Ausländer in Deutschland 4/2001, 17.Jg., 15. Dezember 2001

SCHWERPUNKT: MUSLIME

Weitere Dokumente dieser Ausgabe zum Schwerpunkt "Muslime":
Konflikte, Musliminnen, Schule, Interview Udo Steinbach, Stadtportrait Köln, Islam, Die AiD-Karte


Integration von Muslimen in Deutschland

Das Verhältnis zwischen In- und Ausländern in Deutschland ist nach den Terroranschlägen des 11. September nicht leichter geworden. Insbesondere Muslime berichteten in den ersten Wochen nach den Anschlägen von verstärkten Polizeikontrollen, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, aggressivem Verhalten ihnen gegenüber im Alltag. Türkische Taxifahrer mussten sich sagen lassen: "Mit Moslems fahr ich nicht!" Solche unerfreulichen Verhaltensweisen dürften sich im Laufe der Zeit wieder mildern, aber sie haben ja nicht erst mit dem 11. September begonnen und werden kaum ganz verschwinden.


Ramadan-Essen in Berlin

Muslimische Migranten spüren zu lassen, dass sie weiter Fremde sind, dass sie nicht wirklich dazugehören, sondern für latent bedrohlich gehalten werden - das muss sich auch auf das Selbstverständnis von Muslimen auswirken. Ihnen gegenüber immer wieder die Integration einzufordern und sie zugleich in vielem auszugrenzen - das macht das Zusammenleben nicht einfach.

Das Klima in Deutschland gegenüber dem Islam und den Muslimen ist gespalten. Einerseits gibt es deutliche und ernsthafte Bemühungen des Verstehens, der Toleranz und eines fruchtbaren Zusammenlebens. Viele Menschen gehen mit muslimischen Migranten in großer Selbstverständlichkeit um, wissen vielleicht nicht viel von ihnen, aber behandeln sie nicht als Exoten, sondern als Arbeitskollegen oder Nachbarn. Andere treten ihnen mit einer gewissen Unsicherheit gegenüber: Sie wissen von Diskriminierung und Vorurteilen und möchten sich selbst besser, offener verhalten. Aber das Wissen von den Gewaltakten gegen Ausländer und die weiter bestehende Fremdheit führen zu einer großen Befangenheit Muslimen gegenüber. Und drittens gibt es weiterhin Tendenzen, Muslime und ihre Religion für bedrohlich zu halten. Das wird oft sogar bei Menschen deutlich, die eigentlich vor Vorurteilen warnen wollen. So konnte man wenige Wochen nach den Terroranschlägen im Rheinischen Merkur die tröstliche Formulierung lesen:

"Nicht jeder, der zu Allah betet, ist ein ‚Gotteskrieger' und bereit, zur Waffe zu greifen."

So unbestreitbar richtig solche Sätze auch sind, so legen sie doch nahe, dass vielleicht jeder zweite oder jeder dritte Muslim gern und schnell zur Waffe greift, so unterstellen sie doch eine gewisse Gefährlichkeit des Islam.

Die Integration von Muslimen oder von Migranten setzt in Deutschland wie anderswo Anstrengungen von beiden Seiten voraus. Migranten müssen Deutschland als ihre neue Heimat annehmen und sich zuhause fühlen können - das bedeutet nicht automatisch, dass ihre Ursprungsländer nicht weiter für sie emotional bedeutsam sein müssen. Auch in den USA haben viele Staatsbürger noch geistige Bindungen an ihre - irische, italienische, mexikanische oder arabische -Heimat und oft über Generationen hinweg. Das hindert sie nicht daran, in den USA vollständig "integriert" zu sein, und diese Integration wäre eher behindert worden, hätte man ihnen eine geistige Verbindung zur Vergangenheit ihrer Familie verbieten wollen. Aber die neue Heimat - in unserem Fall Deutschland - muss auch bereit sein, die neuen Bürger anzunehmen.

Das bedeutet nicht unbedingt, Muslime explizit als Muslime zu behandeln, - sondern es reicht völlig aus, mit ihnen respektvoll, fair und in gleicher Augenhöhe umzugehen. Integrationsfördernder Umgang mit - auch muslimischen - Migranten setzt nicht notwendigerweise einen Austausch über die jeweiligen Religiositäten voraus, sondern eigentlich nur die Fähigkeit und Bereitschaft, sich als Mitmenschen und Mitbürger miteinander zu verhalten.

