Integration in Deutschland 4/2004, 20.Jg., 30. November 2004

EUROPA

*) Diese Beiträge wurden im Druck-Exemplar nicht veröffentlicht!


Moros, Latinos und Senioren

Ausländerpolitik in Spanien

Eine drastische Änderung der bisherigen Ausländerpolitik hat der Chef der nach den Wahlen am 14. März 2004 ins Amt berufenen sozialistischen Regierung, José Luis Zapatero, angekündigt - und dies nicht nur unter dem Eindruck des verheerenden Terroranschlags in Madrid drei Tage vor seinem Wahlsieg. Mit atemberaubenden Zuwachsraten der offiziell registrierten ausländischen Wohnbevölkerung und einer anhaltend hohen irregulären Zuwanderung, hat sich das ehemalige Auswanderungsland Spanien zu einem der größten Aufnahmeländer von Migranten in Europa gewandelt.

Das Thema wirtschaftlich oder politisch bedingter Migration hat eine lange Geschichte in Spanien. Rund 7 Millionen Menschen, schätzt man, wanderten im vergangenen Jahrhundert bis in die Mitte der 1990er-Jahre aus Spanien aus, zunächst primär in die USA, seit Anfang der 1960er-Jahre vor allem nach Deutschland, Frankreich und in die Schweiz. Die Zahl der Zuwanderer nach Spanien blieb demgegenüber bis etwa 1985/1990 absolut marginal. Trotz der sich verstärkenden Zuwanderung existierte in Spanien vor diesem Hintergrund bis Mitte der 1980er-Jahre keine rechtliche Grundlage zur Regelung des Aufenthalts für ausländische Staatsangehörige, und auch nach Inkrafttreten des spanischen Ausländergesetzes 1985 blieb die Vorstellung, nur Durchgangsland für Migranten zu sein, Grundprinzip der spanischen Migrationsphilosophie.

Angesichts der Entwicklung des Ausländeranteils in den letzten 20 Jahren hat die Realität diese Philosophie längst überholt: Gegenüber rund 250.000 offiziell registrierten Ausländern im Jahr 1985 stieg die Zahl bis Juni 2004 auf rund 1,78 Millionen und dies mit explodierenden Zuwachsraten.

Mit einem Anteil von zur Zeit rund 4 % an der Gesamtbevölkerung ist der Ausländeranteil in Spanien noch relativ gering. Das nationale statistische Institut (INE) geht jedoch in einer 2003 veröffentlichten Prognose davon aus, dass der Ausländeranteil 2010 zwischen 9 % und 12 % liegen wird und damit einen Spitzenplatz in Europa einnimmt. Hinzu kommt eine Zahl von mindestens 1 Mio. irregulärer Zuwanderer in den Ballungszentren und den landwirtschaftlichen Regionen im Süden.

Heterogene Struktur

Im Gegensatz etwa zu Deutschland, Frankreich oder Großbritannien, wo einzelne Herkunftsländer von Migranten dominieren, ist die Struktur der ausländischen Wohnbevölkerung in Spanien außerordentlich heterogen (vgl. Grafik).

 Im Prinzip lassen sich drei höchst unterschiedliche Gruppen unterscheiden:

a) die Gruppe der regulären Migranten (1,78 Mio.), darunter
- zu rund einem Drittel Lateinamerikaner (primär Ecuador und Kolumbien),
- 25 % Afrikaner (vor allem Marokkaner),
- 25 % EU-Ausländer, darunter viele "Senioren" mit Sitz in Mallorca und anderen bevorzugten Regionen;
b) die Gruppe der "sin papeles", die irregulären Migranten (etwa 1 Mio.);
c) auffallend klein ist die dritte Gruppe, die der Asylbewerber, die bei lediglich 4.000 - 7.000 Bewerbern pro anno liegt.

