Ausländer in Deutschland 4/2003, 19.Jg., 31. Dezember 2003

SCHWERPUNKT: 
OSTEUROPÄER IN DEUTSCHLAND

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


"Ruhrpolen", Exilanten und IT-Fachkräfte

Osteuropäer in Deutschland


Russische Arzthelferin in Berlin

Osteuropäer waren in den vergangenen 150 Jahren die bei weitem größte Gruppe, die nach Deutschland zugewandert ist. Die meisten haben hart gearbeitet und viel zur Entwicklung des Landes beigetragen. In den Medien wird jedoch heute eher unter negativem Vorzeichen berichtet. Vorherrschende Themen sind organisierte Kriminalität, Prostitution und Kinderhandel, Schleuserkriminalität, illegale Beschäftigung, Akademikerarbeitslosigkeit, Heiratsmigration, Romaflüchtlinge, der Abzug russischer Soldaten und Streitigkeiten in jüdischen Gemeinden durch den Zuzug jüdischer Kontingentflüchtlinge. Aber es wird auch positiv berichtet: von erfolgreichen Sportlern, Musikern und Literaten, Informatikern und Unternehmern.

Seit 1989 ist die Zahl der Osteuropäer in Deutschland stark gestiegen. So stieg die Zahl der Polen, Russen und Ukrainer insbesondere seit 1993 stark an. Parallel dazu sank die Zahl der Rumänen, Ungarn und Bulgaren (vgl. Tabelle). 

Sechs Phasen

Die derzeit sich vollziehenden Migrationsbewegungen stellen jedoch weder die erste noch die größte Ost-West-Wanderung dar, die Europa bisher erlebt hat. Es lassen sich sechs vorherige Phasen unterscheiden.

1) Seit dem späten 18. Jahrhundert wanderten polnische und ukrainische Arbeiter zu Hunderttausenden in die aufstrebenden Zentren der Kohle-, Eisen- und Stahlproduktion Westeuropas. Auch die prosperierenden Großstädte zogen viele slawische Einwanderer aus den böhmischen Ländern, aus Galizien und dem preußischen Teil Polens an. Gleichzeitig flohen Hunderttausende osteuropäische Juden vor Antisemitismus, Pogromen und Armut aus der Ukraine, dem russischen Teil Polens oder dem Baltikum. Sie etablierten sich als neue ethnisch-religiöse Minderheiten unter anderem in Berlin. Keine dieser jüdischen Gemeinden überlebte die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg. Im Gegensatz dazu konnte die Mehrheit der slawischen Arbeitsmigranten bleiben. Ihre Kinder und Enkel assimilierten sich schnell. Nur die Familiennamen erinnern in Berlin oder im Ruhrgebiet noch an diese erste Massenzuwanderung aus Osteuropa.

2) Die industrielle Revolution war nicht die einzige Ursache dieser Wanderungsbewegung. Neben dem wirtschaftlichen Gefälle gab es ein politisch-gesellschaftliches. Die russische Oktoberrevolution von 1917 und die Gründung neuer Nationalstaaten im Jahr 1918 löste die nächste große Ost-West-Wanderung aus - in die demokratischen Systeme Westeuropas. Unter anderem flüchteten über 1,5 Millionen Einheimische aus der entstehenden Sowjetunion. Zur gleichen Zeit emigrierten aus Polen, der Tschechoslowakei und Rumänien 1,2 Millionen Deutsche und deutschsprachige Juden nach Deutschland und Österreich: ehemalige Verwaltungsbeamte, Lehrer und Militärs des Wilhelminischen Kaiserreichs sowie Österreich-Ungarns, aber auch etliche andere, die durch die neuen Grenzen von 1918-20 über Nacht zu Angehörigen deutschsprachiger Minderheiten geworden waren.

3) Die nächste Welle überwiegend unfreiwilliger Ost-West-Wanderungen war das Resultat nationalsozialistischer Politik. Unter anderem wurden rund 625.000 "Volksdeutsche" vom NS-Regime im Rahmen der sog. "Heim ins Reich"-Politik aus dem Baltikum, der Ukraine, dem Kaukasus, aus Rumänien, Slowenien und Südtirol zur Übersiedlung nach Deutschland gezwungen. Noch viel größer war die Zahl jener Ostmittel- und Osteuropäer, die das NS-Regime als Zwangsarbeiter nach Deutschland und Österreich verschleppte. Insgesamt waren in Deutschland zu Kriegszeiten rund 8,5 Millionen ausländische Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge beschäftigt.

4) Die politische Neuordnung nach 1945 führte zur bislang größten Verschiebung ansässiger Bevölkerungen. Über 12 Millionen Ost- und Volksdeutsche begaben sich während des Zusammenbruchs des NS-Regimes auf die Flucht oder wurden in den folgenden Monaten und Jahren vertrieben. Mehr als die Hälfte von ihnen stammte aus ehemaligen deutschen Ostgebieten, die 1945 an Polen und die UdSSR fielen. Die Übrigen kamen aus anderen Teilen Polens, aus der Tschechoslowakei sowie aus Ungarn und Jugoslawien.

5) Von 1950 an dämpfte der Kalte Krieg die Migration von Ost nach West. Völlig zum Stillstand kam sie nie. Charakteristisch für diese Migration war nicht nur die Flucht unzufriedener Ostmitteleuropäer, sondern auch die politisch regulierte Auswanderung von Minderheiten. Dies betraf vor allem Juden und deutschstämmige Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Rumänien und Polen. Für ihre Emigration machten sich unter anderem die deutsche Regierung stark. Insgesamt kamen über drei Millionen deutschstämmige Aussiedler nach Deutschland.

6) Das Ende der politischen Spaltung Europas führte ab 1989 zur bislang letzten großen Welle der Ost-West-Wanderungen. Die Zahl deutschstämmiger Aussiedler und jüdischer Emigranten vervielfachte sich binnen weniger Monate. Etliche gingen bei ihren Reisen in den Westen auf Arbeitssuche, andere stellten einen Asylantrag oder bemühten sich um die Anerkennung als Aussiedler. Anfang der 1990er-Jahre verschärften jedoch viele EU-Staaten ihr Asylrecht, verlangten von Bürgern Ostmitteleuropas wieder Einreisevisa und begannen nun ihrerseits, jene Grenzen zu kontrollieren, die jahrzehntelang von der anderen Seite abgeriegelt worden waren. Die einstig liberale Aufnahmepraxis des Westens für Osteuropäer wurde restriktive gewendet. Dies lag an einer zunehmend skeptischen Haltung gegenüber Zuwanderung, aber auch am Ende der Systemkonfrontation: Während des Kalten Krieges dienten Migranten aus dem Osten als Beleg dafür, dass Marktwirtschaft und Demokratie attraktiver waren als Planwirtschaft und Sozialismus. Solcher Beweise bedarf es seit 1989 nicht mehr.


Osteuropäischer Spezialitätenkoch in Köln

Die meisten Osteuropäer führen ein unauffälliges Leben, werden seitens der Mehrheitsgesellschaft meist auch nicht als Fremde wahrgenommen. Sie sind - abgesehen von Problemgruppen - in der Regel gut integriert. In der Öffentlichkeit positiv wahrgenommen werden vor allem Sportler osteuropäischer Herkunft wie die Boxerbrüder Wladimir und Vitali Klitschko oder Dariusz Michalszewski, Fußballer wie Miroslav Klose oder Paul "Slawo" Freier sowie Tischtennisspieler, Ringer und Sportgymnastinnen. Eher Kennern bekannt sind auch Künstler - insbesondere Musiker, Maler und Literaten. In der Berliner Torstraße ist wenige Meter neben der "Russendisko" auch der "Club der polnischen Versager" zum Kult geworden. Hier trifft sich die Szene und feiert ihre "Versager" als Antihelden der Erfolgsgesellschaft.


Die Nationalitäten


Polen

Eine der größten und ältesten Zuwanderergruppen in Deutschland sind die Polen. Das liegt auch daran, dass beide Länder in besonderer Weise miteinander verbunden sind. Mit der polnischen Teilung im 18. Jahrhundert erhielt Preußen einen Teil Polens, wodurch die dort lebende Bevölkerung zu "Reichsdeutschen" wurde. Gleichzeitig setzte eine politische Emigration in heute deutsche Territorien ein. Nach 1850 kam es zu einer verstärkten Wirtschaftsmigration aus dem preußischen Teilungsgebiet nach Deutschland - bis zum 1. Weltkrieg emigrierten dorthin 500.000 bis 650.000 Polen, während die polnische Bevölkerung in Deutschland insgesamt bei über 4 Millionen Menschen lag.

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts waren Bergmann und Hüttenarbeiter im Ruhrgebiet zu den Berufen der Ungelernten geworden. Jeder kräftige Mann konnte sie ausüben. Insbesondere der Bergmannsberuf wurde für Einheimische zum Aufstiegsberuf, für Zuwanderer aus dem Osten zum Eingangsberuf. Bereits in den 1870er-Jahren wurden Polen gezielt angeworben, so dass 1910 mehr als 35 % aller Bergleute und 80 % aller ausländischen Arbeitskräfte Polen waren. Nach einer Verordnung von 1899 mussten sie "genügend Deutsch verstehen, um mündliche Anweisungen ihrer Vorgesetzten und Mitteilungen ihrer Mitarbeiter richtig aufzufassen". Wenngleich der Hintergrund dieser Maßnahme Arbeitsunfälle aufgrund fehlender Deutschkenntnisse waren, sahen viele Polen darin eine Diskriminierung und Behinderung beim beruflichen Aufstieg und protestierten heftig.

In den ersten Jahren kamen zum größten Teil junge, unverheiratete Männer. Etwa zwei Drittel der männlichen Polen waren im Alter zwischen 21 und 50 Jahren. Die "Westfalczyks", wie die Auswandernden von ihren Landsleuten genannt wurden, waren größtenteils Kleinbauern oder Landarbeiter, für die es keine ständige Arbeit gab. Die Arbeitsbedingungen waren sehr hart. Die Einwanderer waren jedoch froh, mit ihren Familien der Not ihrer Heimat zu entkommen. Da sie auch die schwersten Arbeiten annahmen, festigte sich ein paradoxes Vorurteil: Der Bergmannsberuf wurde seitens der Einheimischen abgewertet. Man hielt ihn zum Teil für minderwertig und anspruchslos.

Neben dem Bergbau arbeiteten die Männer auch als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft. Besonders im Ruhrgebiet entwickelte sich relativ schnell eine ausgeprägte Infrastruktur mit polnischen Vereinen, Banken und Geschäften. Im 1. Weltkrieg wurden viele Hunderttausend Polen als Zwangsarbeiter zur Arbeit in der Landwirtschaft und Industrie deportiert und später repatriiert. Zu Beginn des 2. Weltkrieges wurden die Polen als "Staatsfeinde" bezeichnet - auch die im Ruhrgebiet arbeitenden Kumpel. Aber es gab dort auch Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Darüber hinaus wurden Schätzungen zufolge 1,7 bis 3,5 Millionen polnische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene nach Deutschland deportiert. Nach dem 2. Weltkrieg lebten in Deutschland zwei Gruppen: zum einen die polnischen Inländer der "alten Emigration", zum anderen ein teil der deportierten Zwangsarbeiter der sog. "neuen Emigration".

Die meisten der 75.000 bis 350.000 Polen, die in Deutschland blieben, haben sich assimiliert und nahmen später die deutsche Staatsbürgerschaft an. Daran erinnern viele Namen mit der Endung "-ski", wie Schimanski oder Grabowski. Bezeichnend ist die Legende rund um den von Götz George gespielten Kommissar. Geboren wurde er 1938 in Stettin, wuchs ohne Vater in einfachsten Verhältnissen in Duisburg auf. Er hatte nie die Chance, zu lernen, mit Geld umzugehen. "Schimanski lebt vom Dispo, und er lebt in den Tag hinein", so Frank Goyke und Andreas Schmidt in ihrem Buch "Horst Schimanski". Während seiner Schweißerlehre wird er in einer Straßengang zum Automaten- und Autoknacker. Dabei trifft er auf Kommissar Karl Königsberg, den späteren Kriminaloberrat. Der griff ihn auf und schickte ihn zur Polizeischule. Das Unheil nahm seinen Lauf - die deutsche TV-Gemeinde hatte ihren Star der 1980er-Jahre.

