Ausländer in Deutschland 3/2002, 18.Jg., 30. September 2002

SCHWERPUNKT:
PARTIZIPATION VON MIGRANTEN

Weitere Dokumente dieser Ausgabe zum Schwerpunkt 
"Partizipation von Migranten":
Politische Partizipation, Selbstorganisationen, Partizipation im Betrieb


Draußen vor der Tür?

Zur gesellschaftlichen Mitwirkung und Teilhabe von Migranten

Partizipation durch Qualifizierung

Der Verein " Förderation der Volksvereine türkischer Sozialdemokraten e.V." führt ein Projekt zur politischen Integration durch, dessen Ziel es ist, MigrantInnen der zweiten und dritten Generation sowie interessierte Deutsche zu qualifizieren, damit sie als Mediatoren und Moderatoren Integrationsprozesse vor Ort unterstützen können und gleichzeitig integrationsfördernde Strukturen auf- bzw. ausbauen können. Erreicht werden soll dies durch die Aneignung von Know-how im Bereich der Migrationspolitik, des Projektmanagements, der Methodik und Rhetorik sowie durch interkulturelle Trainings. Mit diesem Wissen können die MigrantInnen später als Integrations- beziehungsweise Kulturvermittler agieren. Mit diesem Projekt beteiligte sich der Verein an der im September 2001 gestarteten Ausschreibung "Aktiv für Demokratie und Toleranz" des Bündnisses für Demokratie und Toleranz und wurde mit einem Preis von 5.000 DM ausgezeichnet. (esf)

Kontakt: 
Förderation der Volksvereine türkischer Sozialdemokraten e.V., Oranienstr. 40, 47051 Duisburg, Tel.: 0203 - 336437, hdf-nrw@hdf-online.dewww.hdf-online.de 


Werbung zum Filmstart der britischen Prolo-Komödie "Ali G. Indahouse". Mit dessen bayrischen Epigonen Erkan & Stefan wirbt die Bundeszentrale für politische Bildung zur Zeit für die Teilnahme an der Bundestagswahl: "Du hast das Wahl, Alter"

Seit einigen Jahren wird in der Migrationsarbeit verstärkt von "Partizipation" und "Empowerment" gesprochen. Welche Ansätze verbergen sich hinter diesen neudeutschen Begriffen? Nur alter Wein in neuen Schläuchen oder wirklich innovative neue Wege zur Verbesserung der Befähigung, Artikulation und politischen Mitwirkung von MigrantInnen?

Partizipation der Minderheiten in allen Lebensbereichen - so definiert Lale Akgün, Leiterin des Landeszentrums für Zuwanderung NRW (LzZ) den Begriff Integration. Dieses umfassende Verständnis von Integration habe sich bislang noch nicht durchgesetzt. Stattdessen werde Integration immer noch entweder als Anpassung oder aber als Akzeptanz der Andersartigkeit verstanden.

Tatsächlich ist die Vertretung von Migranten in allen Lebensbereichen - entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung - noch lange nicht gegeben. So wird die Politik seit über 20 Jahren immer wieder aufgefordert, die Rahmenbedingungen für eine gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen zu schaffen. Ihre berechtigten gruppenspezifischen Interessen sollen sie auch einbringen können. Über die rechtliche und politische Partizipation hinaus werden auch die betriebliche, soziale, kulturelle und religiöse Partizipation als wichtige Aufgaben der Integrationspolitik genannt. Einiges ist erreicht worden, doch die fehlende politische Partizipation wird nach wie vor als Problem einer sich doch als pluralistisch verstehenden Demokratie benannt. Gleichstellung und Gleichbehandlung werden eingefordert, um Ausgrenzung und Benachteiligung zu beseitigen.

Partizipation...

Es hat zweifelsohne auch hier Fortschritte gegeben, allerdings auf Kosten der Drittstaatenangehörigen. Mit der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages wurde für Unionsbürger das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen und bei Wahlen zum Europäischen Parlament begründet. "Diese Entwicklung folgte dem allgemeinen Trend zur Entwertung der rechtlichen Unterschiede zwischen EU-Ausländern und den Staatsangehörigen der jeweiligen Mitgliedsstaaten", schreibt LzZ-Mitarbeiter Bernhard Santel. Die Gruppe der Nichtstaatsangehörigen habe sich allerdings in diejenige der EU-Bürger auf der einen und die der Drittstaatsangehörigen auf der anderen Seite gespalten. An der Direktwahl des Europäischen Parlaments am 12.6.1994 konnten sich in Deutschland erstmals EU-Angehörige beteiligen. Die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin am 22.10.1995 waren die ersten, an denen EU-Bürger ihr kommunales Wahlrecht wahrnehmen konnten. Allerdings wurden die neuen Möglichkeiten wenig genutzt. In Bremen etwa machten im Juni 1999 nur 17% der EU-Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch, in einigen Kommunen Baden-Württembergs waren es im Oktober 1999 zwar bis zu 44%, doch dieser Wert liegt deutlich unterhalb der Wahlbeteiligung der Deutschen. Noch niedrigere Quoten zeigen sich bei den Wahlen der Ausländerbeiräte (vgl. S. 3).