1 Million "sin papeles"

Die offiziellen Bestandszahlen und Zuwachsraten der "regulären" Ausländerbevölkerung spiegeln die tatsächliche Entwicklung des Migrationsgeschehens in Spanien nur bedingt wider, da sich in ihnen auch der Erfolg (oder Misserfolg) der seit 1985 durchgeführten Regularisierungskampagnen widerspiegelt. In fünf Kampagnen seit 1985 (die letzte 2001) wurde etwa eine halbe Million irregulärer Einwanderer mit Papieren versehen. Unabhängig davon wächst die Zahl der "sin papeles" weiter. Ein großer Teil von Ihnen wird auf sogenannten "pateras" (= kleine Boote) über die Straße von Gibraltar ins Land geschleust, einem Teil gelingt im wahrsten Sinn "der Sprung über den Zaun" der mit vielen EU-Millionen bezuschussten High-Tech-Sperranlagen in den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla, ehemalige Strafkolonien in Marokko. Nicht wenige sind ganz einfach "visa-overstayers", das heißt legal Eingereiste, die nach Ablauf des Visums im Land verbleiben. Der Preis der irregulären Migration, vor allem der "Moros" aus Nordafrika ist hoch. Trotz hochmoderner elektronischer Überwachungsanlagen an der Straße von Gibraltar, die täglich zu annähernd hundert Festnahmen derer führt, denen die waghalsige Fahrt über das Meer gelingt und mit deren Hilfe im letzten Jahr über 1.000 Schiffbrüchige aufgegriffen wurden, werden jährlich hunderte von Toten geborgen, die weniger Glück hatten. Diejenigen, die dennoch durch die Maschen schlüpfen, verschwinden in der Treibhauswelt der andalusischen Gewächshäuser oder tauchen als Straßenhändler oder Schwarzarbeiter in den Städten auf. Die "Moros" und "Latinos" sind dabei nicht unwillkommen. Vor allem die spanische Landwirtschaft könnte und will auf die Tagelöhner "sin papeles" nicht verzichten.

Politikwechsel

Angesichts der skizzierten Zuwächse sowohl der Zahl der regulären als auch der irregulären Migranten ist es bemerkenswert, dass die Spanier selbst diese Entwicklung eher gelassen verfolgen. Sieht man von Einzelfällen wie etwa den Übergriffen 2000 im südspanischen El Ejido ab, so sind kaum rassistische oder ausländerfeindliche Zwischenfälle bekannt. Nach einer jüngst veröffentlichten Umfrage (GfK, Challenges of Europe 2004) rangiert die "Ausländerfrage" in ihrer Bedeutung weit abgeschlagen hinter Themen wie Terrorismus, Arbeitslosigkeit, Wohnprobleme und anderes.

Gründe für dieses (noch) hohe Maß an Akzeptanz oder zumindest Duldung gibt es viele, angefangen von dem historischen Erbe islamischer Einflüsse über das nach dem EU-Beitritt 1986 hohe wirtschaftliche Wachstum und der damit verbundenen Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften bis hin zu dem für Industrieländer typischen Phänomen der Notwendigkeit der Deckung der Arbeitskraftnachfrage in "Low-income"-Sektoren, in denen die einheimische Bevölkerung nicht mehr arbeiten will.

Gegenüber den nur mit halber Kraft durchgeführten Regularisierungskampagnen der Vergangenheit ist die Regierung Zapatero nun dabei, einen grundsätzlichen Politikwechsel einzuleiten, der an den zwei wirklich zentralen "Zukunftsthemen" spanischer Arbeitsmarkt und Ausländerpolitik ansetzt, das heißt a) sowohl an der Notwendigkeit der Deckung der Arbeitskräftenachfrage in bestimmten Wirtschaftsbereichen als auch b) der Notwendigkeit der Legalisierung des Status der seit langem im Land lebenden, aber eben nur geduldeten "Irregulären", bei gleichzeitiger Begrenzung der Zuwanderung.

Das von Zapateros Arbeitsminister Caldera im September angekündigte Gesetzespaket beinhaltet von daher sowohl Elemente der Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung als auch der Integration der bereits im Land lebenden Ausländer. Geplant sind
a) eine Massenlegalisierung
b) Integrationshilfen für Kommunen
c) eine bedarfsgerechte Quotenregelung und Ausgabe befristeter Visa für die Arbeitssuche in Spanien, aber auch
d) eine noch bessere Sicherung der spanischen EU-Außengrenze.