War die Zuwanderung der Polen zunächst v.a. ökonomisch motiviert, so kamen von 1945 bis in die 1980er-Jahre auch politische Flüchtlinge und Aussiedler. Seit den 1960er-Jahren wurden von der damaligen DDR Arbeitsmigranten angeworben. Zuletzt (1989) waren es 31.500, die zum Teil nach der deutschen Einheit blieben. Trotz des Anwerbestopps 1973 bestehen für Polen seit den 1980er-Jahren legale Beschäftigungsmöglichkeiten in Deutschland. Sie können als Werkvertragsarbeitnehmer, Gastarbeitnehmer oder Saisonarbeiter (vgl. S. 5) ins Land kommen. Jährlich Hunderttausende nutzen diese Möglichkeit. Die meisten Werkvertragsarbeitnehmer sind im Bau- oder Verarbeitenden Gewerbe eingesetzt, die Gastarbeitnehmer schwerpunktmäßig im Verarbeitenden Gewerbe, der Land- und Forstwirtschaft, im Dienstleistungssektor sowie dem Baugewerbe, während die Saisonarbeiter zu über 85 % in der Land- und Forstwirtschaft arbeiten. Viele Grenzpendler gehen nach Berlin, wo sie als Kleinhändler, Putzfrauen, Kellnerinnen oder Prostituierte arbeiten - häufig ohne Sozialversicherungsnachweis (vgl. S. 5). Gut die Hälfte der Polen lebt seit über 10 Jahren hier.

Noch heute ist NRW das Land mit den meisten Polen (85.267) vor Bayern (38.509) und Hessen (31.011). Mit Ausnahme von Hessen, Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen-Anhalt und Thüringen zählen die Polen mittlerweile in allen Bundesländern zu den fünf größten Ausländergruppen. In Brandenburg sind sie die größte Gruppe, in Schleswig-Holstein, Berlin und Sachsen die zweitgrößte. In regionaler Betrachtung (vgl. auch S. 12) finden sich hohe Anteile an der ausländischen Bevölkerung v.a. entlang der Ostgrenzen. Bei den Städten mit der höchsten polnischen Bevölkerung dominieren Berlin (30.695) und Hamburg (20.146) vor München (7.462) und Köln (5.529).

Zu den heute wichtigen polnischen Organisationen zählt der "Bund der Polen in Deutschland" (ZPN) mit Hauptsitz in Bochum. Er steht jedoch nur Deutschen polnischer Volkszugehörigkeit offen. Ferner existieren über 100 weitere Vereine, u.a. der 1982 gegründete "Polnische Sozialrat" in Berlin, der eine Dachorganisation zu etablieren versucht. Er betreut unter anderem polnische Werkvertragsarbeitnehmer, die mit nicht eingehaltenen Lohnabsprachen, einem hohen Unfallrisiko und anderen Problemen der "faktischen Rechtlosigkeit" zu kämpfen haben. Zu nennen ist auch der Berliner Verein ZAPO (Zentrale Integrierte Anlaufstelle für PendlerInnen aus Osteuropa", der Saisonarbeiter, Werkvertragsarbeiter und vor allem Polinnen berät, die hier in Not geraten sind. Schließlich gibt es eine Vielzahl in Deutschland erscheinender polnischer Zeitungen wie "Fakty", "Kontakt" oder "info & tip".

Kontakte:

ZAPO, Oranienstr. 34, 10999 Berlin, 
Tel.: 030/6150909

Polnischer Sozialrat e.V., Kohlfurter Straße 40, 10999 Berlin, Tel.: 030/615-1717, Fax: -9219, Polskarada@aol.com

Bund der Polen in Deutschland e.V., 
Am Kortländer 6, 44787 Bochum, 
Tel.: 0234/16601

Deutsch-Polnische Gesellschaft Bundesverband e. V., Koordinierungsbüro Berlin, 
Rauchstr. 17-18, 10787 Berlin, 
Tel.: 030/26551630, Fax: 030-2655

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Ukrainer

Die 111.433 Ukrainer sind dagegen noch eine junge Zuwanderergruppe: 52 % leben seit unter 4 Jahren hier, 70 % seit unter 6 Jahren. Ihre Bevölkerung hat sich in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht. Ihre Zuwanderung ist v.a. politisch und ökonomisch motiviert. Gut zwei Drittel der Ukrainer leben in den vier Bundesländern NRW (26.954), Bayern (18.512), Niedersachsen (10.348) und Baden-Württemberg (10.097). Die Städte mit der höchsten ukrainischen Bevölkerung sind Berlin (8.117), Hannover (5.105), Nürnberg (4.479) und München (4.181). Hohe Zahlen weisen auch Köln (3.446) und die Städte des Ruhrgebietes auf. Die Beschäftigtenstruktur ist heterogen, sie reicht von Akademikern bis zu Aushilfen. Von Bedeutung ist auch die Saisonarbeit in der Landwirtschaft.

Seit 2000 sind im Rahmen der Green-Card-Verordnung viele hundert ukrainische IT-Fachkräfte nach Deutschland gekommen. So wie Vyacheslav Safronov. Der 38-jährige Programmierer arbeitet seit Oktober 2000 bei einer Ingenieurgesellschaft im brandenburgischen Rheinsberg. Standesgemäß hat er sich über das Internet beworben. Auf eher ungewöhnlichem Weg kam der Erzpriester Georgij Antoniouk. Seit zehn Jahren steht er der russisch-orthodoxen Kirche im Berliner Stadtteil Karlshorst - an einem der früheren Standorte der Roten Armee - vor. Aufgrund des Priestermangels in den Berliner Gemeinden wurde er im ukrainischen Lutsk angeworben - eigentlich nur für ein oder zwei Jahre.

Statistiken zu Polen in Deutschland finden Sie unter der Rubrik "Zuwanderergruppen".

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Russen

1945 hieß es im Osten Deutschlands mit Schrecken: "Die Russen kommen!" Die Angst war verflogen, als es fast 50 Jahre später hieß "Die Russen gehen". 1994 - erst drei Jahre nachdem die Sowjetunion aufgelöst worden war - verließen die letzten Einheiten der russischen Truppen ihre aus DDR-Zeiten verbliebenen 30 Standorte in den neuen Bundesländer. Die Sowjetsoldaten hatten - trotz gelegentlicher Umzüge und organisierter Freundschaftsbesuche - weitgehend isoliert von der deutschen Bevölkerung gelebt. In Schlafsälen mit bis zu 120 Betten zusammengepfercht, mit einem Wehrsold von einem Rubel pro Tag und 25 Ostmark pro Monat auf die Hand, hatten sie ein so hartes Leben, dass selbst die DDR ihnen als wahres Konsumparadies erschien. Bald ein Jahrzehnt nach Abzug der Roten Armee heißt es im Osten wie im Westen Deutschlands wieder: "Die Russen kommen".

Um genau zu sein kommen "die Russen" nicht, sondern sind längst da - russischsprachige Migranten verschiedener Herkunft. Bis zu 200.000 russlanddeutsche Aussiedler sind Mitte der 1990er-Jahre pro Jahr eingereist, daneben insgesamt gut 120.000 russische Juden, die den Status von Kontingentflüchtlingen haben. Viele aus diesen beiden Gruppen sind mit Russen verheiratet; ein großer Teil der Juden versteht sich als Russen. Hinzu kommen die Exilanten der 1970er-Jahre, die oftmals ausgewiesen wurden oder auch von der deutschen Regierung "freigekauft" wurden, politische Flüchtlinge aus jüngerer Zeit und die Russen mit deutschen Ehepartnern.

Fasst man die Migranten aus der Russischen Föderation, Weißrussland, Moldawien und den Nachfolgestaaten der UdSSR im Kaukasus und in Zentralasien inklusive der Aussiedler zusammen, so ist die Gruppe dieser russischsprachigen Zuwanderer heute ähnlich groß wie die der Türken, wenngleich nur 216.700 keinen deutschen Pass haben. Bei der jüngsten Zuwanderung spricht man bereits von der vierten Emigrationswelle.

Die meisten russischsprachigen Menschen (ohne Aussiedler) leben in NRW (65.226), Bayern (41.126), Baden-Württemberg (32.335) und Niedersachsen (29.340). In Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen sind die Russen zur zweitgrößten Ausländergruppe avanciert, in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen zur drittgrößten und in Berlin zur fünftgrößten. Bei den Städten mit den höchsten Zahlen russischsprachiger Migranten (ohne Aussiedler) dominieren deutlich Berlin (18.106) und Hamburg (11.242), mit einigem Abstand gefolgt von Hannover (6.141), München (6.047) und Köln (5.953). Aber auch in vielen anderen Städten hört man Russisch jeden Tag auf der Straße.

In Baden-Baden und Stuttgart stehen seit gut einem Jahrhundert russische Kirchen. Weitere etwa 40 - meist jüngere - russisch-orthodoxe Kirchengemeinden finden sich von Gifhorn bis Konstanz. Allein drei stehen in Berlin. 1993 waren es erst 17 Gemeinden. Damals erschien mit der "Jewropa-Zentr" die bis 1995 erste und einzige russische Zeitung in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg. 1997 gab es bereits über ein Dutzend, heute dürften es doppelt so viele sein. Sie heißen "Semljaki", "RAD - Deutsch-Russische Zeitung", "Samowar", "Russkaja Germanija" oder "Russkij Berlin". Gerade in Berlin boomt die russische Kultur. Das liegt nicht zuletzt an den gebildeten russischen Juden aus den Großstädten der ehemaligen Sowjetunion, von denen viele in geisteswissenschaftlichen und technischen berufen tätig waren. So gibt es ein russisches Kulturprogramm, das vom Sender "Spreekanal" über Kabel verbreitet wird und ein eigenes Programm bei RADIOmultikulti.

Die zwölf Milliarden Mark, die die Bundesregierung für die Versorgung und den Abzug der russischen Truppen zahlte, waren eine Art Initialzündung für das Phänomen der so genannten "Russenmafia". Die russischen Versorgungsoffiziere schlossen Lieferverträge über riesige Mengen von Genuss- und Konsumgütern, die über die Im- und Exportfirmen einiger in Deutschland lebender russischer Exilanten auf dem Moskauer oder Berliner Schwarzmarkt landeten. Ferner fließen Gelder aus den Privatisierungen ehemaligen sowjetischen Volkseigentums in den Westen. Den Strukturen der organisierten Kriminalität lassen sich sicherlich nur wenige hundert Russen zuordnen - die allerdings erheblich Probleme bereiten. Das Thema ist von den Medien jedoch auch stark aufgebauscht worden - aufgrund der oft angewandten brachialen Methoden der Täter. Übersehen wird, dass die organisierte Kriminalität von Deutschen noch ganz andere Probleme bereitet.

Seit gut zehn ist eine Vielzahl russischer Vereine und Organisationen entstanden. Im Jahr 2001 feierte der Verein "MIR, Zentrum russischer Kultur in München und Bayern" sein 10-jähriges Jubiläum. Schon 1990 wurde die "Deutsche Assoziation der Absolventen und Freunde der Moskauer Lomonossow-Universität" (DAMU) gegründet. Zu den Mitgliedern zählen neben deutschen und russischen Absolventen Universität auch andere Menschen, die an lebendigen Kontakten mit Russland auf den Gebieten Wissenschaft, Bildung und Kultur interessiert sind. Der gemeinnützige Verein fördert konkrete Vorhaben, die dem Ausbau institutioneller und persönlicher Beziehungen in diesen Bereichen dienen. Zu nennen ist ferner das "Tolstoi Hilfs- und Kulturwerk" in München, das vor allem eine Bibliothek ist, aber auch Kulturveranstaltungen und Sozialberatung anbietet.

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Balten

In den 1940er- und 1950er-Jahren flüchteten Zehntausende Letten, über 50.000 Esten und etwa 100.000 Litauer nach Deutschland. Die meisten dieser Angehörigen baltischer Völker, die vor den sowjetischen Besatzern geflohen waren, zogen weiter, mehrere tausend blieben jedoch und nahmen die deutsche Staatsbürgerschaft an. Aus einem deutschen Flüchtlingslager ging jedoch 1951 das lettische Gymnasium in Münster, die einzige anerkannte lettische Schule in Westeuropa, hervor. Im gleichen Jahr gründeten auch die Litauer in Hüttenfeld bei Mannheim ein eigenes Gymnasium. Beide sind bis heute kulturelle und politische Zentren geblieben. Ende der 1950er-Jahre repatriierten sich auch einige tausend Deutsche aus dem Memelland in die Bundesrepublik. Viele der nach 1991 gekommenen Esten, Letten und Litauer nahmen eine Ausbildung, ein Studium oder eine Erwerbstätigkeit auf. Seit 18 Jahren erscheint in Bremen "estonia", eine Zeitschrift für estnische Literatur und Kultur.

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Rumänen und Bulgaren

Bis 1990 war die Migration der Rumänen vor allem politisch motiviert. Die Zahl der Emigranten seit 1948 wurde Mitte der 1990er-Jahre auf 300.000 geschätzt. Zwischen 20 und 50 % der Rumänen in Deutschland sind Roma. 163.000 Menschen mit rumänischem Pass lebten 1993 in Deutschland. Ihre Zahl sank bis heute auf 89.000. Neben befristet beschäftigten Werkvertragsarbeitnehmern ist die Mehrzahl der Rumänen als Asylsuchende eingereist. Anfang der 1990er-Jahre waren sie regelmäßig die größte oder zweitgrößte Asylbewerbergruppe. Es kamen vor allem junge, unverheiratete Männer aus städtischen Regionen. Seit 1866 hat die rumänisch-orthodoxe Kirche in Deutschland die rligiöse Betreuung der Migranten übernommen. Damals wurde mit der "Stourdza-Kapelle" in Baden-Baden die erste rumänisch-orthodoxe Kirche in Deutschland gebaut. Heute gibt es ein halbes Dutzend Gemeinden.

