Integration in Deutschland 4/2006, 22.Jg., 15. Dezember 2006

STATISTIK

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Nur die halbe Wahrheit

„Ausländerstatistik“ verdeckt Integrationserfolge

Was Experten schon lange wussten, wird jetzt durch neue Zahlen aus Nordrhein-Westfalen belegt: die Indikatoren der amtlichen Ausländerstatistik, die üblicherweise zur Beschreibung der Integrationsentwicklung herangezogen werden, bilden die Wirklichkeit der beruflichen und sozialen Eingliederung von Migranten nur unzureichend ab – mehr noch: sie verschleiern einen wesentlichen Teil erfolgreicher Integration.

Der Grund dafür ist einfach: Die Ausländerstatistik unterscheidet lediglich nach dem Kriterium Staatsangehörigkeit, d.h. nach Deutschen und Nichtdeutschen (und darunter nach Herkunftsländern), die große Zahl der Eingebürgerten jedoch – der ehemaligen Ausländer – wird damit nicht gesondert erfasst. Diese machen bundesweit rund 3,5 Millionen und somit 23 % der Bevölkerung mit Migrationshintergrund aus (insgesamt 15,2 Millionen). Und gerade sie sind es, die weitaus besser in Schule und Arbeitsmarkt integriert sind als der Durchschnitt der Migranten in Deutschland. Durch die Einbürgerung wechseln sie – statistisch gesehen – die Identität. Dadurch kommt es zu einem paradoxen Effekt: Der relative Integrationserfolg der Eingebürgerten als Teilgruppe der Migranten schlägt sich überhaupt nicht in der amtlichen Statistik nieder – im Gegenteil: Da die Ausländer in der Kategorie „Nichtdeutsche“ mit ungünstigeren Kennziffern „zurückbleiben“, vergrößert sich sogar der statistische Abstand zwischen Deutschen und Ausländern.

Durch den Mikrozensus 2005, der erstmals nach dem Migrationshintergrund der betreffenden Bevölkerungsgruppen fragte und die Lebensverhältnisse differenziert erfasste, ist es möglich, zwischen Deutschen, Nichtdeutschen (= Ausländern) und Eingebürgerten zu unterscheiden.1 Im Auftrag des Integrationsministeriums von NRW wurde eine Sonderauszählung durchgeführt, die deutliche Unterschiede zwischen Deutschen, Ausländern und Eingebürgerten zu Tage förderte.

Eingebürgerte deutlich besser integriert

Ende 2005 lebten rund 1,9 Mio. Ausländer in Nordrhein-Westfalen, d.h. 10,7 % der rund 18 Millionen Einwohner hatten einen nichtdeutschen Pass. Hinzu kommen 581.000 Eingebürgerte (also ehemalige Ausländer). Von diesen beiden Gruppen und den Deutschen ist in folgenden statistischen Vergleichen die Rede.

Ausreichende schulische Bildung ist eine der Grundvoraussetzungen für die berufliche und gesellschaftliche Integration. Während bei den erwachsenen Deutschen in NRW 3 % keinen Hauptschulabschluss haben, sind es bei den Ausländern 24 %, bei den Eingebürgerten 13,3 %. Am oberen Ende der Bildungsskala haben 26,4 % Abitur (also die Hochschulreife), bei den Ausländern ist der Anteil nur unwesentlich geringer (23,4 %), bei den Eingebürgerten sogar höher als der Durchschnitt, nämlich 31,2 %.

Gravierend sind die Unterschiede in der beruflichen Bildung: Während bei den Deutschen jeder dritte Erwachsene (31 %) keine abgeschlossene Berufsausbildung hat, ist bei den Ausländern diese Quote doppelt so hoch (61,3 %), bei den Eingebürgerten ist es jeder zweite (52,5 %), der dieses Manko mit sich trägt. Eine abgeschlossene Berufsausbildung haben 52 % der Deutschen, 27 % der Ausländer und 34 % der Eingebürgerten. (Die übrigen Anteile entfallen auf Personen mit Hochschulabschluss: 17 % der Deutschen, 11,4 % der Ausländer und 13,6 % der Eingebürgerten.)