Nicht zufällig ist die Ausweitung des kommunalen Wahlrechts auf Nicht-EU-Bürger eine fast gebetsmühlenartig wiederholte Forderung von Migrationsexperten und Migrantenorganisationen. Mit den fehlenden Entscheidungsbefugnissen der Ausländerbeiräte wollen sich Drittstaatenangehörigen nicht mehr begnügen. In fünf Landtagen wurde bereits die Einführung des Kommunalwahlrechtes beschlossen. Entsprechende Initiativen scheiterten jedoch 1990 am Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Verfassungshüter entschieden, dass Ausländer zwar zur Bevölkerung, nicht aber zum deutschen Volk gehören, von dem nach Art. 20, Abs. 2 GG allein die Staatsgewalt ausgehe. Eine Ausdehnung der Staatsgewalt mittels eines Ausländerwahlrechts auf Nichtdeutsche sei mit dem Grundgesetz unvereinbar. 1998 hatten SPD und Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, sich erneut für das kommunale Ausländerwahlrecht einzusetzen. Diese Willensbekundung ist allerdings - durch den Widerstand gegen die doppelte Staatsbürgerschaft - nie durch konkrete gesetzliche Initiativen untermauert worden. Eine Ausdehnung des Kommunalwahlrechts auf Nicht-EU-Bürger steht nicht mehr zur Debatte. Eine Angleichung an Länder wie Schweden, die Niederlande, Dänemark, Schweiz, Irland oder Frankreich, in denen seit langem das Kommunalwahlrecht für MigrantInnen existiert, ist hierzulande in näherer Zukunft sehr unwahrscheinlich geworden. Aus bürgerrechtlichem, wie auch aus nationalstaalichem Interesse bleibt es unbefriedigend, dass für zwei Drittel aller Ausländer dieses staatsbürgerliche Recht nicht gilt - darunter besonders mehrere hunderttausend hier geborene Migrantenkinder. Auch wenn auf die Möglichkeit der Einbürgerung verwiesen werden kann, entspricht dies nicht dem Ideal der demokratischen Partizipation aller Bürger.

...nicht ohne Empowerment

Es fällt allerdings auf, dass alle diese Forderungen vor allem von deutschen Wissenschaftlern und Migrationspolitikern vorgebracht wurden. Sind die Migranten heute desinteressiert beziehungsweise enttäuscht oder liegt es daran, dass ihre (deutschen) Stellvertreter die Diskussion beherrschen? Warum hört man ihre Stimme kaum? Und warum nutzen sie - wo es möglich ist - ihre (Wähler-)Stimme zu selten? Vielleicht liegt es daran, dass Mitwirkung und Teilhabe nur auf lokaler Ebene beginnen können: Vor der eigenen Haustür setzt man sich viel eher für eigene Interessen ein, als vor den Pforte der "hohen" Politik. Und man sieht, was man erreicht hat.

"Man hilft den Menschen nicht, wenn man für sie tut, was sie selbst tun können," soll Abraham Lincoln gesagt haben. Dieser Satz gilt für Individuen genauso wie für Gemeinwesen. 137 Jahre nach Lincolns Tod geht es noch um den selben Sachverhalt, wenn in den USA, den Niederlanden und allmählich auch hierzulande von "Empowerment" gesprochen wird. Der Begriff fasst - über die Migrantenarbeit hinaus - Entwicklungsprozesse zusammen, in deren Verlauf Menschen die Kraft gewinnen, der sie bedürfen, um ein nach eigenen Maßstäben "besseres" Leben zu leben. Ihre rechtliche, soziale, wirtschaftliche und politische Stellung soll gestärkt werden, indem Macht und Entscheidungskraft neu verteilt werden. Entscheidend ist aber, wie das versucht wird. "Es geht darum", so Hermann Uihlein, Beauftragter für Flüchtlings- und Aussiedlerfragen beim Deutschen Caritasverband, "Menschen zur Entdeckung ihrer eigenen Stärken zu ermutigen und ihre Fähigkeiten zur Selbstbestimmung und Selbstveränderung zu stärken". Empowerment kann insofern mit "Befähigung zur Mitwirkung und Teilhabe" übersetzt werden.

"Empowerment ist eine klare Absage an den Defizitansatz traditioneller Sozialarbeit", sagt Uihlein. Bezogen auf Ehrenamtlichenarbeit im Kontext von Integrationsmaßnahmen bedeute Empowerment zum Beispiel nicht, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus zu kämpfen. Stattdessen werden die kulturellen, kommunikativen und kreativen Kompetenzen ("Ressourcen") der Zuwanderer zum Einsatz und damit ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht. Als Beispiele nennt Uihlein zwei Caritas-Projekte zum Empowerment von Aussiedlern in Rheine und Mayen. Vordergründig entstanden hier ein Kochbuch sowie ein Kultur- und Kommunikationszentrum. Viel wichtiger als diese Ergebnisse war jedoch der Prozess des Zusammenfindens von Menschen unterschiedlicher Herkunft, bei dem die MigrantInnen ihre Kompetenzen einbringen konnten. Der Weg also ist das Ziel.

Empowerment durch Qualifizierung, motivierende Anregung zum bürgerschaftlichen Engangement sowie eine Erhöhung des Selbstwertgefühls durch ein erfolgreiches Mitwirken: Über diese Bausteine der Integrationsarbeit kann Partizipation in allen gesellschaftlichen Bereichen angeregt und unterstützt werden. Alle Beteiligten - auch die Migranten - müssen es nur wollen. Und einen langen Atem haben.


Autor: Ekkehart Schmidt-Fink, isoplan

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