Seit 25 Jahren besteht in Berlin eine bulgarische Schule. Das ist kein Zufall. Die Bulgaren gehören zu den frühen Migrantengruppen, die sich in Deutschland niedergelassen haben. Insbesondere aufgrund von Einbürgerungen ist ihre Zahl zuletzt gesunken auf 42.000. 1993 waren es noch 57.000. Ein gesonderter Text, ein Gespräch und ein Portrait beschäftigen sich mit den Menschen aus diesem "heimlichen Auswanderungsland" (mehr...).

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Tschechen und Slowaken

Seit Jahrhunderten waren vor allem tschechische Intellektuelle oder der Adel gezwungen, Tschechien aufgrund der politischen Verhältnisse zu verlassen. Im 20. Jahrhundert kamen Tschechen vor allem nach dem 1. Weltkrieg, nach Abschluss des Münchner Abkommens von 1938 sowie während und nach dem 2. Weltkrieg in deutschsprachige Länder. Besonders die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Truppen des Warschauer Paktes im August 1968 löste eine große Fluchtwelle aus. Allein von 1952 bis 1991 kamen gut 344.000 Personen aus der Tschechoslowakei nach Deutschland, von denen etwa 180.000 die Bundesrepublik wieder verließen. In diesem Zeitraum wurden über 48.000 eingebürgert, weitere gut 69.000 wurden als Aussiedler registriert. Nach 1989 stiegen die Zuwanderungszahlen wieder an, gingen mit dem fortschreitenden Demokratisierungsprozess in Tschechien und der Slowakei jedoch wieder zurück. Die meisten sind gut integriert oder assimiliert. Die meisten Kinder der zweiten Generation sprechen ihre Muttersprache nicht mehr.

Die Exilkultur der Tschechen und Slowaken war bis 1989 vor allem im Bereich der Literatur mit einigen Verlagen - wie "Archa" in Berlin, "Index" in Köln oder "Arkyr" in München - stark ausgeprägt. Eine Anlauf- und Kontaktstelle ist bis heute die "Deutsch-Tschechische und Slowakische Gesellschaft" in Köln. Noch aus DDR-Zeiten besteht in Berlin das Tschechisches Zentrum, genannt "CzechPoint". Es bietet Lesungen, Ausstellungen, Filme, Musikveranstaltungen und Sprachkurse.

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Ungarn

Seit dem Mittelalter kamen immer wieder Studenten und Wandergesellen nach Deutschland. Besonders nach dem 1. Weltkrieg wirkten hier zahlreiche Künstler, Universitätsprofessoren, Ingenieure, sowie zeitweise Land- und Facharbeiter. Erst nach 1945 kann jedoch von einer ungarischen Bevölkerungsgruppe gesprochen werden. Nach einer Schätzung des Bunds Ungarischer Organisationen in Deutschland (BUOD) leben gegenwärtig 120.000 Menschen ungarischer Herkunft in Deutschland. Nur etwa 60 % von ihnen kamen mit einem ungarischen Pass. Da mehr als 4 Millionen Ungarn in den Nachfolgestaaten des ehemaligen ungarischen Königreichs leben, liegt der Anteil der Ungarn, die mit slowakischem, rumänischem, serbischen, slowenischem Reiseausweis nach Deutschland kamen, bei etwa 40 %.

Es lassen sich verschiedene Zuwanderungsphasen unterscheiden. Vor dem ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit kamen einige Hundert Ungarn nach Deutschland. Nach 1945 kamen in der Folge des Krieges etwa 30.000 Personen. Viele dieser Flüchtlinge waren qualifizierte Facharbeiter und Akademiker. Nach dem Ungarnaufstand 1956 folgten ca. 25.000 Personen, darunter auch Arbeiter und Handwerker. Integrationsfördernd war der ausländerrechtliche Sonderstatus für Ostblockflüchtlinge. Sie durften bis 1989 grundsätzlich nicht abgeschoben werden und hatten freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Nach 1960 kamen gut 25.000 so genannte Gastarbeiter ungarischer Volkszugehörigkeit aus dem damaligen Jugoslawien. Nach dem "Prager Frühling" 1968 kamen weitere rund 5.000 Personen ungarischer Nationalität aus der Slowakei. Nach 1975 wanderten aus Siebenbürgen etwa 30.000 Personen ungarischer Nationalität als rumänische Staatsbürger nach Deutschland. Bis 1989 kamen schließlich weitere rund 15.000 Flüchtlinge aus Ungarn. In die damalige DDR waren diesen Angaben zufolge ferner ca. 15.000 Gastarbeiter und Einwanderer (z.B. durch Heirat) gekommen. Ab 1990 kamen ca. 30.000 nur zeitweilig hier lebende Fachkräfte mit Werkverträgen aus Ungarn sowie Studenten.

Nach Angaben des BUOD leben in Süddeutschland (Bayern, Baden-Württemberg und Hessen) etwa zwei Drittel der Menschen ungarischer Volkszugehörigkeit. In den übrigen alten Bundesländern leben rund 17% und in den neuen Bundesländern ca. 8%. Etwa 80 % der in Deutschland lebenden Ungarn - unabhängig von ihrem Herkunftsland - besitzen mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft.

Die ungarische Minderheit ist eine verhältnismäßig kleine und unauffällige Gruppe. Wichtig für die Strukturen des ungarischen Lebens in Deutschland ist neben Folklore- und Pfadfindergruppen sowie über 40 weiteren kulturell aktiven Vereinen - von Städteverbindungen über Deutsch-Ungarische Gesellschaften, dem international angesehenen "Orchestra Philharmonica Hungarica" in Marl oder dem "Ungarnhaus Mindszenty" in Köln bis zu reinen Kulturvereinen - insbesondere die Kirche. 11 Geistliche der katholischen ungarischen Gemeinden und Missionen halten in 61 Städten monatlich einmal heilige Messen ab. Die sieben Geistlichen der protestantischen ungarischen Gemeinden feiern Gottesdienste in 23 Städten. Höhepunkte im Jahresablauf sind die weihnachtlichen Krippenspiele, die sehr beliebten ungarischen Faschingsbälle und natürlich die Programme zu den ungarischen Nationalfesten sowie Maifeste ("majális") und Wallfahrten. Zu erwähnen sind ferner das seit 1948 bestehende Ungarische Gymnasium und Internat mit 300 Schülern in Kastl/Opf sowie eine Vielzahl von Wochenendschulen, die die Kinder bei der Aneignung der ungarischen Schrift und Kultur unterstützen. Vier Monatszeitschriften informieren über die alte und neue Heimat. Seit 1992 gibt es den Fernsehsender Duna TV und den M2, die über Satelliten auch in Deutschland sehr gut zu empfangen sind.

Der Bund Ungarischer Organisationen in Deutschland (BUOD) mit Sitz in Dietzenbach bei Frankfurt/Main koordiniert als Dachverband die Arbeit der ungarischen Organisationen in Deutschland. Zu den Zielen gehören die Pflege der ungarischen Sprache und Kultur, die Zusammenarbeit und Koordinierung von kulturellen und sozialen Hilfeleistungen, die Repräsentation der Mitgliederorganisationen bei staatlichen Stellen und Institutionen sowie die Förderung der Völkerverständigung. Der Verband fungiert als Informationsstelle über Entwicklungen, die ungarische Interessen betreffen und führt Folklore-Festivals, wissenschaftliche Symposien sowie karitative Veranstaltungen im Sinne der Völkerverständigung durch. (www.buod.de)

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Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

Verwendete Literatur:
Schmalz-Jacobsen, Cornelia / Hansen, Georg (Hg.): Kleines Lexikon der ethnischen Minderheiten n Deutschland, München 1997
Unbekannter Autor: Migration. Sie kommen, keine Angst, in: Die Zeit, 12.11.00 (Nachdruck in www.rechtegewalt.de)

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Feste Größen im deutschen Kulturbetrieb

Osteuropäische Künstler


Die ukrainische Mezzosopranistin Zoryana Kushpler

Das kulturelle Leben Deutschlands haben osteuropäische Künstler - von Literaten über Pianisten, Ballettänzerinnen und Komponisten bis zu Straßenmusikanten - stark bereichert. Am auffälligsten in Erscheinung traten zuletzt sicherlich die Bulgaren Christo und Jeanne-Claude Javachef mit der Verhüllung des Reichstages. Eher unbekannt ist dagegen, dass die bulgarischstämmige Berliner Designerin Russewa-Hoyer den Adler auf der Rückseite der deutschen Euro-Münzen entworfen hat.

Im künstlerischen Bereich sind Osteuropäer seit langem eine feste Größe in Deutschland. Eher Insidern bekannt sind Künstlerinnen wie die ukrainische Fotokünstlerin Julia Kissina, die tschechische Portraitfotografin Jitka Hanzlová oder die bulgarische Malerin Vessela Posner. Fast schon zu sehr im zuweilen harten Licht der Medienberichterstattung steht dagegen die Tschechin Dana Horáková. Die 55-jährige ist seit Anfang 2002 Kultursenatorin der Stadt Hamburg. Die Tochter eines Tschechen und einer Deutschen wuchs in Prag auf und emigrierte in den 1970er Jahren nach Deutschland. Horakova war von 1992 bis 1999 Ressortleiterin Kultur der BILD, danach für kurze Zeit stellvertretende Chefredakteurin der "Welt am Sonntag", ehe sie 2001 zur Hamburger Ausgabe der BILD zurückkehrte. Nach längeren Schwierigkeiten bei der Besetzung des Postens der Kultursenatorin machte sich Horáková mit ihren Vorstellungen in der Hamburger Kulturszene nicht sehr beliebt.

Von Konrad bis Kaminer - osteuropäische Literaten

Der russische Schriftsteller Aleksandr Solschenizyn ist einer von vielen osteuropäischen Literaten, die zumindest kurzfristig in Deutschland ein Exil fanden. Der 1918 geborene Literat gilt als einer der glaubwürdigsten und unermüdlichsten Kritiker der Menschenrechtsverletzungen im ehemaligen Sowjetreich. Aleksandr Solschenizyns autobiographisch gefärbten Erzählungen über politische Zwangslager und Verfolgung in der UdSSR kosteten ihn zwar 1974 die Ausweisung nach Deutschland, brachten ihm jedoch auch internationale Anerkennung - so 1970 den Nobelpreis für Literatur - ein. Insbesondere mit seinem großen Epos "Der Archipel Gulag" erreichte die ungeheuerliche Wirklichkeit eines gigantischen Lagersystems die Aufmerksamkeit der zivilisierten Welt. Von Deutschland zog Solschenizyn nach Kanada, 1992 kehrte er nach Russland zurück. Der kurze Aufenthalt in Deutschland, wo er im Haus von Heinrich Böll Zuflucht fand, war von enorm großem Medieninteresse begleitet.

Eher still ist es um die meisten anderen osteuropäischen Literaten. Einige waren schon früh nach Deutschland gekommen, so der bulgarische Schriftsteller Assen Assenov (61), der 1965 nach Österreich auswanderte und 1975 nach Berlin kam, oder seine Landsfrau und Schriftstellerkollegin Rumjana Zacharieva (53), die 1970 zuwanderte. Andere, wie die Schriftstellerin Tzveta Sofronieva (40), kamen erst Anfang der 1990er-Jahre. Die bulgarische Dichterin kam im Rahmen eines Forschungsstipendiums des Wissenschaftszentrums Berlin nach Deutschland. Sehr viele kamen als Stipendiaten des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) nach Deutschland und blieben dann bzw. kamen später zurück.