Die durchschnittlich niedrigeren Bildungs- und Ausbildungsniveaus der Nichtdeutschen schlagen sich voll in den Arbeitsmarktziffern nieder. Lag die Erwerbslosenquote der Deutschen im Frühjahr 2005 bei 9,0 % (NRW), so wurde diese Marke von den Ausländern um mehr als das Doppelte (22,4 %) übertroffen, bei den Eingebürgerten lag sie bei 17,8 %.

Die schlechtere Integration in den Arbeitsmarkt wirkt sich erkennbar im Einkommensniveau aus. Während das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen bei den Deutschen bei 1.310 EUR/Person liegt, erreichen Ausländer ein Einkommen von 871 EUR und Eingebürgerte von 972 EUR/Person.

Dem entspricht wiederum die höhere Abhängigkeit der Ausländer von öffentlichen Transferleistungen: nämlich 16,6 %, bei den Eingebürgerten sind es 11,7 % und bei den Deutschen 5,8 %, die von staatlichen Leistungen zum Lebensunterhalt abhängig sind.

Fazit: Die statistischen Kennziffern der beruflichen und sozialen Integration fallen bei den Eingebürgerten deutlich besser aus als bei den Ausländern. Die Eingebürgerten – als „ehemalige“ Ausländer – sind auf dem Weg der Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft offensichtlich weiter fortgeschritten als der Durchschnitt der Migranten. Nicht zuletzt deshalb haben sie den Schritt der Einbürgerung getan. Die Verengung des Blicks auf die Ausländer durch die Brille der „Ausländerstatistik“ verdeckt zumindest einen Teil erfolgreicher Integration.


Autor: Martin Zwick, isoplan

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Im Detail: Die NRW-Sonder-
auswertung aus dem Mikrozensus 2005

 

Zuwanderung und Integration gehören zusammen. Die bisher in der Integrationsberichterstattung verwendeten Indikatoren sind nicht mehr zeitgemäß. Sie bilden die Zuwanderungsrealität nicht mehr adäquat ab. Sie erlauben es nicht mehr festzustellen, ob sich Integration vollzieht, ob sie stagniert oder zurückgeht. Die Amtsstatistik kennt die Kategorie der Zuwanderinnen und Zuwanderer oder Menschen mit Migrationshintergrund nicht, sondern differenziert entlang der Staatsangehörigkeit in Deutsche und Ausländer. Diese Unterscheidung ist trennscharf und hat ihre Berechtigung, etwa bei der Erfassung der grenzüberschreitenden Wanderungen. Sie sagt aber immer weniger über den Sachverhalt der Migration aus, da sich in beiden Gruppen (Deutsche/Ausländer) sowohl Menschen mit als auch ohne Migrationshintergrund befinden, ohne dass dies ablesbar wäre.

Es ist zu vermuten, dass Indikatoren wie Arbeitslosigkeit, berufliche Stellung, Einkommen etc. günstiger ausfielen, wenn sie nicht nur Daten für Ausländer, sondern auch für Eingebürgerte berücksichtigten.

Da es die sozioökonomisch besser gestellten Zuwanderer sind, die einen deutschen Pass erwerben, verbleibt in der Ausländerstatistik ein Personenkreis mit eher ungünstigeren Charakteristika. Dieses Phänomen hat einen paradoxen Effekt: Tatsächliche Integrationserfolge von Zuwanderern führen nicht dazu, dass sich der statistische Abstand zwischen Ausländern und Deutschen verringert. Im Gegenteil, er vergrößert sich, da die erfolgreichen (eingebürgerten) Zuwanderer als Deutsche erfasst werden. Reale Integrationserfolge werden auf diese Weise statistisch un-sichtbar.

Mit dem Mikrozensusgesetz 2005 vom 24. Juni 2004 bieten sich nun neue Möglichkeiten der statistischen Erfassung der Gruppe der Zuwanderer, die den bisherigen Standard deutlich verbessern. Erstmals ist es mit dem neuen Gesetz möglich, die Differenzierung in Deutsche und Ausländer zu überwinden. Der Mikrozensus ist eine seit 1957 jährlich durchgeführte repräsentative Mehrzweckstichprobe von 1% der Bevölkerung, das heißt mehr als 800.000 (NRW 180.000) werden befragt.

Nordrhein-Westfalen hat beim Landesamt für Datenverarbeitung eine Sonderauswertung des Mikrozensus in Auftrag gegeben. Einige zentrale Resultate werden nachfolgend vorgestellt. Ziel ist die Erarbeitung eines zuverlässigen Indikatorensystems zur verbesserten "Messung" von Integration.

1. Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen: Wer nur auf die Ausländerinnen und Ausländer schaut, verkennt die vielschichtige Zuwanderungsrealität:
- 4,1 Mio. Menschen in Nordrhein-Westfalen haben eine Zuwanderungsgeschichte. Das heißt, sie sind entweder Ausländer, selbst aus dem Ausland zugewandert oder haben ein Elternteil, dass aus dem Ausland zugewandert ist.
- Knapp jeder siebte Einwohner Nordrhein-Westfalens ist im Ausland geboren. Von den knapp 18 Mio. Menschen in NRW sind 15,6 Mio. in Deutschland geboren. 2,5 Mio. haben einen Geburtsort im Ausland.
- Auf vier Ausländer kommt heute bereits ein eingebürgerter ehemaliger Ausländer. Neben den knapp 1,9 Mio. Ausländern leben 581.000 eingebürgerte ehemalige Ausländer in Nordrhein-Westfalen.
- Gerade bei den Menschen mit türkischem Hintergrund haben viele einen deutschen Pass. Insgesamt leben 864.000 Türkischstämmige in Nordrhein-Westfalen, 226.000 davon besitzen den deutschen Pass, 638.000 haben nur die türkische Staatsangehörigkeit.

2. Integration in Nordrhein-Westfalen: Einbürgerungsbilanz fällt besser aus wenn auch die Eingebürgerten berücksichtigt werden. Der Mikrozensus 2005 erlaubt es, die strukturelle Integration unterschiedlicher Zuwanderergruppen differenzierter zu betrachten. Bisher wurde nur auf die Gruppe der Ausländer geblickt. Dadurch geraten Integrationserfolge aus dem Blick. Betrachtet man auch die Eingebürgerten, fällt die Integrationsbilanz positiver aus Generell gilt: Eingebürgerte schneiden zwar schlechter ab als einheimische Deutsche, aber deutlich besser als Ausländerinnen und Ausländer:
- Eingebürgerte sind besser auf dem Arbeitsmarkt verankert als Ausländerinnen und Ausländer. So liegt die Erwerbsquote der Eingebürgerten bei 68,4 %, die der Ausländerinnen und Ausländer bei 61,9 %. Der Rückstand zu den Deutschen bleibt jedoch erheblich. Zum Vergleich: Die Erwerbsquote der Deutschen in Nordrhein-Westfalen liegt bei 72 %.
- Eingebürgerte sind seltener erwerbslos als Ausländer: Mit 17,8 % Erwerbslosenquote schneiden Eingebürgerte besser ab als Ausländer, die bei einer Quote von 22,4 % liegen. Zum Vergleich, der Wert der Bevölkerung insgesamt beträgt: 10,5 %. Ganz deutlich ist der Unterschied bei den Männern: Während mit 23,2 % jeder vierte ausländische Mann erwerbslos ist, sind es mit 17 % bei den eingebürgerten Männer erheblich weniger.
- Eingebürgerte weisen einen vergleichsweise höheren schulischen und beruflichen Abschluss auf: Fast jeder vierte Ausländer (24 %) hat keinen schulischen Abschluss, bei den Eingebürgerten liegt dieser Wert mit 13,3 % wesentlich niedriger.
- Eingebürgerte haben öfter qualifizierte Jobs: 44,8 % der erwerbstätigen Eingebürgerten sind Angestellte, 40,7 % sind als Arbeiterinnen und Arbeiter tätig. Bei den Ausländern überwiegt dagegen klar der Anteil der Arbeiter: 51,2 % der erwerbstätigen Ausländer sind Arbeiter, nur 37,0 % Angestellte.
- Die Unterschiede bei Erwerbsquote und Erwerbsstruktur wirken sich nachhaltig auf die Einkommen aus. Auch hier gilt: Eingebürgerte schneiden nicht so gut ab wie einheimische Deutsche, aber deutlich besser als Ausländerinnen und Ausländer. So kommen Eingebürgerte im Monat umgerechnet auf ein Haushaltsnettoeinkommen pro Kopf von 972 Euro, bei Ausländern beträgt es demgegenüber 871 Euro. Zum Vergleich: Bei Deutschen sind es 1.310 Euro. Das höhere Einkommen bedingt, dass auch die Armutsrisikoquote bei Eingebürgerten kleiner ist als bei Nichtdeutschen.