Ob, wie die konservative Opposition befürchtet, dies zu einem erhöhten "Sogeffekt" führt, kann zu Recht bezweifelt werden. Gespannt darf man aber sein, wie lange es noch dauert, bis die deutschen Migrationspolitik von Spanien lernt.


Autor: Dr. M. Werth, isoplan

Weitere Texte zum Thema:
- Altersmigration nach Spanien (2/03: Neuerscheinungen)
- Einwanderungsland Spanien (3/04: Europa).

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Aktionsplan gegen Rassismus und Intoleranz

 

Brüssel. Der Europäische Rat hat am 28. Mai 2004 eine Erklärung über Rassismus und Intoleranz in Bezug auf Jugendliche verabschiedet. In dieser Erklärung einigten sich die Minister über einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Diskriminierung, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und damit verbundenen Phänomenen im Jugendbereich. Im Rahmen dieses Aktionsplans, dem 2005 Priorität im Jugendbereich eingeräumt wird, ist geplant, die Sensibilisierungskampagne der Kommission auf Jugendliche zu konzentrieren und eine Nachfolgekonferenz zur 2001 in Berlin abgehaltenen Konferenz "Jugend für Toleranz und Demokratie" zu veranstalten. Die Bekämpfung von Diskriminierung wird daher eine Priorität des Jugendprogramms sein. 

Die vollständigen Texte sind im Internet einsehbar unter: http://europa.eu.int/comm/youth/whitepaper/
post-launch/post_de_1_en.html#cm
. (esf)

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Freizügigkeit von Arbeitnehmern in der EU

 

München. Beim Nomos Verlag ist im September 2004 eine Dissertation von Philipp Tschäpe zu den "Übergangsbestimmungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit und zum Grundstücksverkehr im Rahmen der EU-Erweiterung" erschienen (ISBN: 3-8329-0827-7). Tschäpe untersucht auf 249 Seiten Formen von Übergangsbestimmungen und ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht im Zuge der EU-Osterweiterung. Der Text ist zugleich ein Beitrag zum Konzept eines veränderungsfreien Kerns des Gemeinschaftsrechts. Der für Europa- und Zivilrechtler interessante Band kostet 48 Euro. (esf)

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Kriterien für eine europäische Flüchtlingspolitik

 

Berlin. Anlässlich des diesjährigen Tages des Flüchtlings erklärte die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Marieluise Beck, dass sich Flüchtlingsschutz und Asylpolitik nicht mehr national, sondern nur noch europäisch denken lasse. Nach der Umsetzung der Vorgaben des Amsterdamer Vertrages bzw. des sog. Tampere-Gipfels trete die europäische Flüchtlingspolitik nun in eine neue Phase. Dabei gelte es sicherzustellen, dass diese weitere Harmonisierung des europäischen Einwanderungs- und Flüchtlingsrechts auf einem hohen menschenrechtlichen Niveau stattfindet. "Kriterien wie Völkerrechtsfreundlichkeit, Nachhaltigkeit und Wirksamkeit von flüchtlingspolitischen Maßnahmen sind der Rahmen, in dem sich die europäische Flüchtlingspolitik bewegen muss, will Europa seiner Verantwortung gerecht werden", sagte Beck. Die am 30. September 2004 veröffentlichten "Kriterien für eine Weiterentwicklung der europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik" sollen ein Beitrag zu einer Debatte sein, die man in Deutschland und Europa "unaufgeregt und sachgerecht" führen müsse. Ziel der Diskussion könne nicht eine verbesserte Abschottung, sondern ein verbesserter Schutz von Flüchtlingen sein, der veränderten Realitäten Rechnung trage. Gleichzeitig dürften die Mitgliedstaaten ihre "nationalen Hausaufgaben" nicht vernachlässigen. Dazu gehöre die Verbesserung der Flüchtlingsaufnahme gemäß der europäischen Richtlinien insbesondere in den neuen Mitgliedsländern ebenso wie "die Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes in eine humanitäre Praxis in Deutschland", erklärte die Integrationsbeauftragte. (esf)

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Flüchtlingsfrauen in der EU

 