So auch der 1932 als Kind jüdischer Eltern in Kiew geborene Friedrich Gorenstein. Er arbeitete in der UdSSR als Drehbuchautor und Literat (u.a. "Der Platz", 1972) , bis er unter politischer Verfolgung zu leiden hatte. 1980/81 kam er als DAAD-Stipendiat nach Deutschland und blieb in Berlin. "Am ersten Morgen", erinnert er sich, "sah meine damalige Frau aus dem Fenster und sagte erschrocken: ‚Hier stehen die Menschen genauso Schlange wie in Moskau!' Es war ein türkisches Konsulat oder so etwas, wo die Leute wegen ihrer Reisepapiere anstanden." Gorenstein lebt in der Nähe des Olivaer Platzes, einer Wohngegend, die zwischen den Weltkriegen eine bevorzugte Wohngegend für Literaten aus aller Welt (u.a. Vladimir Nabokov, Gerhart Hauptmann, Robert Musil, Erich Maria Remarque und Vladimir Majakowskij). In jüngeren Romanen wie "Malen, wie die Vögel singen" (1996) oder "Champagner mit Galle" (1997) beschreibt er prägnant die heutige russische Gesellschaft. Die Kritik nennt ihn den "Tolstoi des 20. Jahrhunderts". "Wer kann ich sein?" fragt er sich. "Jude? Literat? Russe? Bürger? Kleinbürger? Deutscher? Wenn ich hier einkaufe, bin ich da Deutscher?"
Ebenfalls über ein DAAD-Stipendium kam der heute in Berlin lebende ungarische Schriftsteller György Konrád (70) nach Deutschland. Er gilt als einer der bedeutendsten Literaten und Essayisten Ungarns. Seine politisch-moralischen Essays leisteten einen wesentlichen Beitrag zur demokratischen Erneuerung Ungarns Ende der 1980er-Jahre. Heute genießt er weltweite Anerkennung als führender Theoretiker des neuen Mitteleuropa. Ein großer Teil der jüdischen Familie des im ungarischen Debrecen geborenen Schriftstellers kam in der Zeit des Nationalsozialismus um. In Budapest studierte Konrad Literatur, Soziologie und Psychologie. In den 1960er-Jahren arbeitete er als Soziologe im Budapester Institut für Städtebau. Damals erschienen seine ersten Essays. 1969 folgte sein Romandebüt mit "Der Besucher" (1973 ins Deutsche übersetzt). Er arbeitete an Studien zu soziologischen Problemen in neuen Wohnsiedlungen mit, die zum Teil nicht veröffentlicht werden durften. Nach der Herausgabe des Essays "Die Intelligenz auf dem Weg zur Klassenmacht" folgten Arbeitsplatzverlust und eine Verhaftung, die weltweite Proteste auslöste. In den folgenden Jahren hielt Konrad sich wegen heftiger politischer Angriffe und langjähriger Publikationsverbote in Ungarn zeitweilig im Ausland auf. In Berlin lebte er nicht nur als DAAD-Stipendiat, sondern auch als Fellow des Wissenschaftskollegs. 1991 wurde er Mitbegründer der Bürgerrechtsbewegung "Demokratische Charta" in Budapest, die sich als Reaktion auf einen zunehmenden Chauvinismus und Antisemitismus gebildet hatte. Von 1990 bis 1993 war er Präsident, seit 1993 Vizepräsident des Internationalen PEN. 1991 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. Seit 1991 ist Konrad auch Mitglied der Akademie der Künste, deren Präsident er von 1997 bis 2003 war. Aufsehen erweckte er in Deutschland zuletzt mit seinem demonstrativen Eintreten für einen Krieg gegen den Irak Saddam Husseins Anfang 2003. In diesem Jahr erschien beim Suhrkamp Verlag sein jüngster Roman "Glück".

Der 1989 intensivierte Zuzug von osteuropäischen Migranten hat in den vergangenen Jahren eine eigene Emigrantenliteratur entstehen lassen, die sich stark von der Exilliteratur früherer Jahre unterscheidet. Neben älteren Autoren wie Alexander Lajko machen vor allem jüngere Autoren von sich reden. Der Shootingstar unter den russischen Schriftstellern ist der 35-jährige Wladimir Kaminer. 1990 war er mit einem Besuchervisum aus Moskau nach Berlin gekommen, seit 1998 schreibt er seine skurillen Zeitungskolumnen, Romane und Erzählungen ("Russendisko", "Militärmusik") in deutscher Sprache - in Ausgabe 1/01 auch für AiD. Kaminer hat eine wöchentliche Sendung namens "Wladimirs Welt" beim Berliner Radio MultiKulti und organisiert im Kaffee Burger Veranstaltungen wie die inzwischen kultig-berüchtigte "Russendisko". Im Januar 2003 debütierte er im Jungen Theater Göttingen mit seinem Theaterstück "Marina. Wiedersehen mit der Russendisko". Neben Kaminer zu nennen sind der in Berlin lebende Timur Litanischwili, dessen "Beichte eines verrückten Emigranten" 1998 erschien, oder auch die russlanddeutschen Schriftstelller Igor Hergenröther und Andreas Masurkow. Die jüdisch-russische Lyrikerin und Regisseurin Ruth Olshan (33) erhielt 2000 als beste Nachwuchsregisseurin in NRW den Künstlerinnenpreis.

Literarisch produktiv sind auch junge Polen, wie der in Frankfurt/Main lebende Christoph Maria Zoluski oder der seit 1988 in Hannvoer lebende Dariusz Muszer. Muszer (44) schrieb 1999 mit "Die Freiheit riecht ach Vanille" die makaber-skurile Geschichte eines "sorbisch-deutsch-polnisch-jüdischen Mischlings". Die Themen dieser jungen Literaten sind freilich nicht immer lustig und skurill. Der aus Rumänien stammende Schriftsteller Richard Wagner schrieb in seinem 2001 beim Aufbau-Verlag erschienenen Detektivroman "Miss Bukarest" über das lang wirkende und emotionale zersetzende Gift des rumänischen Geheimdienstes Securitate und wie die Vergangenheit die Emigranten in Deutschland nach Jahren wieder einholt.

Auch die Kindheitserinnerungen der ungarischen Schriftstellerin Zsusza Bánk sind eher von Melancholie geprägt. Bánk erhielt 2002 den "aspekte"-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt des Jahres sowie den Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung für das Jahr 2004. Mit der von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste verliehenen letztgenannten Auszeichnung werden herausragende literarische Leistungen deutschschreibender Autoren gewürdigt. Zsuzsa Bánks Debütroman Der Schwimmer" erzähle "sprachlich brillant und mit poetisch-liebevoller Melancholie von einer problematischen Kindheit im frühen Ungarn", heißt es in der Begründung der Jury. Sie beschreibt das Drama des Verlassenwerdens aus der Perspektive zweier Kinder, die mit ihrem Vater eine Odyssee durch das ländliche Ungarn beginnen, als die Mutter in den Westen flieht. Bànk wurde 1965 als Tochter ungarischer Flüchtlinge in Frankfurt/Main geboren, wo sie heute als Autorin und Journalistin arbeitet.

Erfolgreich mit Kindheitsbeschreibungen war vorher schon Terézia Mora. Die 1971 in Ungarn geborene Autorin lebt seit 1990 in Berlin, wo sie Drehbuchschreiben studiert und aus dem Ungarischen übersetzt. Als Preisträgerin des renommierten Ingeborg-Bachmann-Preises wurde sie 1999 bekannt. Mora beschreibt die Bewohner des abseits an der österreichischen Grenze liegenden ungarischen Dorfes Petöhàza. Sie beherrschen das Trinken ebensogut wie den zumeist hoffnungslosen Traum von einer Flucht aus den ärmlichen Verhältnissen in ein besseres Leben (vgl. AiD 1/01).

"Piano-Heilige" und andere Musiker

Der 1949 im rumänischen Kronstadt geborene Peter Alex Makkay siedelte im Frühjahr 1963 mit seinen Eltern nach Deutschland um. Heute ist er unter dem Künstlernamen Peter Maffay bekannt und mit über 35 Millionen verkauften Platten Deutschlands erfolgreichster Musiker.

Am anderen Ende der Bekanntheitsskala rangierend, dafür von Fachkennern hoch geschätzt werden osteuropäische Komponist/innen moderner Musik. Als führende Vertreterin der "Neuen Musik" ist Sofia Gubaidulina weltweit anerkannt. So schrieb sie unter anderem für Kurt Masur und die New Yorker Philharmoniker Stücke. Die 1931 als Tochter eines Tataren und einer Russin geborene Gubaidulina ging von der Wolga nach Moskau und begann dort als freischaffende Komponistin. In ihrer Arbeit beeinflusst wurde sie von vier kulturellen Wurzeln - neben der tatarischen und russischen auch von der jüdischen und deutschen Kultur und Musik. 1991 kehrte sie nach mehrmonatigen Studienaufenthalten in Worpswede und Schreyahn nicht in die Sowjetunion zurück. "Ich fühle mich in Deutschland nicht wie im Exil", sagt Gubaidullna, die seitdem in Appen bei Hamburg lebt. "Hier kann ich leben und arbeiten. In Moskau dagegen komme ich mir vor wie in einem steinernen Sarg".

Auch der 1923 als Sohn ungarisch-jüdischer Eltern in Siebenbürgen/Rumänien geborene Györsy Ligeti zählt zu den wichtigsten Vertretern moderner Musik. Ligeti ging in Klausenburg zur Schule und studierte dort Komposition, ehe er nach Budapest zog und dort als Dozent arbeitete. Nach dem Ungarn-Aufstand 1956 flüchtete Ligeti nach Wien und war 1957 - 59 freier Mitarbeiter bei Karl-Heinz Stockhausen im Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks in Köln. 1959 ließ er sich in Wien nieder und ist seit 1967 österreichischer Staatsbürger. 1969 - 70 war Ligeti Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin und 1972 "composer in residence" an der Stanford University, Kalifornien. Von 1973 bis 1989 unterrichtete er Komposition an der Hamburger Musikhochschule; er lebt abwechselnd in Hamburg und Wien. Mit seinen Orchesterstücken Apparitions (1958 - 59) und Atmopheres (1961) hat Ligeti einen neuen musikalischen Stil entwickelt, gekennzeichnet durch eine überdichte Polyphonie ("Mikropolyphonie") und statische Formabläufe.

Ungezählt sind auch die vielen osteuropäischen Musiker, deren gute Ausbildung bei deutschen Orchestern sehr geschätzt wird. Zur Zeit hoch gelobt und mit vielen Preisen bei Wettbewerben ausgezeichnete russische Pianistin Anna Gourani lebt seit 12 Jahren in Deutschland. Damals kam sie mit ihrer Familie zu einem Wettbewerb nach Göttingen und beschloss, nicht mehr zurückzukehren. Heute lebt die 30-jährige in München. Die Musikkritik bescheinigt dem Jungstar ein "fast mystisches Klavierspiel" (F.A.Z.), "Piano-Heilige" nannte sie gar "Die Welt". Zuletzt bekam sie gar eine Rolle im jüngsten Film "Unbesiegbar" von Regisseur Werner Herzog - sie spielt hier eine Pianistin. Erfolgreich ist auch der russisch-jüdische Sänger und Schauspieler Mark Aisikowitsch.

Unter Liebhabern von Oper und klassischer Musik erregt seit einigen Jahren ein aus der Ukraine stammendes Geschwisterpaar Aufsehen. Die Mezzosopranistin Zoryana Kushpler und ihre klavierspielende Zwillingsschwester Olena stammen aus Lemberg und haben sich mit ihrem russischen Repertoire auf internationalen Bühnen zwischen Hamburg und Genf längst einen Namen gemacht. Im September 2000 erreichte die Laufbahn der 1974 geborenen Sängerin Zoryana ihren ersten Höhepunkt. Beim renommierten ARD-Wettbewerb in München gewann sie den selten vergebenen 1. Preis. Die junge Frau mit der großen Stimme war mit Musik seit ihrer frühen Kindheit vertraut. Mit fünf Jahren lernte sie Klavier bei ihrer Mutter, schloss mit 18 Jahren ihr Geigenstudium mit Konzertdiplom ab und studierte anschließend Gesang bei ihrem Vater Igor Kushpler an der Musikhochschule Lemberg. Mit 20 Jahren debütierte sie am Opernhaus Lemberg. 1998 wechselte sie an die Hochschule für Musik in Hamburg. Es folgten Meisterkurse, bevor sie im Frühjahr 2003 ihr Studium (Opernklasse und Konzertexamen) mit Auszeichnung beendete. Konzertreisen führten sie u.a. in die Tonhalle Zürich, die Victoria Hall in Genf und zum Schleswig Holstein Musikfestival.

Wie viele andere emigrierte Musikerinnen und Musiker hat sie erst im Westen die materielle wie immaterielle Anerkennung für ihr Talent und ihre Ausbildung erhalten. Sie sind zu festen Größen im deutschen Kulturbetrieb geworden. Anderen Künstlern - insbesondere den Literaten - blieb dies nur selten vergönnt.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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Boxer und Gymnastinnen

Erfolgreiche osteuropäische Sportler

Leichtathleten wie die ehemalige Rumänien Alina Astafei, Boxer wie die ukrainischen Klitschko-Brüder, Fußballer wie der Tscheche Tomas Rosicky - osteuropäische Sportler sind in Deutschland seit einem Jahrzehnt de facto oder auch emotional unter Sportinteressierten längst eingebürgert. Das liegt auch an ihren sportlichen Erfolgen.

