutsche Ehemann der Klägerin, mit dem sie damals verheiratet war, hatte erfolgreich die Vaterschaft für den Jungen angefochten. Daraufhin hatte das heute 8-jährige Kind die deutsche Staatsbürgerschaft verloren. In der Verfassungsbeschwerde berief sich die Mutter auf Artikel 16 Abs. 1 GG: "Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden." Der Zweite Senat nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an, da diese Art, die Staatsangehörigkeit zu verlieren, keine "Entziehung" im Sinne des GG dar. Eine verbotene Ausbürgerung liege nur vor, wenn "die Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit" verletzt sei. In diesem Fall sei das Kind zum Zeitpunkt der Anfechtung der Vaterschaft mit eineinhalb Jahren zu jung gewesen, um "eigenes Vertrauen auf den Bestand der Staatsangehörigkeit" zu entwickeln, befanden die Richter. (esf)

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1000 Gespräche nach umstrittenem Leitfaden

 

Stuttgart. Die Ausländerbehörden in Baden-Württemberg haben 1.048 einbürgerungswillige Ausländer aus 51 Nationen anhand des Gesprächsleitfadens befragt. Wie Innenminister Rech Mitte November 2006 mitteilte, wurden 28 Einbürgerungswillige abgelehnt. In acht Fällen wurde der Antrag zurückgenommen. Insgesamt gab es seit der Einführung des Leitfadens Anfang 2006 4.907 Bewerber. Der Leitfaden besteht aus 30 Fragen, in denen die persönliche Einstellung von Einbürgerungsbewerbern zur Werteordnung des Grundgesetzes erfragt wird. Kritiker werfen Rech vor, dass sich der Leitfaden gegen Muslime richte. (esf)

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Schmerzensgeld nicht anrechenbar

 

Karlsruhe. Asylbewerber müssen Schmerzensgeld nicht für ihren Lebensunterhalt einsetzen, entschied das Bundesverfassungsgericht am 2. November 2006. Die Karlsruher Richter gaben einer Familie aus Bosnien-Herzegowina Recht, die 1997 als Opfer eines Verkehrsunfalls 25.000 DM Schmerzensgeld erhalten hatten. Das Asylbewerberleistungsgesetz von 1993 sieht vor, dass Asylbewerber und ihre angehörigen zunächst einkommen und Vermögen verbrauchen müssen, wozu hier - anders als im Sozialhilferecht - auch ein Schmerzensgeld zählt. Daher waren weitere Leistungen an die Familie abgelehnt worden. Eine hiergegen erhobene Klage blieb bisher in allen Instanzen ohne Erfolg. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied nu, dass diese Regelung nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vereinbar sei. Der Gesetzgeber muss nun bis zum 30. Juni 2007 eine neue Regelung treffen. (esf)

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Kriminalitätsbericht der Bundesregierung

 

Berlin. "Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt." Zu diesem Ergebnis kommt der am 15. November 2006 vom Bundeskabinett verabschiedete Zweite Periodische Sicherheitsbericht der Bundesregierung (2. PSB). Erarbeitet hat ihn ein Gremium aus namhaften Wissenschaftlern und Vertretern von Bundesbehörden sowie der Kriminologischen Zentralstelle. Unter den Ergebnissen der verschiedenen Kriminalitätskategorien seien an dieser Stelle die Entwicklung des islamistischen Terrorismus, des politische Extremismus und der sog. Ausländerkriminalität beschrieben.

Islamistischer Terrorismus könne nur mit einem ganzheitlichen Ansatz erfolgreich bekämpft werden, sagten Innenminister Schäuble und Justizministerin Zypries bei der gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin. National wie international müsse "neben der Zerstörung der Netzwerke durch hohen Fahndungs- und Ermittlungsdruck konsequente Vorfeldaufklärung betrieben werden". Dazu gehöre, die internationale Zusammenarbeit auszubauen, Bevölkerung und kritische Infrastrukturen effizient zu schützen, aber nicht zuletzt die Ursachen islamistischen Terrorismus durch einen intensiven interkulturellen und interreligiösen Dialog zu bekämpfen und die Zivilgesellschaft zu stärken. Dieser neuen Dimension der Kriminalität begegne die Bundesregierung mit rechtsstaatlichen Mitteln: Organisatorisch sei das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) ein "Leuchtturmprojekt". Der Gesetzgeber habe zur verbesserten Unterstützung der Ermittlungsbehörden die gemeinsame Anti-Terror-Datei von Bund und Ländern ebenso auf den Weg gebracht wie die Verlängerung des nach dem 11. September 2001 befristet verabschiedeten Sicherheitspakets.