Ein solcher Umgang miteinander ist auch möglich, wenn wir nicht erst Islam-Experten werden, bevor wir mit Muslimen verkehren, oder umgekehrt. Fremde mit Respekt und Offenheit zu behandeln ist auch dann möglich, wenn wir von ihnen wenig wissen - schließlich haben schon viele Europäer selbst erlebt, mit welcher Offenheit und Freundlichkeit sie in der Türkei oder arabischen Ländern begrüßt wurden, auch von Menschen, die vom Christentum oder Europa sehr wenig oder gar nichts wissen. Und Bayern oder Sachsen wollen oder sollten im Ausland nicht primär als "Christen" wahrgenommen und behandelt werden, sondern als Besucher, Menschen, Touristen, Geschäftsleute oder was auch immer. Die Integration von Muslimen ist dann am einfachsten, wenn wir die Fiktion aufgeben, hier würden sich Muslime und Christen, Muslime und "Westler" begegnen. Es begegnen sich Individuen, die neben ihrer religiösen oder konfessionellen Zugehörigkeit vor allem auch Schüler, Familienväter, Verkäuferinnen, Sportler, Töchter und alles mögliche andere sind, das für ihre Identität von Bedeutung ist. Integration gelingt am besten, wenn man nicht allein auf einen der Hauptunterschiede starrt, der die Gesellschaft in zwei Teile trennt, sondern die Individualität zum Ausgangspunkt des Zusammenlebens nimmt. So vervielfachen sich die Anknüpfungspunkte. Natürlich ist es richtig, dass ein Zusammenleben und wechselseitiges Verständnis noch wesentlich erleichtert wird, wenn beide Seiten etwas vom Gegenüber, seiner Kultur und Lebensweise wissen. Dabei wird nicht allein das Verständnis des Anderen, des Fremden gefördert, sondern oft wird man auch feststellen, dass viele Gemeinsamkeiten bestehen, die man gar nicht vermuten hätte - und dass die viele Dinge des Lebens unabhängig von Religion, Sprache und nationaler Herkunft bedeutsam oder gleichgültig sind.

Integration kann, je nach den Umständen, mehrere Generationen dauern oder relativ schnell gehen. Sie kann durch "guten Willen" auf beiden Seiten natürlich gefördert werden, aber was vor allem zählt, sind die entsprechenden gesellschaftlichen und juristischen Rahmenbedingungen. Wenn Migranten auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben, wenn sie juristisch Bürger zweiter Klasse bleiben und ihnen der Zugang zu den Universitäten oder dem Bildungswesen insgesamt schwerer fällt, dann wird jede Integration auch beim besten Willen aller Beteiligter erschwert und verzögert. Gleiche Rechte aller Bürger ist die Schlüsselvoraussetzung der Integration - wer seit Jahrzehnten hier lebt, arbeitet und Steuern zahlt, wer schon hier geboren ist und sein Leben dauerhaft in Deutschland führt, kann auf Dauer nicht fremd bleiben, "Ausländer" sein. Eine weitere Erleichterung der Einbürgerung ist hier ebenso wichtig wie die noch größere Bereitschaft dauerhaft hier lebender Muslime, diese Chance auch wahrzunehmen. Wenn wir die wichtigsten Voraussetzungen für Integration schaffen, dann können wir uns auch Zeit lassen und Geduld leisten. Dann wird die Integration vielleicht trotzdem länger dauern, als viele Politiker sich das erhoffen - sie war auch in vielen anderen Ländern und unter anderen Umständen selten eine Angelegenheit von nur zwei oder drei Generationen. Aber wenn die Entwicklung in die richtige Richtung geht, dann gibt es keinen Grund zu Hektik oder Ungeduld: Prozesse des Zusammenwachsens passieren nicht über Nacht, und sie lassen sich nur in Maßen beschleunigen. Nur: Die Richtung muss stimmen, die Chancen müssen politisch und juristisch weiter verbessert werden, und alle Beteiligten müssen dazu bereit sein.


Autor: Jochen Hippler, Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg

Jochen Hippler ist Buchautor, Politikberater sowie Koordinator des Projektes "Dialog der Kulturen" für das Deutsche Orient-Institut (Hamburg) unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten.

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