Neben Alina Astafei sorgte in der Vergangenheit eine zweite Sportlerin aus Rumänien für Furore. Seit 17 Jahren spielt die 35 Jahre alte Olga Nemes für den Deutschen Tischtennisbund DTTB. Nach 170 Länderspielen für Deutschland droht derzeit aufgrund von Auseinandersetzung mit dem DTTB das Ende ihrer Länderspielkarriere. Die Weltklassespielerin mit Wohnsitz in Saarbrücken war schon als 14-Jährige ins Rampenlicht gerückt. Die Jugend-Europameisterin gewann 1983 sensationell das Europäische Top-12-Turnier. 1985 erhielt die Rumänin den deutschen Pass, nachdem sie ihre sportliche Heimat nach kurzem Gastspiel beim MTV Stuttgart für sieben Jahre beim ATSV Saarbrücken gefunden hatte. Zwar wechselte sie 2002 zum ungarischen Spitzenverein Postas Budapest, doch blieb Saarbrücken ihr Wohnsitz. Auch der Ex-Weltklasse-Tischtennisspieler Andrzej Grubba aus Polen ist nach Ende seiner Karriere in Deutwschland geblieben und lebt heute im Westerwald.

Fußball-Nationalspieler Miroslav Klose wurde 1978 im polnischen Oppeln geboren und kam als Neunjähriger mit seinen Eltern in den westpfälzischen Ort Kusel. Vater Josef spielte Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre als Profi beim AJ Auxerre in Frankreich, Mutter Barbara brachte es im Handball immerhin auf 82 Länderspiele für Polen.

Paul "Slawo" Freier, geboren 1979 im polnischen Beuthen, kam mit 11 Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland. Er wuchs in Holzen im Sauerland auf und wechselte 1997 zum VfL Bochum. "Seit der Geburt hieß ich Slawomir", sagt der heutige Nationalspieler. "Das konnte man aber nicht auf Deutsch übersetzen, als wir nach Deutschland kamen. Deshalb haben mir meine Eltern den Zweitnamen Paul gegeben, der überall eingetragen wurde. Da mich aber schon als Kind alle Slawo genannt haben, wollte ich das auch weiterhin so."

Der in Danzig geborene Berufsboxer Dariusz Michalszewski (35) ist seit 1990 Deutscher. Der "Tiger" rang lange um die Anerkennung in seiner Wahlheimat. "Für die Deutschen bin ich immer noch der Pole", sagte er 1998. "Ein Stück meines Herzens gehört natürlich immer noch Polen, aber meine Fäuste boxen für Deutschland", sagt Michalszewski, der Mitte Oktober 2003 in Hamburg nach 12 Jahren und 49 Kämpfen seine erste Niederlage erlitt. Er verlor seinen WBO-Halbschwergewichtstitel, wird aber weiter boxen.

Sehr viel einfacher hatten es Vitali und Wladimir Klitschko. Ihre Namen sind heute weltbekannt. Bei den deutschen Fans sind die in Hamburg lebenden Brüder die wohl populärsten Osteuropäer. Vitali wurde 1971 in Kirgisien, Wladimir 1976 in Kasachstan geboren. 1985 zog die Familie in die Ukraine. Aus kindlichem Spieltrieb heraus entwickelte sich bei Vitali eine Begeisterung für Kickboxen und bei Wladimir für das Boxen. In kurzer Zeit wurde Vitali sechsmal Weltmeister im Kickboxen und ebenso dreimal Ukrainischer Meister im Boxen. Wladimir stand seinem älteren Bruder in nichts nach. Schon mit siebzehn Jahren erkämpfte er den Europameistertitel der Junioren, wurde fünfmal Ukrainischer Boxmeister und 1996 als Amateurboxer Olympiasieger im Schwergewicht in Atlanta. Seit 1996 sind sie beim deutschen Profi - Boxstall "Universum Box-Promotion" unter Vertrag. Ihre ersten Siege als Profis waren sehr eindrucksvoll. Im Laufe von drei Jahren haben sich Vitali und Wladimir Klitschko unter die zehn besten Boxer der Welt gekämpft und zahlreiche Titel errungen. Sie haben 73 Kämpfe (33 - Vitali, 40 - Wladimir) bestritten und überwiegend durch k.o. gewonnen. Vitali erkämpfte die Titel Europameister, Intercontinental Champion und WBO-Weltmeister, Wladimir die Titel Europameister, WBA Intercontinental Champion und WBO-Champion. Am 11. November 1999 wurde der Name von Vitali, als erster Boxweltmeister im Schwergewicht, der 26 Kämpfe durch k.o. mit der geringsten Anzahl an geboxten Runden gewonnen hatte, ins "Guinness Buch der Rekorde" eingetragen. Damit hat er sogar Iron Mike Tyson übertroffen. In Deutschland nennt man Vitali auch "den König der Knock outs" - kein Wunder. Frei übersetzt bedeutet der Name Klitschko ("Klitsch" - der Schlag, "ko" - k.o.).
Der für den KSV Köllerbach startende Ringer Konstantin Schneider hat bei der Ringer-Weltmeisterschaft in Frankreich im Oktober 2003 die Silbermedaille. 1991 war der damals 15-jährige mit seiner deutschstämmigen Familie aus Kirgisien ins Saarland gekommen. 1995 hat Schneider schon einmal eine WM-Silbermedaille in der Klasse bis 74 Kilo gewonnen - bei den Junioren. Nach einigen Jahren in der Sportfördergruppe der Bundeswehr arbeitet Schneider seit 2000 als Croupier in einer Spielbank.

Was bei den Männern heute das Boxen und das Ringen ist, ist bei den Frauen die Sportgymnastik: eine Domäne osteuropäischer Sportler. Eugenia Ramich und Lisa Ingildejewa sind derzeit die besten deutschen Sportgymnastinnen. Lisa Ingildejewa gilt als ganz große Hoffnung der deutschen Sportgymnastik. Obwohl erst 15 Jahre alt ist sie bereits fünffache deutsche Meisterin. Mit vier Jahren kam sie aus Russland nach Deutschland, seit ihrem 10. Lebensjahr trainiert sie 42 Stunden in der Woche im schwäbischen Leistungszentrum Schmiden. Im Frühling wurde das in Moskau geborene Mädchen Deutsche. Im September nahm sie an der Weltmeisterschaft in Budapest teil, doch das eigentliche Ziel ist Olympia. Bei der WM schlug sie sich mit dem Reifen gegenüber der Weltelite achtbar und wurde Neunte. Eugenia Ramich erreichte mit dem Ball den neunten Rang.

Betreut werden die beiden in Schmiden von den Trainerinnen Galina Krylenko und Elena Khadazev. Krylenko ist Weissrussin. Auch die vier anderen Stützpunkt-Trainerinnen kommen aus russischsprachigen Ländern. Die meisten Mädchen im Leistungszentrum stammen aus Ländern des ehemaligen Ostblocks. Rhythmische Sportgymnastik hat dort einen hohen Stellenwert. So wird beim Training nur Russisch gesprochen. Der Trainingsalltag ist hart, neben Schule und Training bleibt keine Zeit für Freunde.

Die deutsche Cheftrainerin Livia Medilanski sagte nach der WM: "Vor uns liegt ein langer Weg, um die Besten der Welt zu erreichen". Mit Fleiß und Optimismus müsse man sich langsam der Phalanx der Gymnastinnen aus Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken nähern. Medilanski weiss wovon sie spricht. Sie betreute die wohl bekannteste deutsche Sportgymnastin osteuropäischer Herkunft: die 1978 im polnischen Gdynia geborene Magdalena Brzeska. Auch Brzeska begann als 12-jährige in Schmiden, später wechselte sie nach Wattenscheid. Brzeska, auf die die die Medien und die Werbewirtschaft aufgrund ihres Aussehens schnell aufmerksam wurden, nahm an mehreren Weltmeisterschaften teil. Die in sie gesetzten hohen Hoffnungen konnte sie jedoch nicht erfüllen. So beendete sie 1998 ihre Karriere, um an ihrer Modelkarriere zu arbeiten. Sie brachte es zum Titelmodel für das FAZ-Magazin sowie die Zeitschriften Gala und Gong.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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Glück und Unglück

Heiratsmigration und Gewaltprostitution von Osteuropäerinnen

Die Wohlstandsgrenze und das Lohngefälle zwischen den alten und den künftigen EU-Staaten bietet in punkto Beschäftigung manche beidseitige Chancen, aber auch Risiken.

Regionale deutsche Zeitungen und deutsche Internetseiten bieten Tausende Bekanntschaftsanzeigen aus Osteuropa, in denen insbesondere junge Frauen ihr Glück im Westen suchen. "Von Vorurteilen geprägte Menschen werden sagen es sei die Prostitution der Neuzeit", heißt es z.B. in www.wedhelper.com, "doch den Aussagen der westeuropäischen Ehemänner zufolge steckt viel mehr dahinter". Die Erzählungen würden zeigen, "dass sich gerade diese beiden Kulturen hervorragend ergänzen. Während sich die osteuropäische Frau eine harmonische Familie mit Kindern und sozialer Sicherheit wünscht, haben unterdessen viele westeuropäische Männer Schwierigkeiten eine Frau zu finden, die ihren Wunsch nach Familie teilt."

Deutsch-polnische Heiraten dominieren seit 1990 die Statistik binationaler Eheschliessungen. Während 1980 erst 293 deutsche Männer polnische Frauen heirateten, waren es 1990 bereits 3.193, 1995 5.090 und 1999 5.304. Ab 1995 stieg auch die Zahl der deutsch-russischen Heiraten sprunghaft an. Heirateten 1990 nur 431 deutsche Männer russische Frauen, so waren es 1995 bereits 1.764 und 1999 schon 2.223. Die Zahlen deutscher Frauen, die polnische oder russische Männer heirateten ist ebenfalls gestiegen, erreicht jedoch nicht diese Dimensionen. 1999 heirateten 858 deutsche Frauen polnische Männer und 620 Männer aus der Russischen Föderation. Bei weitem nicht all diese Paare haben sich freilich über Heiratsannoncen kennen gelernt. Manch privates Glück zwischen Migranten und Einheimischen entwickelte sich über "normale" Wege.

Glück und Unglück können jedoch nahe beieinander liegen. Dies gilt insbesondere für Osteuropäerinnen, die in Deutschland ihr berufliches Glück suchen. Nachdem der Bundestag Anfang 2002 die Weichen dafür gestellt, hat, dass künftig Arbeitskräfte aus dem Osten Europas, den EU-Beitrittsländern wie Polen, Tschechien, Ungarn oder der Slowakei in Deutschland als Haushaltshilfen und Pflegekräfte eingesetzt werden können, ist hier ein Marktplatz für Privatpersonen entstanden: Deutsche können per Anzeige Kräfte suchen, Osteuropäer/innen lesen dies und können so Verbindung aufnehmen. Seit einigen Jahren ist jedoch bekannt, dass Menschenhändler gezielt über Agenturen und Zeitungsannoncen in Osteuropa Frauen mit falschen Versprechungen nach Deutschland locken, wo sie zur Prostitution gezwungen werden.

Mindestens 120.000 Mädchen und Frauen werden nach EU-Schätzungen jedes Jahr von Osteuropa nach Deutschland oder in andere westeuropäische Länder geholt und zu Prostituierten gemacht. Bis zu 500.000 sollen in einem Netz von Banden festgehalten werden. Die meisten der etwa 200.000 ausländischen Prostituierten in Deutschland stammen aus Osteuropa - vor allem aus Russland, Litauen, Bulgarien, der Ukraine und Polen, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z. vom 19.11.03). Zwei Drittel der von der Polizei entdeckten Frauen werden nach Angaben des Bundeskriminalamtes mit seelischer oder körperlicher Gewalt zur Arbeit gezwungen.

Ende November 2003 wurde am Berliner Landgericht im Rahmen eines Menschenhändler-Prozesses die Geschichte von "Ewa" gehört. Die 21-jährige Ukrainerin geriet unter Vortäuschung einer Beschäftigung im Haushalt einer deutschen Familie in die Hände eines Prostituiertenringes. Ewa ist kein Einzelfall. Seit dem Fall der Mauer kommen die meisten Opfer von Menschenhandel und Prostitution aus Osteuropa. Sie werden mit gefälschten Papieren eingeschleust und zur Prostitution gezwungen. Ihnen werden in Deutschland die Papiere weggenommen. Die Illegalität ihres Aufenthaltes macht sie erpressbar und abhängig von ihren Zuhältern. Die Hälfte ihrer Erlöse aus der Prostitution müssen sie an die Bordellbetreiber abgeben, ferner müssen sie mehrere hundert Euro im Monat an die Menschenhändler für das Einschleusen bezahlen. Die Frauen dürfen die Bordelle und Wohnungen teilweise nicht verlassen.