Aus Sicht der EU handelt es sich bei weiblichen Flüchtlingen um eine Gruppe, die aufgrund ihrer schwierigen Situation besondere Aufmerksamkeit bei der Ankunft sowie in Integrationsfragen verdient hätte. Gleichwohl existieren wenig Strategien und Projekte, die ihrem spezifischen Bedarf gerecht werden. So ist es sehr erfreulich, dass im Februar 2004 in der Edition parabolis eine Publikation "Refugee Women - Hoping for a better future" erschienen ist. Die von Nathalie Schlenzka, Luigia Sommo, Giovanna Campani und Kursheed Wadia verfasste Studie untersucht in englischer Sprache die spezifischen Probleme dieser Gruppe in de europäischen Aufnahmeländern. Hierzu werden die gender-spezifischen Ansätze von Organisationen und Institutionen untersucht, die im Flüchtlingsbereich arbeiten. Ferner wird ein Überblick über aktuelle Entwicklungen in institutionellen Garantien und Maßnahmen für Flüchtlingsfrauen gegeben. Europäische Ansätze werden mit US-amerikanischen und kanadischen Strategien verglichen.

In der Edition Parabolis erscheinen seit 1988 Sachbücher, Jahrbücher, Arbeitshefte und Zeitschriften zu den Themen Migration, Flucht, Rassismus, Nationalismus, ethnische Minderheiten. Die Mehrzahl der Publikationen sammelt Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen am Berliner Institut für Vergleichende Sozialforschung e.V. (BIVS). Als deutsche Herausgeberin der europäischen Reihe Interface, entwickelt vom "Centre de recherches tsiganes" der Pariser Sorbonne, veröffentlicht die Edition Parabolis darüber hinaus spezielle Monographien und Sammelbände mit Beiträgen zur Sinti- und Romaforschung. (esf)

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Strategien zur Beschäftigung von Migranten in Europa

 

Jochen Blaschke und Bastian Vollmer vom Berliner Institut für Vergleichende Sozialforschung e.V. haben Mitte 2004 in der Edition parabolis eine englischsprachige Publikation zu Beschäftigungsstrategien für Migranten in Europa (Employment Strategies for Imigrants in the European Union) herausgegeben. Der 724-seitige Band untersucht europäische Programme wie EES und EQUAL und bietet ausführliche Texte zur Beschäftigungssituation in allen EU-Staaten. Im Falle von Deutschland werden als "good practice" (bewährte Verfahren) ein Projekt zu Sinti und Roma der Roma Union Grenzland e.V., die beruflichen Qualifizierungsnetzwerke (BQN) und die Koordinierungsstelle - Ausbildung in Ausländischen Unternehmen (KAUSA) beschrieben.

Neben solchen wissenschaftlichen Studien gibt der Verlag sechsmal jährlich die Zeitschrift "Migration: A European Journal of International Migration and Ethnic Relations" heraus. Sie dokumentiert die Arbeit von europäischen und außereuropäischen Sozialwissenschaftlern und stellt aktuelle Diskussionen und Berichte zu einzelnen Themen vor. In neuer Folge sind seit Frühjahr 1998 auch die "Bibliographischen Informationen zu Ethnizität und Migration" wieder erhältlich. Mit der Heftesammlung "Archiv: Migration" liefert außerdem der Presseausschnittdienst des BIVS mit Unterstützung der Commission for Racial Equality in London eine thematische Auswertung von deutschen und internationalen Zeitungen, die zwischen 1986 und 1997 erschienen sind.

Das Berliner Institut für Vergleichende Sozialforschung e.V. (BIVS) widmet sich der wissenschaftlichen Analyse und der Erforschung von Migration und Ethnizität. Das Themenspektrum reicht von Vertreibung über Migrationspolitik und kleine Migrationssysteme bis zur Versorgung alter Migrantinnen und Migranten der ersten Generation. Die Mitglieder des Institutes verstehen sich als ForscherInnen und WissenschaftlerInnen. Sie suchen aber auch Brücken zur Politik, denn, wie es heißt, "nur fundierte Untersuchungen ermöglichen ausgewogene politische Entscheidungen". (esf)

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