3. Besonders große Unterschiede bei türkischstämmiger Bevölkerung: Bessere Integrationsbilanz der Eingebürgerten. Was für die Gruppe der Zuwanderinnen und Zuwanderer generell gilt, trifft auf die türkischstämmige Bevölkerung ganz besonders zu: Zuwanderer mit deutschem Pass sind besser integriert als Zuwanderer mit nur türkischem Pass. Eingebürgerte (ehemalige) Türken schneiden sogar vielfach besser ab als Ausländerinnen und Ausländer insgesamt.
- Eingebürgerte (ehemalige) Türken haben eine höhere Erwerbsquote, ein höheres Einkommen sowie eine geringere Erwerbslosenquote und eine niedrigere Armutsrisikoquote als die Zugewanderten mit nur türkischem Pass.
- Diese Tatsache gilt in ganz besonderer Weise für Frauen: Gerade die eingebürgerten Frauen sind strukturell besser integriert, als diejenigen, die nur die türkische Staatsangehörigkeit haben.

Zusammenfassende Bemerkungen
Wer nur auf die Ausländerinnen und Ausländer blickt, verengt die Zuwanderungsrealität in Deutschland und Nordrhein-Westfalen in unzulässiger Weise. Integrationserfolge geraten so aus dem Blick: Denn die zeigen sich gerade bei denen, die deutsche Staatsbürger geworden sind. Bisher gingen die Eingebürgerten statistisch in die Gruppe der Deutschen ein. Integrationserfolge wurden so verdeckt, ja unsichtbar gemacht. Betrachtet man hingegen Ausländer und Eingebürgerte zusammen, ergibt sich eine realistischere und bessere Integrationsbilanz. Das gilt gerade für die türkischstämmige Bevölkerung und in besonderer Weise auch für die Frauen.


Autor: Dr. Bernhard Santel, nordrhein-westfälisches Ministerium für Integration

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Flüchtlinge weltweit: UNHCR-Jahrbuch

 

Ende 2004 wurde die Zahl der weltweit registrierten Flüchtlinge, für die der UNHCR (Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlingsangelegenheiten) zuständig ist, auf 19,5 Millionen geschätzt. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies eine Steigerung um 15 Prozent. Bei fast der Hälfte von ihnen handelt es sich um Frauen (49 %) bzw. Kinder (47%). Die meisten (37 %) lebten in Asien, gefolgt von Afrika (25 %) und Europa (23 %). Etwa 7,7 Millionen Flüchtlinge stammen aus Asien (39 % der 19,5 Millionen), 5,3 Millionen aus Afrika (27 %), 2,3 Millionen aus Lateinamerika und der Karibik (12 %) sowie 2,3 Millionen aus Europa (11 %). Die größten nationalen Einzelgruppen stellten 3,7 Millionen Afghanen (19 %), 2,1 Millionen Kolumbianer (11 %), 1,5 Millionen Staatenlosen (8 %) und 1,4 Millionen Sudanesen (7%). Im Verhältnis zur Wirtschaftskraft nahmen Pakistan und die D.R. Kongo die meisten Flüchtlinge auf. Im Verhältnis zur Landesbevölkerung waren Armenien sowie Serbien und Montenegro die bedeutendsten Aufnahmeländer. Diese und viele weitere weltweite Entwicklungen dokumentiert das im Sommer 2006 von der UNHCR herausgegebene Statistische Jahrbuch 2004. Die unter dem Titel "Statistical Yearbook 2004. Trends in Displacement, Protections and Solutions" (ISSN 1684-9051) erschienene Datensammlung bietet auf 531 Seiten einen globalen Analyseteil zu den neuesten Entwicklungen und Karten sowie einen umfangreichen Anhang mit aktuellen Informationen zu verschiedenen Flüchtlingsgruppen und vergleichenden Daten zur Entwicklung im Zeitraum 1995 bis 2004. Neben regionalen Datenblättern finden sich auf allein 320 Seiten auch detaillierte Länderdatenblätter von A wie Albanien über G wie Germany bis Z wie Zimbabwe. (esf)

Bezug: The Senior Statistician, Field Information and Coordination Support Section, Division of Operational Services, United Nations High Commissioner for Refugees, PO Box 2500, 1211 Geneva 2, Switzerland, stats@unhcr.org, www.unhcr.org/statistics

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