In der vom Erzbischöflichen Ordinariat Berlin 1999 herausgegebenen Publikation "Illegal in Berlin" wird der Fall einer 30-jährigen arbeitslosen Frau aus der ehemaligen Sowjetunion geschildert. Sie lernte bei einer Party einen Mann kennen, der ihr anbot, sie könne während der Ferien in Deutschland arbeiten, um ein wenig Geld zu verdienen. Er habe einen guten Job für sie. Sie willigt ein, er kümmert sich um sämtliche Modalitäten der Ausreise - verschafft ihr unter anderem einen Reisekredit. Er sagte ihr, das könne sie ohne weiteres in kurzer Zeit zurückzahlen. In Berlin empfing sie ein Landsmann, der ihr eröffnete, dass sie als Animierdame und Kellnerin in einem Nachclub Männer bedienen solle. Erst nach einer Woche erfuhr sie, dass sie als Prostituierte arbeiten sollte. Zu diesem Zeitpunkt hat man ihr bereits ihren Pass abgenommen - um das Visum zu verlängern, wie es heißt. Nachdem sie sich weigert, wird sie mit Gewalt gefüge gemacht und gerät in völlige Abhängigkeit von zwei Zuhältern für die sie arbeiten muss, um ihre Kreditschulden abzubezahlen. Erst nach über zwei Monaten gelingt ihr die Flucht.

Betroffen sind jedoch nicht nur junge Frauen. Geschildert wird auch der Fall einer 50jährigen Frau aus der ehemaligen Sowjetunion. Als Arbeitslose war sie sehr dankbar, als ihr ein guter Bekannter Arbeit in Berlin anbot. Es hieß, sie solle sich hier um ältere Menschen kümmern. Dafür würde sie bezahlt und habe nachmittags frei. In Berlin wird sie in eine Zwei-Zimmer-Wohnung zu einem alten Ehepaar gebracht. Was sie vorher nicht wusste, ist, dass die beiden über 80jährigen Menschen bettlägerig sind - und dass sie eine Gefangene ihrer Schützlinge sein wird, da deren Sohn sie in der Wohnung einsperrt. Sie lebt und arbeitet zwei Monate bei dieser Familie, ehe es ihr gelingt, aus der Wohnung zu fliehen.

Auch der Handel mit Kindern ist in Deutschland ein großes Problem. Jedes Jahr werden 200.000 junge Osteuropäer in die EU-Staaten verkauft, berichtete die Süddeutsche Zeitung 2002. "In Deutschland werden Mädchen und Jungen verkauft und benutzt wie eine Ware", kritisierte Petra Boxler, Vorsitzende von Terre des Hommes. Boris Scharlowski, Koordinator der Internationalen Kampagne gegen Kinderhandel, sagte, in Deutschland gebe es eine steigende Nachfrage nach Kinderdienstleistungen. Bis zu 10.000 ausländische Minderjährige würden ausgebeutet.

Diese negativen Auswirkungen des Wohlstandsgefälles werden zunehmend in den Medien thematisiert. Auch soziale Einrichtungen haben reagiert. Seit einiger Zeit gibt es Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel. Bundesweit agierende Einrichtungen wie die Diakonie oder lokale einrichtungen wie "Kobra" in Hannover, die Dortmunder Mitternachtsmission e.V., agisra e.V. in Köln oder Solwodi e.V. in Duisburg unterstützen und helfen Frauen, die zur Prostitutionsausübung gezwungen werden. Dennoch werden Opfer des Menschenhandels noch nicht ausreichend unterstützt. Auch die Täter werden nicht konsequent genug verfolgt. Zudem sollte der Menschenhandel auch in den Herkunftsländern der Opfer besser mit präventiven Maßnahmen - insbesondere Aufklärungsmaßnahmen - bekämpft werden, fordern viele Institutionen.

Infos: 
www.solwodi.de, www.agisra.de, www.frauennrw.de, www.diakonie.de, www.bka.de


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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Sind Namen Schall und Rauch?

 

Im Blickpunkt der wechselvollen deutsch - tschechischen Geschichte stehen häufig die großen Katastrophen: die Hussitenkriege, die gewaltsame Rekatholisierung und die Vertreibung der Andersgläubigen nach 1620 durch die Habsburger, das deutsche Terrorregime von 1939 bis 1945, die Vertreibung nach 1945. Doch gab es auch Phasen eines friedvolleren Miteinanders, so dass sich die beiden Völker zu vermischen begannen. Das Ergebnis war häufig so "undurchsichtig", dass es beispielsweise für Forscher oft unmöglich war herauszufinden, welche der früher international sehr begehrten böhmisch-mährischen Musiker und Komponisten deutscher oder tschechischer Herkunft waren. Diese Studien betrieb man vor allem im nationalistisch extrem aufgeheizten 20. Jahrhundert akribisch. 

Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es heiße Debatten, ob der 1717 geborene geniale Komponist und Begründer der Mannheimer Schule, Johann Wenzel Anton Stamitz, Deutscher oder als Jan Vác(z)lav Antonín Stamic Tscheche war. Besonders bezeichnend verlief der Streit im Fall von Jan Krtitel Vanhal, der bei uns als Johann Baptist Vanhall bekannt ist und den man gern als großen deutschen Komponisten hinstellte. Es gab aber Quellen, wonach der junge Vanhal von seinem Vater zum Erlernen der deutschen Sprache in den Nachbarort geschickt wurde. Damit war wohl auch die Idee vom Tisch, dass er - wenn schon kein Deutscher - so als van Hall "wenigstens" niederländischer Herkunft gewesen sei. Heute weiß man, dass viele dieser Musiker nur die Muttersprache beherrschten als sie ins Ausland gingen. Dort fanden sie oft ein gutes Auskommen und passten daher ihre Lebensweise und ihren Namen an - wie im Fall von František / Franz Benda oder Antonín Rejcha bzw. Anton / Antoine Reicha, der in Paris Karriere machte - auch wenn sie später immer wieder ihre Heimat besuchten. Doch in vielen Fällen gelang mangels schriftlicher Überlieferung keine eindeutige deutsche oder tschechische Identifizierung, so dass es bei einer beide Nationalitäten umfassenden "böhmischen" Herkunft blieb. Diese ist aber sicher bei Namen gegeben, die auf deutsch - tschechische Verbindungen zurückgehen und deren prominentester derzeitiger Vertreter der Präsident der Tschechischen Republik Václav Klaus sein dürfte.

Eine Anmerkung: Der Verfasser weiß aus eigener Erfahrung (die Familie stammt aus dem Westen Oberschlesesiens) mit welchen Finten die Frage der Herkunft bis in die jüngste Vergangenheit oft behandelt wurde. Die Familie behauptete einfach kühn, der Name Andratschke stamme aus Westdeutschland ("Moselfranken"), er sei somit "unangreifbar deutsch". Nur eine angeheiratete Tante sprach ihn in der Mitte stets gedehnt aus, und damit klang noch ganz vage die ursprünglichen Fassung an, das tschechische Andrácek.


Autor: Peter Andratschke

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Grenzerfahrungen - Deutsche und Polen

 

Hamburg. Deutsche und Polen haben eine lange gemeinsame Geschichte. Vor allem die katastrophalen Ereignisse des 20. Jahrhunderts haben tiefe Gräben in die nachbarschaftlichen Beziehungen gerissen. Erst mit der Neuordnung Europas seit 1989 wurde eine Annäherung zwischen den Menschen wieder möglich. Was ist ihnen diesseits und jenseits der Oder von den historischen Ereignissen im Gedächtnis geblieben? Wie haben diese das Leben der Menschen verändert und geprägt? Dies haben Jugendliche in Deutschland und Polen im Rahmen ihrer nationalen Geschichtswettbewerbe erforscht. Sie erzählen von der polnischen Zuwanderung ins Ruhrgebiet um 1900 bis zu Situation polnischer Zwangsarbeiter im nationalsozialistischen Deutschland - von der Vertreibung Deutscher aus Polen bis zur Auseinandersetzung mit der jeweiligen nationalen Erinnerungskultur. Unter dem Titel "Grenzerfahrungen. Jugendliche erforschen deutsch-polnische Geschichte" hat Alicja Wancerz-Gluza im November 2003 eine sehr bewegende Dokumentation dieser Recherchen herausgegeben. Die polnische Philologin und Mitbegründerin der 1982 entstandenen Untergrundzeitung KARTA leitet den Geschichtswettbewerb "Historia Bliska". Das von Wladyslaw Bartoszewski und Richard von Weizsäcker eingeleitete 389-seitige Buch ist bei der Edition Körber-Stiftung erschienen (ISBN 3-89684-040-1) und kostet 14 Euro.

Im Rahmen des Wettbewerbs haben beispielsweise Schüler der Klasse 10 des Gymnasiums Eickel in Herne die Zuwanderung in ihre Stadt untersucht. Die Schüler erfuhren, dass "Shamrock", die erste Zeche vor Ort, von Anfang an dringend auf Arbeitskräfte von außen angewiesen war, da die Bevölkerung der dünn besiedelten Region viel zu wenige Bergleute stellen konnten. Während zunächst Bergleute aus Westfalen zuzogen, folgten ab 1860 erst Engländer und Iren, später auch Schweden, Russen, Österreicher oder Ungarn. Ab 1880 strömten vor allem polnische Landarbeiter nach Herne, um auf "Shamrock" oder einer anderen der inzwischen entstandenen Zechen zu arbeiten. Dabei waren viele dieser als Polen angesehenen und sich auch als Polen verstehenden Arbeiter nominell Deutsche, da Polen bis zum 1. Weltkrieg zwischen dem Deutschen Reich, dem Kaiserreich Österreich und Russland aufgeteilt war.

1912 lag der Anteil der Polen und Masuren an der Bevölkerung von Herne bei 30 %. Die meisten waren den Zechen-Anwerbern gefolgt, die extra nach Polen gereist waren, um neue Arbeitskräfte zu finden. Sie versprachen gute Wohnverhältnisse in zecheneigenen Wohnungen und Kolonien, guten Lohn und eine geregelte Arbeitszeit. Der Arbeiterschriftsteller Hans Marchwitza (1890 - 1965) beschrieb seine eigene Anwerbung: "In Bytom (Beuthen) stellte sich alle paar Wochen ein Agent von der Ruhr ein, der nicht viel zu locken brauchte. Hunderte Unzufriedene umlagerten das schmutzige Hotel. Der Agent betrog die Angeworbenen, das wusste man; er betrog erst recht jene, die sich ihm mit Gewalt aufdrängten, mit dem kleinen Zehrgeld, mit den lumpigen Fahrtkosten und mit dem Kontrakt, den jeder unterschreiben musste. Wenige fanden den Mut, sich den Vertrag auch durchzulesen. Der Agent betrachtete jeden eine Weile kritisch, brummte: ‚Dass ihr dann drüben ja nicht stöhnt. Da gibt's kein Nörgeln, Kontrakt ist Kontrakt!" Mit solchen Verträgen traten die Arbeiter sämtliche Rechte an die Zeche ab. Ein Wechsel der Arbeitsstelle war kaum möglich. (esf)

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Förderung osteuropäischer Studenten

 

München. Über 30 Jahre lang suchte und vermittelte der Unternehmensberater Dr. Rochus Mummert Topmanager für die deutsche Wirtschaft. 2001 gründete er mit seiner Frau die "Beatrice und Rochus Mummert-Stiftung" für hochbegabte Ingenieur- und Wirtschaftsstudenten aus Mittel- und Osteuropa. Ziel der Stiftung ist es, dass die geförderten Stipendiaten in ihren Heimatländern in verantwortlichen Positionen einen Beitrag leisten zum wirtschaftlichen und politischen Transformationsprozess, zu freiheitlich und marktwirtschaftlich verfassten Demokratien, zu engen Beziehungen zwischen Deutschland und diesen Staaten sowie zu Frieden und Völkerverständigung auf dem Weg der europäischen Einigung. Mit seinem Projekt hat Mummert vor allem die Selbstbesinnung auf das alte Europa im Auge.