Neben dem Terrorismus müsse auch politisch motivierte Kriminalität mit größtem Engagement bekämpft werden, heißt es. Sowohl bei den politisch rechts- als auch bei den politisch links motivierten Straftaten wurden 2005 Anstiege festgestellt. Angesichts dessen sollten präventive und repressive Ansätze zur Bekämpfung dieser Form von Kriminalität gleichermaßen verfolgt werden, wird gefolgert. Es müssten schon die Ursachen für kriminelle "rechte" oder "linke" Tendenzen sorgsam analysiert werden, um Gewalt möglichst gar nicht entstehen zu lassen und gewaltbereite Strukturen zu beseitigen. Insbesondere im Kampf gegen den Rechtsextremismus seien Politik und Gesellschaft gefordert, vor allem zivilgesellschaftlich die Auseinandersetzung zu suchen.

Die weit überwiegende Mehrheit der Ausländer in Deutschland, ganz besonders diejenigen, die bereits seit vielen Jahren hier sind, treten strafrechtlich nicht in Erscheinung. Die seit 1994 deutlich rückläufige, jedoch rein statistisch gesehen noch immer erhöhte Ausländerdelinquenz sei unter anderem darauf zurückzuführen, dass etwa durchreisende Ausländer nicht von der Bevölkerungsstatistik erfasst werden, wohl aber deren Taten in der Strafverfolgungsstatistik. Zudem sei zu berücksichtigen, dass Verstöße gegen ausländer- und asylverfahrensrechtliche Strafnormen etwa ein Viertel der Straftaten durch nichtdeutsche Tatverdächtige ausmachen, diese Vorschriften von Deutschen jedoch nicht verletzt werden könnten. Die Bundesregierung verfolge ihr Ziel weiter, mit verbesserten Integrationsmaßnahmen, wie sie mit dem Zuwanderungsgesetz begonnen wurden, auch der Delinquenz von Menschen mit Migrationshintergrund zu begegnen, heißt es weiter. (esf)

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"Ehrenmord" oder Eifersucht?

 

Hagen. Im Prozess um einen mutmaßlichen so genannten "Ehrenmord" in der Silvesternacht 2005/06 in Iserlohn hat das Landgericht Hagen am 10. November 2006 den Angeklagten aus Mangel an Beweisen frei gesprochen, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z. vom 11.11.06). Es gebe keine ausreichende Gewissheit für eine Verurteilung des 38-jährigen Türken, sagte der vorsitzende Richter. Dem Angeklagten war vorgeworfen worden, die 32-jährige ehemalige Lebensgefährtin seines Bruders und deren 23-jährigen neuen Freund mit Kopfschüssen getötet zu haben. Motiv der Tat sollte nach Auffassung der Staatsanwaltschaft die "Wiederherstellung der Familienehre" gewesen sein. Die Frau hatte sich fünf Monate früher von dem Bruder des Angeklagten getrennt und war eine neue Partnerschaft eingegangen. Der ehemalige Partner und Vater eines gemeinsamen zweijährigen Sohnes hatte sie daraufhin über Monate hinweg schikaniert und auch mit dem Tode bedroht. Für die, so der Richter, "selten brutale Tat" sei kein "annähernd nachvollziehbares Motiv erkennbar". Die Anklage der Staatsanwaltschaft stützte sich zunächst unter anderem auf Schmauchspuren, die bei dem Angeklagten festgestellt worden waren. Ein Gutachten konnte jedoch keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen den Spuren und einer Täterschaft des Mannes nachwiesen. Somit hieß es für den Richter: "Im Zweifel für den Angeklagten". Der Angeklagte könne zwar als Täter nicht sicher ausgeschlossen werden, man gehe aber davon aus, "dass der Täter aus dem Kreis der Familie kommt". Daraus könne gleichwohl nicht auf einen Komplott der insgesamt drei Brüder geschlossen werden: Es könne sein, dass der ehemalige Partner der Getöteten auf eigene Faust - aus Eifersucht und maßlosem Hass, nicht aber zur "Wiederherstellung der Familienehre" gehandelt habe. So ende das Verfahren in einer Grauzone. (esf)

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