Der gebürtige Schlesier ist überzeugt, dass sich unter Ingenieuren und Ökonomen am häufigsten echte Problemlöser finden - öfter als in anderen akademischen Berufen. Jährlich fünf Stipendiaten sollen nach einem ersten Abschluss in der Heimat an der TH Aachen bzw. der Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln ihr Diplom machen. Ihre Förderung läuft jeweils für drei Jahre. Die Bewerbung für ein Stipendium setzt einen erfolgreichen Abschluss des Vorauswahlverfahrens des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) voraus. Aussichtsreiche Bewerber werden zu von der Stiftung finanzierten Auswahlgesprächen nach Bonn eingeladen. Die Mehrheit der ersten 20 Kandidaten, die sich beim DAAD vorstellten, waren Frauen. (esf)

Infos: www.mummertstiftung.de

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Kunstkalender

Halle/Saale. "Zwei Kameraden" heißt dieses Werk der ukrainischen Studentin Olena Fedotova. Die aquarellierte Tuschezeichnung schmückt das Augustblatt des Kunstkalenders 2004, mit dem die ausländischen Studierenden an der Burg Giebichenstein - Hochschule für Kunst und Design Halle zum zehnten Mal in Folge eine Auswahl ihrer Arbeiten vorstellen. Mit dem Kalender wollen sie auf den Hilfsfonds für ausländische Studierende im Freundes- und Förderkreis der Burg Giebichenstein - Hochschule für Kunst und Design e.V.aufmerksam machen. Als Gedanken zu "Zwei Kameraden" hat Fedotova einen Aphorismus von Mikhail Genin notiert: "Geben Sie mir doch bitte meine Vergangenheit zurück - in der hatte ich eine so helle Zukunft". Die 25-jährige begann 1995 ihr Kunststudium im ukrainischen Charkiv, seit 2001 absolviert sie ein Aufbaustudium in Halle. 2002 gewann sie den Sonderpreis eines Designwettbewerbs für ein Catering-Geschirr aus biologisch abbaubaren Werkstoffen. (esf)

Bezug: 
Hilfsfonds für ausländische Studierende im Freundes- und Förderkreis der Burg Giebichenstein - Hochschule für Kunst und Design e.V., Tel.: 0345/7751-50, Fax: -569, www.burg-halle.de

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Russen in Baden-Baden

 

"Baden-Baden ist die einzige russische Stadt außerhalb Russlands" hieß es am 22. Oktober 2003 in einem Fernsehbericht des Südwestrundfunks. Berichtet wurde darin über die zunehmende Anziehungskraft, welche die internationale Urlaubs- und Bäderstadt heute auf die Russen ausübt. Damit wiederholt sich ein Phänomen, das bereits im 19. Jahrhundert Hochkonjunktur hatte. Gekrönte Häupter, Politiker, Künstler und Geschäftsleute aus dem Zarenreich zog es aus verschiedensten Gründen ins Oostal. Die "neureichen" Russen der Neuzeit tun es ihren Vorfahren gleich.

2002 lagen Touristen aus Russland in der Übernachtungsstatistik der Kurstadt mit 25.101 erstmals an der Spitze vor den bislang führenden US-Amerikanern. Im Vorjahr waren es erst 19.891 Übernachtungen. Laut Statistik wohnten sie bevorzugt in den teuren Hotels und blieben länger als der Durchschnitt der anderen Baden-Baden-Besucher. Sie suchten vor allem medizinische Prävention und wollten sich vergnügen, sagt die kommunale Tourismus-Managerin Brigitte Görtz-Meissner. Manche begeben sich auf die Suche nach den Spuren der russischen Vergangenheit in der Stadt - auf den Fussstapfen von Dostojewskij, Gogol, Turgenjew, Tolsoij oder Rachmaninov, die im 19. Jahrhundert zeitweilig hier lebten und der Stadt mit ihrer Weltliteratur ein Denkmal setzten. Andere kommen, um die heilenden Quellen oder Wellnessangebote zu nutzen. Etliche besuchen das Spiel-Casino und das Festspielhaus.

Wieder andere kaufen Immobilien. Der zurückgetretene georgische Präsident Eduard Schewardnadse ist nicht der einzige, der sich hier eine luxuriöse Villa als Alterssitz gekauft hat. Der Immobilienkauf durch gut betuchte Russen boomt wie der Einkaufstourismus.

Seit über 100 Jahren strahlt der vergoldete Zwiebelturm mit dem russischen Kreuz der russisch-orthodoxen Kirche zur "Verklärung des Herrn" über die Stadt. Ermöglicht wurde der Bau dieses Gotteshauses für die russischen Residenten des 19. Jahrhunderts, die ihre Gottesdienste in Privathäusern abhalten mussten, durch hartnäckiges Spendensammeln. Viele weitere Details dieser einmaligen deutsch-russischen Verbindung finden sich auf der Internetseite www.russen-in-baden-baden.de. (esf)

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Erleichterung des deutsch-
russischen Reiseverkehrs

 

Berlin. Bundesinnenminister Otto Schily und der Außenminister der Russischen Föderation, Iwanow, haben am 10. Dezember 2003 in Berlin ein Regierungsabkommen über die Erleichterung des Reiseverkehrs von Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland und Staatsangehörigen der Russischen Föderation geschlossen. Bundesinnenminister Schily erklärt hierzu: "Die Besuche von Künstlern und Wissenschaftlern vertiefen die geistigen und historischen Bindungen unserer beiden Länder und schließen Wunden der Vergangenheit, deshalb ist es gut, dass diese Kontakte jetzt erleichtert werden. Auch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sollen ausgebaut werden, die Reiseerleichterungen für Wirtschaftsvertreter werden dabei helfen." Das Abkommen verspreche auch erhebliche Verbesserungen bei der Einreise deutscher Staatsbürger in die Russische Förderation, die bislang häufig bürokratischen Hemmnissen bei der Visumserteilung ausgesetzt gewesen seien.

Das Abkommen vereinfacht nach Angaben des Bundesministerium des Innern die Visumsverfahren für bestimmte Personengruppen. Die Erleichterungen kommen insbesondere Schülern, Jugendlichen und Studierenden zugute. Aber auch für Personen aus Kultur, Sport, Wissenschaft sowie aus Wirtschaft und Politik gelten günstigere Neuregelungen der Visumserteilung. Zu den möglichen Reiseerleichterungen, die ab dem 1. Januar 2004 gewährt werden sollen, zählen die Erteilung von Visa mit einer längeren Gültigkeitsdauer, Gebührenbefreiung sowie der Verzicht auf eine förmliche Einladung. Die vorgesehene zeitnahe Bearbeitung der Visumsanträge innerhalb von drei Arbeitstagen bei Mitarbeitern humanitärer Hilfsaktionen entspricht der Forderung vieler deutscher Hilfsorganisationen und wird deren raschen Einsatz bei Noteinsätzen ermöglichen. (esf)

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Deutsch-
Russischer Jugendaustausch

 

Berlin. Vom 30. Januar bis 1. Februar 2004 veranstaltet die djo-Deutsche Jugend in Europa eine Deutsch-Russische Partnerkonferenz für den Jugendaustausch in St. Petersburg. Die Konferenz wird in Kooperation mit dem Jugendring der Russlanddeutschen und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit durchgeführt. Ziel der Veranstaltung ist es, neue Akzente im Jugendaustausch zu setzen, potentielle Partner des Jugendaustausches zusammen zu bringen und neue Netzwerkprojekte zu initiieren. Ferner sollen Jugendorganisationen beider Länder die Chance erhalten, aktuelle Entwicklungen im deutsch-russischen Jugendaustausch mit zu gestalten.

"Jugendorganisationen haben als nichtstaatliche Akteure eine wichtige Funktion in der Zivilgesellschaft in Russland wie in Deutschland", erklärte Frank Jelitto, Bundesvorsitzender der djo-Deutsche Jugend in Europa. "Sie dienen als Anlaufstation bei persönlichen oder sozialen Problemen, bieten Hilfen für Einzelpersonen oder Gruppen, machen Angebote zur Freizeitgestaltung, Ausbildung und Berufsorientierung und leisten einen wichtigen Beitrag zur außerschulischen Bildung von Kindern und Jugendlichen." Durch ihre demokratischen Strukturen seien sie ein wichtiger Baustein einer staatlichen Grundordnung. Nicht zuletzt könnten sie Jugendliche zum bürgerlichen Engagement motivieren und damit zu einer Stärkung der Zivilgesellschaft beitragen.

Die Jugendorganisationen Russlands und Deutschlands haben sich in der Vergangenheit für eine Verbesserung und Intensivierung der deutsch-russischen Beziehungen eingesetzt. Viele Potentiale, die in der Zusammenarbeit liegen, sind aber bisher ungenutzt geblieben. Von der Deutsch-Russischen Partnerkonferenz für den Jugendaustausch in St. Petersburg sollen deshalb, so Jelitto, "neue Impulse in der Zusammenarbeit von Jugendorganisationen zum Nutzen von Kindern und Jugendlichen beider Länder" ausgehen.

Die djo-Deutsche Jugend in Europa ist ein anerkannter freier Träger der Jugendhilfe und setzt sich für ein geeintes, demokratisches Europa ein, in dem der trennende Charakter von Grenzen überwunden ist. Im Rahmen ihrer Jugendarbeit fördert sie die kulturelle Betätigung von jungen Zuwanderern als Mittel der Identitätsstiftung und Hilfe zur Integration. In der internationalen Jugend- und Kulturarbeit organisiert die Organisation auf Versöhnung und Verständigung ausgerichtete Austausch- und Begegnungsmaßnahmen insbesondere mit den ostmittel-, ost- und südosteuropäischen Ländern. Weitere Schwerpunkte ihrer Arbeit sind der Einsatz für die weltweite Ächtung von Vertreibungen und das Engagement für die sozialen, politischen und kulturellen Rechte von Flüchtlingen und Vertriebenen. (esf)

Kontakt: 
djo-Deutsche Jugend in Europa, Wichertstraße 71, 10439 Berlin, Tel.: 030/446778-0, Fax : -11, www.djo.de

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Nachbarschafts-
Programme der EU

 

Brüssel. Die Europäische Kommission plant umfassende sog. "Nachbarschaftsprogramme" für die Jahre 2004 bis 2006, um die EU-Außengrenzen nach der Ost-Erweiterung im Jahr 2004 zu festigen. Dazu hat die EU-Kommission nach Angaben des Bulgarien-Infobriefes zunächst 955 Millionen Euro vorgesehen. Die Programme sollen die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den Grenzregionen fördern. Ferner sollen die Grenzkontrollen verstärkt und gemeinsam mit den EU-Nachbarstaaten intensiver gegen das organisierte Verbrechen vorgegangen werden. Darüber hinaus ist eine Zusammenarbeit im Umwelt- und Gesundheitsbereich vorgesehen. Die Grenzen der EU zu Russland, Weißrussland, zur Ukraine, zur Republik Moldau sowie zu den westlichen Balkanländern und den Mittelmeerstaaten umfassen eine Länge von rund 10.000 km. Die Finanzmittel können nach Angaben der EU-Kommission auf beiden Seiten der Grenzen eingesetzt werden. Für die zweite Erweiterungsrunde mit Bulgarien und Rumänien ab 2007 will die Kommission die Nachbarschaftsprogramme erweitern. (esf)

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Höhere Mittel für Aussiedlerprojekte

 

Berlin. Am 28. November 2003 besuchte der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Jochen Welt, gemeinsam mit dem Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Lutz Diwell, das Integrationszentrum "DIALOG" in Berlin Köpenick, in dessen Rahmen das mit Bundesmitteln geförderte Projekt "Brückenschlag" durchgeführt wird. Hierzu erklärte Jochen Welt: "Das Bundesministerium des Innern hat trotz aller Sparzwänge die Mittel zur gesellschaftlichen Integration von Aussiedlern und Ausländern von 26,9 Mio. Euro im Jahr 2002 auf 28,08. Mio. Euro im Jahr 2003 aufgestockt." Auch das Projekt "Brückenschlag", wird mit Integrationsmitteln des Bundes gefördert. Im Verlauf des Besuchs konnte Welt - stellvertretend für die über 1.100 aus diesem Titel im Jahr 2003 geförderten Einzelmaßnahmen - "feststellen, dass jeder hier investierte Cent gut angelegtes Geld ist. Denn Integration ist die beste Prävention."

Das Integrationszentrum "DIALOG" dient als zentrale Anlaufstelle hauptsächlich für die in Köpenick lebenden Spätaussiedler und Vietnamesen. Hier werden den Zuwanderern Orientierungshilfen und praktische Unterstützung zuteil. Es werden auch wohnumfeldbezogene Maßnahmen insbesondere für die besondere Problemgruppe jugendlicher Zuwanderer durchgeführt, die zunehmend gefährdet sind durch Arbeitslosigkeit, Alkohol, Drogen und Kriminalität. Die Maßnahmen dienen vor allem dem Isolations- und Aggressionsabbau, der Begegnung mit der Wohnbevölkerung sowie der Einbindung in die örtlichen Gemeinschaften und das gesellschaftliche Leben in Deutschland.

Welt hob hervor, dass der Grundsatz "Fördern und Fordern" im Rahmen des Projekts "auf das Beste umgesetzt worden" sei. Hier werde besonderer Wert auf die Stärkung der Eigenverantwortung und Selbstständigkeit der Spätaussiedler gelegt, wodurch die Eingliederung effektiver und nachhaltiger gestaltet werden könne. Da das Projekt auch Bestandteil eines gut funktionierenden örtlichen Netzwerkes ist, solle dieses künftig, so Welt weiter, "verstärkt dazu dienen, die Eigenverantwortung und Selbstständigkeit der Spätaussiedler zu stärken, indem die Zuwanderer künftig verstärkt in die Strukturen örtlicher Netzwerke integriert werden." (esf)

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Beitrittsländer-
Handbuch

 

Luxemburg. Die europäische Statistikbehörde Eurostat hat am 10. November 2003 ihr neues Statistisches Jahrbuch über die zehn Staaten veröffentlicht, die im Mai 2004 der EU beitreten werden. Das "Statistical Yearbook 2003 on Candidate Countries, Data 1997 - 2001" enthält außerdem Daten über Rumänien, Bulgarien und die Türkei. Die Daten reichen von Heirats- und Scheidungsquoten in den einzelnen Ländern über Angaben zum Bildungsstand bis zu Treibhausgasemissionen. Das 219-seitige Werk kostet 30 Euro. Ein Vezeichnis der Verlaufsstellen findet sich unter http://europa.eu.int/comm/eurostat/. (esf)

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Aussiedler-
beauftragter Welt in Tschechien

 

Berlin. Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, MdB Jochen Welt, hat Anfang Dezember 2003 die Tschechische Republik besucht und Gespräche mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Petr Mares, dem stellvertretenden Außenminister Dr. Rudolf Jindrak sowie dem Nationalen Beauftragten für Menschenrechte und Minderheiten Jan Jarab geführt. Er informierte sich über den Stand der Überlegungen der tschechischen Regierung, Angehörigen der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik, die aufgrund von Verstößen gegen die damalige tschechische Rechtsordnung Unrecht erlitten haben, eine finanzielle Leistung zur Milderung der daraus resultierenden Folgen zuzuerkennen. Welt machte deutlich, dass er eine solche humanitäre Geste begrüßen würde.

Weitere Gesprächsthemen waren die Rechte und die Förderung nationaler Minderheiten vor dem Hintergrund des EU-Beitritts Tschechiens. Im Anschluss reiste Welt nach Liberec, besuchte das dortige Begegnungszentrum und traf mit den Vertretern der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien zusammen. Er ließ sich über die Arbeit der deutschen Minderheit unterrichten. Die Arbeit wird von der Bundesregierung mit über 600.000 Euro jährlich unterstützt. Der Schwerpunkt liegt dabei im Unterhalt des Betriebes von Begegnungsstätten, in denen sich die innerhalb Tschechiens sehr zerstreut lebenden Angehörigen der deutschen Minderheit treffen und ihre Arbeit gestalten können. Darüber hinaus erfolgt eine Unterstützung der Landesversammlung und von ihr veranstalteter Programme für die Jugend sowie auch die Förderung von humanitären Maßnahmen und kleinerer Wirtschaftsprojekte im Wege der Kreditvergabe.

Welt erklärte hierzu: "Die Bundesregierung ist sich ihrer historischen Verantwortung gegenüber der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik unverändert bewusst." Davon unabhängig werde der anstehende EU-Beitritt der Tschechischen Republik und die damit verbundene Angleichung der Lebensverhältnisse "auch für die deutsche Minderheit zu einer entsprechenden Anpassung der aus dem Bundeshaushalt geleisteten Hilfen" führen. Deshalb werde in Zukunft "die Identitätserhaltung der deutschen Minderheit wie auch deren gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben noch mehr als bisher von der Entfaltung eigenverantwortlicher Initiativen ihrer Mitglieder abhängen". (esf)

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Tschechien lockt Hochqualifizierte

 

Prag/Nürnberg. Die Tschechische Republik hat nach Angaben des Infodienstes "Ausland Aktuell" des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als eines der ersten EU-Beitrittsländer ein für hoch qualifizierte ausländische Arbeitskräfte attraktives Programm vorgelegt. Den Spezialisten wird, wenn sie einen Arbeitsplatz nachweisen können, auf Antrag im Rahmen des Programms ein Daueraufenthaltsrecht bereits nach zweieinhalb Jahren gewährt. Die übliche Wartezeit beträgt zehn Jahre. Insbesondere im medizinischen und informationstechnischen Bereich sollen damit rund 300 Spezialisten, vor allem aus Bulgarien, Kroatien und Kasachstan gewonnen werden. (esf)

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Roma werden größte ethnische Minderheit

 

Brüssel. Durch die Osterweiterung der EU wird die Volksgruppe der Roma zur größten ethischen Minderheit innerhalb der Union. Dann werden rund 8 Mio. Roma EU-Bürger sein. Dies bezeichnete Anna Diamantopoulou, EU-Kommissarin für Beschäftigung und Soziales, im Herbst 2003 als "eine Herausforderung für die Union". In den ehemals kommunistischen Ländern Europas seien Roma "die größten Verlierer der politischen Wende", hatte bereits der ungarische Ministerpräsident Péter Medgyessy festgestellt. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) spricht zudem von "systematischer Diskriminierung". Seit dem Jahr 2000 werden jedoch unionsweit Projekte zur Verbesserung der Lage der Roma initiiert. Im Rahmen des Förderprogramms zur Unterstützung der Beitrittsländer bei ihren Vorbereitungen, Phare, wurden seitdem 77 Mio. Euro in Roma-Projekte investiert. (esf)

Infos: www.worldbank.org/roma

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In Grimms Märchenland zu Hause

 

Josef Sigalov hat seit seiner Kindheit den gleichen Traum: Er träumt davon in der Heimat der Gebrüder Grimm und ihrer Märchen einen Platz zu finden und die Orte der Märchen kennen zu lernen. ,,Ich hab mir immer vorgestellt, wie das alte, westliche Europa aussieht und ich in einer alten gotischen oder mittelalterlichen Stadt lebe," erzählt der 57jährige gebürtige Russe. Vor zwei Jahren, nach vielen Ausreisebemühungen in viele Länder der ganzen Welt, sah es so aus, als sollte der Traum Wirklichkeit werden. Der jüdische Emigrant bekam seine Einreisepapiere aus Deutschland. Zusammen mit dem über 8ojährigen Vater und dem Bruder kam er in der staatlichen Aufnahmestelle in Karlsruhe an und wurde dann in eine Sammelunterkunft verlegt. ,,Statt märchenhafter schwäbischer Landschaft habe ich aber erstmal das Krankenhaus kennen gelernt und lange Zeit bestand Deutschland für mich hauptsächlich aus Klinik, Ärzten und Schwestern." Eine nie gekannte Sprach- und Hilflosigkeit nahm Besitz von dem ehemaligen Architekten und Kunstlehrer. ,,So entwurzelt und stumm wie ich war, ohne Arbeit und Aufgabe wurde ich auch psychisch krank," berichtet er. Besser ging es ihm erst mit zunehmenden Deutschkenntnissen und als er die Kunst für sich als Ausdrucksform entdeckt hatte.

Nach acht Monaten in Deutschland konnten die Frau und die einzige Tochter von Josef Sigalov aus der Ukraine ausreisen. Sogar den Hund brachten sie mit. Der mußte aber zunächst ins Tierheim, bis die Familie eine eigene kleine Wohnung gefunden hatte. Seither macht die inzwischen 19jährige Tochter den Eltern vor, wie Integration funktionieren kann, wenn man nur jung genug ist. Sie breitet sich gerade auf das Abitur vor, spricht sehr gut Deutsch und will unbedingt Design studieren. Der Vater bewundert soviel Mut und Stärke sehr. ,,Ich frage mich oft, wozu das alles. Ich hatte in Russland eine Arbeit und eine Heimat, trotz aller Schwierigkeiten. Hier habe ich keinen Zweck, aber ich will nützlich sein."

So wie er früher Häuser, Sportzentren, Hotels oder Industriegebäude gebaut hat, so will er heute und hier ein neues Leben aufbauen. ,,Deutschland soll für mich kein Kurort zur Erholung werden. Ich will meine Kraft noch sinnvoll einsetzen." Hoffnungen auf einen regulären Arbeitsplatz als Architekt, Kunstlehrer oder Hochschuldozent hat der 57jährige allerdings nicht mehr. ,,Ich bekomme nicht mal mehr einen Deutschkurs, wahrscheinlich weil ich zu alt bin", bedauert er. Glücklicherweise hat der Mann, der noch nicht zum alten Eisen gehören will, die Kunst für sich als Ausdrucksform und Aufgabe entdeckt. ,,Als meine Bilder einen Tag im Ulmer Münster gezeigt wurden, da hatte ich Hoffnung." Sogar auf eine ganze Reihe von Ausstellungen kann der russische Emigrant inzwischen verweisen. Im Moment ist er so oft wie möglich in der Stadt Mengen und zeichnet für die ,,Aktion 'Denk mal'".

,,Deutschland ist ein großes Abenteuer und das Leben hier ist nicht so einfach", schildert er seine Eindrücke von knapp zwei Jahren. ,,Im Westen ist das Leben ein Kampf ohne nach dem Warum zu fragen.." Um seinem Leben einen Sinn zu geben, will Josef Sigalov zusammen mit seiner Frau eine mobile Malschule auf die Beine stellen. Der ehemalige Kunstlehrer möchte ehrenamtlich mit Flüchlingskindern arbeiten und Kurse im Freihandzeichnen in Altenzentren geben. Er stellt sich vor, mit einer Aufgabe auch einen inneren Frieden zu erlangen. Mit seiner Kunst könne er die Sprachlosigkeit überwinden, die auf seinem Herz lastet und mit der Vermittlung von Kunst könne er womöglich anderen helfen, die auch auf der Suche nach ihrer Heimat sind. ,,Ich würde wieder auswandern, und meine ganze Familie glaubt an die Zukunft. Und ich träume von einem Platz in der Welt in der Märchen geboren wurden."

Jutta Stromberg

(entnommen aus der 1999 entstandenen Wanderausstellung LEBENSWEGE)

Kontakt: 
Projekt ISIS c/o Evangelischer Migrationsdienst in der Prälatur Stuttgart, Landhausstr. 62, 70190 Stuttgart, Tel.: 0711 - 26 84 32 - 71, Fax: - 79

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Online Bibliothek Zentral- und Osteuropa

 

Frankfurt/Main. Es ist inzwischen relativ leicht geworden, aus dem Internet einen Artikel der amerikanischen "Slavic Review" zu beziehen. Aber ein ähnlich komfortabler Zugang zu osteuropäischen Zeitschriften wie "Politicka Misao" (Zagreb) oder "Sociologicheski Problemi" (Sofia) war bisher nicht möglich. Mit der CENTRAL AND EASTERN EUROPEAN ONLINE LIBRARY (C.E.E.O.L.) will die Questa.Soft GmbH in Frankfurt/Main diesem Unterschied abhelfen. Insbesondere Migranten und Wissenschaftlern soll der Zugang zu mittel- und osteuropäischen Zeitschriften erleichtert werden. Nach einer ersten Aufbauphase umfasst die Bibliothek (www.ceeol.com) zur Zeit Artikel aus gut 75 Periodika mittel- und osteuropäischer Provenienz. Alle Zeitschriften stammen aus den Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie aus Literatur, Kunst, Religion und verwandten Gebieten. Die Zahl der teilnehmenden Zeitschriften wird sich ebenso wie die Anzahl der jeweils digitalisierten Ausgaben stetig vermehren. Neben dem Angebot aus dem Bereich der Periodika wird die C.E.E.O.L. künftig auch digitale Reproduktionen von Monographien und grundlegende Werke der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Mittel- und Osteuropa anbieten. Neben den elektronischen Dokumenten der Bibliothek stehen inzwischen zu vielen Autorinnen und Autoren auch Portrait-Seiten bereit. (esf)

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IOM-Kampagne in Rumänien

 

Bukarest. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) führt seit November 2003 eine landesweite Informationskampagne in Rumänien durch, mit der die irreguläre Zuwanderung in die EU unterbunden werden soll und die Menschen ermutigt werden sollen, legale Möglichkeiten zu nutzen. Zielgruppe der Kampagne sind in urbanen Räumen lebende Männer im Alter von 15 - 44 Jahren, die etwa 100 Euro im Monat verdienen. Die Kampagne resultiert aus einer kürzlich abgeschlossenen IOM-Untersuchung, die ein weit verbreitetes Interesse an einer temporären Migration zu Arbeitszwecken in die EU ergeben hatte. Gut 15% der befragten Personen hatte den Wunsch geäußert, zum Zwecke der Beschäftigungsaufnahme in das Ausland reisen zu wollen, während 4% sagten, dass sie das Land ganz verlassen wollen. Über 50% der Befragten, die bereits im Ausland gearbeitet hatten, waren in Italien, Deutschland oder Spanien. Die Untersuchung zeigte, dass diese Länder nach wie vor die bevorzugten Ziele rumänischer Arbeitsmigranten sind. Gut 41% meinten, dass es am wichtigsten sei, eine auf einem Werkvertrag basierende Arbeit zu finden. Nur 11% dachten, dass der Erhalt einer Arbeitserlaubnis wichtig sei. (esf)

Infos: 
Daniel Kozak, IOM Bukarest. Tel. +40 21 231 31 79. Mobile +40 74 20 40 211. 
Email: dani@iom.int

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